Von: Ivd
Innsbruck – Motorische Auffälligkeiten bei Kindern werden oft nicht als solche erkannt. Das zeigt eine Studie in 25 Tiroler Kindergärten mit über 750 Kindern. In einer zweistufigen Testung zeigten fast fünf Prozent der Kinder Defizite in ihrer motorischen Entwicklung. Die zuvor befragten Eltern äußerten in keinem der Fälle entsprechende Sorgen. Solche Rückstände können auch andere Entwicklungsbereiche negativ beeinflussen, weshalb betroffene Kinder von einer unterstützenden Therapie stark profitieren können. Die Leiterin der Studie, Barbara Scheiber, Studiengangsleiterin des FH-Bachelor-Studiengangs Physiotherapie an der fh gesundheit und Dissertantin am Institut für Sportwissenschaft der Universität Innsbruck, ordnet die Ergebnisse im Interview ein.
Könnten Sie die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Studie kurz zusammenfassen und erläutern, warum sie für die frühzeitige Erkennung motorischer Auffälligkeiten im Vorschulalter relevant sind?
Barbara Scheiber: „Unsere Studie hat gezeigt, dass rund fünf Prozent der untersuchten Kinder im Vorschulalter motorische Schwierigkeiten aufweisen, die therapeutisch gefördert werden sollten. Besonders bemerkenswert war, dass diese Auffälligkeiten im Alltag häufig unentdeckt bleiben. Wir wissen aus früheren Studien, dass es für Eltern und auch Pädagogen sehr schwierig ist, solche Defizite so früh zu erkennen. Auch in unserem Projekt bestätigte sich das; bei keinem der Kinder hatten Eltern oder Pädagogen entsprechende Sorgen geäußert.
Das ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass motorische Entwicklungsprobleme oft still verlaufen. Kinder lernen, sich anzupassen oder ihre Schwierigkeiten zu kompensieren, was jedoch langfristig Auswirkungen auf die soziale Teilhabe, das Lernverhalten, die Freude an der Bewegung und das Selbstvertrauen haben kann. Ein frühzeitiges Erkennen ist daher zentral, um rechtzeitig gezielt fördern zu können; idealerweise schon im Kindergarten, wenn motorische Kompetenzen noch sehr gut beeinflussbar sind.“
Ihre Studie zeigt, dass Eltern motorische Schwierigkeiten ihrer Kinder oft nicht bemerken. Welche Faktoren könnten dazu beitragen, und wie könnte ein Screening diese Wahrnehmung ergänzen?
Barbara Scheiber: „Viele Eltern sehen ihr Kind im vertrauten Umfeld und nehmen kleinere motorische Unsicherheiten daher als „individuelle Unterschiede“ wahr, nicht als mögliche Entwicklungsstörung. Zudem fehlen häufig Vergleichsmöglichkeiten und Wissen über typische Bewegungsabläufe in diesem Alter.
Ein strukturiertes Screening bietet hier einen objektiven Blick von außen. Es hilft, Auffälligkeiten zu erkennen, bevor sie im Schulalter zu Lern- oder Verhaltensproblemen führen. So können die Kinder bewusst gefördert und besser eingebunden werden. Wichtig ist mir dabei zu betonen: Ein Screening ist keine Diagnose, sondern ein Türöffner. Es unterstützt Eltern und Pädagogen dabei, das Kind gezielt zu fördern und gegebenenfalls weitere fachliche Abklärung zu veranlassen.“
Das zweistufige Screening in Kindergärten hat sich als praktikabel erwiesen. Welche Schritte wären notwendig, um diesen Ansatz flächendeckend einzuführen, und welche Herausforderungen sehen Sie dabei?
Barbara Scheiber: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das zweistufige Screening; also eine Kombination aus einem einfachen Bewegungsparcours (evtl. durch geschulte Pädagogen umgesetzt) und einer gezielten Testung durch Physiotherapeuten, gut in den Kindergartenalltag integrierbar ist. Der nächste Schritt wäre, diese Abläufe systematisch zu verankern, etwa durch Fortbildungen und klare Kooperationsstrukturen zwischen Bildungseinrichtungen, Gesundheitsdiensten und Therapeuten.
Eine Herausforderung ist sicher, genügend geschulte Fachkräfte bereitzustellen und den Ablauf so zu gestalten, dass er im Kindergartenbetrieb integrativ umsetzbar bleibt. Gleichzeitig ist es eine große Chance: Früh erkannte motorische Schwierigkeiten lassen sich häufig mit relativ wenig Aufwand positiv beeinflussen. Das ist Gesundheitsförderung im besten Sinn: präventiv, alltagsnah und nachhaltig.“




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