Wie Mikroben direkten Einfluss auf dein Gehirn nehmen

Die geheime Sprache deines Darms

Montag, 22. September 2025 | 17:10 Uhr

Von: red

Eine Entdeckung mit Sprengkraft
Ein Forschungsteam aus Spanien und Italien hat etwas Unerwartetes beobachtet: Bestimmte Darmbakterien nehmen direkten Kontakt zu unseren Nervenzellen auf – ganz ohne Umwege über Blut oder Immunsystem. Die Entdeckung, publiziert in Scientific Reports und aufgegriffen von National Geographic, könnte unser Verständnis von Gesundheit auf den Kopf stellen. Plötzlich stehen Joghurtkulturen und fermentiertes Gemüse im Verdacht, unsere Gehirnfunktion zu beeinflussen.

Die Darm-Hirn-Achse bekommt ein neues Kapitel
Bisher ging man davon aus, dass Bakterien im Darm nur über indirekte Wege wie das Immunsystem oder hormonelle Signale Einfluss auf das Gehirn nehmen. Doch die neue Studie zeigt: Die Kommunikation kann auch physisch und unmittelbar geschehen – ähnlich wie ein Stromimpuls, der über ein Kabel direkt in ein Gerät gelangt.

Die beteiligten Forscher, unter ihnen Celia Herrera-Rincón von der Universität Complutense in Madrid, sprechen von einem Paradigmenwechsel. Die mikroskopisch kleinen Organismen scheinen mit unseren Nervenzellen zu „sprechen“, und das könnte weitreichende Konsequenzen für die Behandlung von Krankheiten haben.

Ein „Minigehirn“ im Labor und ein alter Bekannter
Im Zentrum des Experiments steht ein künstlich gezüchteter neuronaler Zellverband – ein sogenanntes Minicerebro, bestehend aus Ratten-Neuronen. Dieser Verband simuliert die elektrische Aktivität eines echten Gehirns.

Dazu brachten die Forscher die Bakterienart Lactiplantibacillus plantarum auf die neuronale Zellstruktur auf. Diese Bakterien sind keine Exoten: Sie kommen ganz natürlich in unserem Darm vor und finden sich auch in fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt oder eingelegtem Gemüse.

Sanfte Berührung, große Wirkung
Die große Überraschung: Die Bakterien drangen nicht in die Nervenzellen ein, sondern blieben an der Oberfläche haften. Und trotzdem veränderten sie die elektrische Aktivität und die Genexpression der Neuronen. Ein einfacher Kontakt reichte aus, um messbare biologische Prozesse in Gang zu setzen – darunter auch solche, die mit Entzündungen, neuronaler Plastizität und neurologischen Erkrankungen in Verbindung stehen.

Ein gemeinsamer Code?
„Es ist faszinierend zu denken, dass Neuronen und Bakterien eine gemeinsame bioelektrische Sprache sprechen könnten“, sagt Juan Lombardo Hernández, Hauptautor der Studie. Das würde bedeuten: Zwei völlig unterschiedliche biologische Systeme teilen sich einen molekularen „Dialekt“, der vielleicht entschlüsselt werden kann – und damit auch gezielt nutzbar wird.

Mikrobiom: Der Kosmos in uns
In unserem Darm leben rund 100 Billionen Bakterien – mehr als es Sterne in der Milchstraße gibt. Dieses Mikrobiom ist ein empfindliches System, das durch Ernährung, Medikamente oder Krankheiten leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann.

Wenn diese Bakterien nun direkten Einfluss auf unsere Hirnfunktionen haben, bekommt die Frage, was wir essen, eine völlig neue Dimension. Jede Veränderung in der Darmflora könnte unser Denken, Fühlen und sogar unser Verhalten beeinflussen.

Neue Therapien am Horizont
Die Vorstellung, gezielt Bakterien zur Behandlung neurologischer Erkrankungen einzusetzen, klingt heute noch futuristisch – könnte aber bald Realität werden. Forscher sprechen bereits von „neuroaktiven Probiotika“, also lebenden Mikroorganismen, die auf das Gehirn wirken.

Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die die Medizin grundlegend verändern könnte: von der Diagnostik über die Prävention bis hin zur Therapie. Ein Dialog, der im Verborgenen stattfindet – zwischen zwei Welten, die nun plötzlich enger verbunden sind, als wir je gedacht hätten.

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