Paragraf 219a

Kristina Hänel gegen das Tabu “Abtreibung”

Mittwoch, 07. November 2018 | 07:15 Uhr

“Mein Bauch gehört mir” – das war der von Alice Schwarzer geprägte Kampfruf von Aktivistinnen, die nicht in der Schwangerschaft, sondern in der Beendigung derselben die Verwirklichung von Emanzipation und Selbstbestimmung sahen. Frauen sollten über ihren Körper selbst bestimmen dürfen und nicht die Gesellschaft.

Was ist mit dem Bauch der Frau? Die Gesellschaft will von diesem, dass er gebärt. Frauen, die schwanger geworden sind und nicht Mutter werden wollen, suchen nach Wegen, um dies zu verhindern. Ihnen stellen sich jedoch unterschiedliche Vertreter der Gesellschaft in den Weg, welche dies verunmöglichen wollen. Die Folge: Fehlende Information und Legalisierung führen zu illegalen Abtreibungen, die das Leben der Frau gefährden.

Auch im katholischen Italien verweigern viele Ärzte und Ärztinnen eine Abtreibung. Die Abtreibung wird kriminalisiert. Besonders konservative Parteien sind Abtreibungsgegner wollen wieder über den Uterus bestimmen.

Papst Franziskus hat Abtreibung mit einem Auftragsmord verglichen. Eine Schwangerschaft abzubrechen, sei, “wie jemanden zu beseitigen”. “Ist es richtig, ein menschliches Leben zu beseitigen, um ein Problem zu lösen?”, fragte der Papst die auf dem Petersplatz zur Generalaudienz versammelten Gläubigen. “Ist es richtig, einen Auftragsmörder anzuheuern, um ein Problem zu lösen?”, fuhr er abweichend von seinem Predigttext fort.

Abtreibung und künstliche Befruchtung sind in der katholischen Kirche tabu. In Franziskus’ Heimatland Argentinien war im August ein Gesetz zur Legalisierung von Abtreibungen gescheitert – nicht zuletzt wegen des massiven Widerstands der katholischen Kirche.

Auch in Deutschland scheint es so zu sein, dass Frauen an einer Abtreibung gehindert werden sollen: Ein Gericht hat die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie über Abtreibungen informiert. Nun wehrt sie sich und kämpft gegen das Urteil und den Paragrafen. Hänel ist plötzlich zu einer Symbolfigur einer neuen Abtreibungsdebatte geworden.

Die Gießener Ärztin Kristina Hänel versorgt seit 37 Jahren Patienten und ist eine anerkannte Medizinerin. Inzwischen verbinden jedoch viele ihren Namen mit der emotionalen Debatte über Abtreibungen. Hänel streitet vor Gericht dafür, dass Ärzte und Ärztinnen auf die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen hinweisen dürfen. Sie bringt damit das Tabuthema Abtreibung wieder in die Öffentlichkeit und findet sich urplötzlich in einer heftigen Debatte wieder.

Laut Gesetz dürfen Mediziner und Medizinerinnen nicht für Abtreibungen werben. Hänel jedoch will auf ihrer Website über das Thema Abtreibung informieren und praktiziert das auch. Dieser Hinweis brachte ihr 2017 eine Verurteilung und eine Geldstrafe von 6000 Euro ein, weil sie wegen “illegaler Werbung für Abtreibungen” angezeigt wurde.

Die Ärztin konnte es nicht fassen: “Viele Jahre wurden solche Verfahren immer wieder eingestellt. Ich war der Meinung, dass ich alles richtig mache und konnte nicht verstehen, dass ich vor Gericht stand”, sagt Hänel im Gespräch mit n-tv.de. “Dann kam aber so eine große Resonanz von Menschen, die sagten: ‘Das geht nicht, man darf Frauen in einer solch schwierigen Situation nicht die wichtigsten Informationen vorenthalten.'” Deshalb entschloss sie Hänel dazu, gegen das Urteil Berufung einzulegen.

Tabuthema “Abtreibung” im Fokus

Hänel stößt eine neue Debatte über Abtreibungen an. Sie möchte kämpfen: “Es muss eine Rechtssicherheit geben und mein Ziel ist das Bundesverfassungsgericht. Ich möchte das auch für die vielen anderen Ärzte und Ärztinnen erreichen, die angezeigt und verleumdet werden.”

Hänels Fall ist nur einer von vielen, doch durch das Verfahren gegen sie wird über das Thema wieder gesprochen und berichtet.

Abtreibungsgegner suchen die Namen der Ärzte und Ärztinnen, die Abtreibungen vornehmen, systematisch heraus, bedrohen sie und verleumden sie im Internet. Selbst ernannte “Lebensschützer” protestieren nicht nur gegen den Eingriff, sondern auch gegen Gynäkologen und Gynäkologinnen, die Frauen darüber informieren und Abbrüche vornehmen. “Anscheinend hat sich etwas bei dem Vorgehen der Abtreibungsgegner geändert”, erklärt Hänel, die immer wieder bedroht wird – sogar Folter- und Todesdrohungen erreichen sie. Manchmal stehen Abtreibungsgegner vor der Tür ihrer Praxis.

Auch die Frauenärztinnen Natascha Nicklaus und Nora Szász stehen derzeit vor Gericht und kämpfen gegen den Paragrafen 219a. Ihr Verfahren läuft, ein Urteil ist noch nicht gesprochen. Durch die vermehrte Aufmerksamkeit erfahren die Ärzte und Ärztinnen auch viel Solidarität: “Ich empfinde das alles sehr positiv und es ist ganz eindeutig, dass die Mehrheit der Bevölkerung, wie in Irland, hinter dem Gedanken der Meinungsfreiheit steht. Es ist eine Frage der Grundrechte”, sagt Hänel.

Frauen wie sie stoßen eine moralische Diskussion an und sie begrüßt das: “Es wird nun überall über das Thema Schwangerschaftsabbruch diskutiert und das Tabu ist ein wenig angekratzt worden. Das tut der Sache gut, weil jetzt rauskommt, wie schwierig sich die derzeitige Situation für Frauen in Deutschland darstellt.” In manchen Landstrichen wüssten viele Frauen immer noch nicht weiter, wenn sie sich gegen ein Kind entscheiden. Für sie müsse es Ansprechpartner geben.

Hänels Petition

Hänel hat eine Petition gestartet, um den umstrittenen Paragrafen zu kippen. “Ich habe mich entschieden, mich nicht zu verstecken und den Gegnern die Stirn zu bieten”, erklärt Hänel. Rund 155.000 Menschen haben die Petition auf der Plattform change.org Ende 2017 unterschrieben.

Alle unterstützen sie bei dem Anliegen, dass Frauen ein Informationsrecht auf den Abbruch bekommen sollen. In der Petition heißt es: “Auch und gerade beim Thema Schwangerschaftsabbruch müssen Frauen freie Arztwahl haben und sich medizinisch sachlich und richtig informieren können.”

Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen hoffen auf eine Veränderung des Gesetzes. Doch die entscheidenden Politiker sind derzeit nicht einig. Die Große Koalition findet keine gemeinsame Linie. Die SPD will ein Recht auf Information, die Union lehnt eine Veränderung und Anpassung des Gesetzes derzeit ab. “Mir ist klar, dass mein Weg erstmal juristisch ist”, beschreibt die Ärztin. Sie habe das Thema nach Berlin gebracht, jetzt müsse die Politik entscheiden. Hänel sagt ganz deutlich: Sie wünscht sich Rechtsicherheit für Ärzte und Informationsfreiheit für Frauen.

Die Gießener Frauenärztin würde auch noch durch weitere gerichtliche Instanzen gehen – wenn es sein muss, sogar bis zum Europäischen Gerichtshof. Für sie hat der Kampf gegen Paragraf 219a erst begonnen.

Im folgenden Video die Ärztin Hänel zum Thema “Mein Körper gehört mir!” und “Abtreibung”:

Von: bba