Studie des Arbeitsförderungsinstituts AFI

30 Prozent der Südtiroler arbeitet pro Woche mehr als 40 Stunden

Montag, 31. Juli 2017 | 15:39 Uhr

Bozen – „Die hohe Beteiligung am Erwerbsleben ist zweifelsfrei das Aushängeschild des Südtiroler Arbeitsmarktes“, informiert AFI-Direktor Stefan Perini. „Wir haben also die Quantität, doch haben wir auch die Qualität?“, wirft Perini die Frage auf. Wie ist die Südtiroler Erwerbsbevölkerung im Vergleich zu Italien, Deutschland, Österreich und der Schweiz strukturiert? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede treten auf? Antworten hierfür liefert das heute erschienene AFI-Arbeitskräfteporträt, das Südtirol in den europäischen Kontext stellt. Weitere Ergebnisse werden in den nächsten Monaten Stück für Stück veröffentlicht.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2016 hat das Arbeitsförderungsinstitut AFI die erste umfassende Umfrage zu den Arbeitsbedingungen in der Südtiroler Arbeitswelt nach europäisch vergleichbarem Muster (´European Working Conditions Survey´, kurz EWCS) durchgeführt. Warum es notwendig ist, die wichtigsten soziodemografischen und arbeitssoziologischen Eckdaten der Erwerbsbevölkerung zu kennen, darüber gibt der Arbeitspsychologe und Forschungsmitarbeiter Tobias Hölbling Auskunft: „Zum einen bestimmt die Arbeitskräftestruktur einer Volkswirtschaft maßgeblich Wirtschaftsleistung und Entwicklungspotential. Zum anderen muss man über die Zusammensetzung Bescheid wissen, um die Ergebnisse der Befragung nicht losgelöst von sogenannten Struktureffekten zu interpretieren.“

Worin sich die Zusammensetzung der Arbeitskräfte in Südtirol im europäischen Vergleich unterscheidet, damit befasst sich ein AFI-Zoom, den das Forschungsinstitut nun veröffentlicht hat. Als Referenzländer dienen Italien (I), Österreich (A), Deutschland (D) und die Schweiz (CH).

Und so hebt sich Südtirols Arbeitskräfte-Porträt im europäischen Vergleich ab:

1. Relativ alte Beschäftigungsstruktur

In Südtirol sind 32,7 Prozent der Arbeitskräfte über 50 Jahre alt. Gleichzeitig ist der Anteil der Unter-35-Jährigen (27,2 Prozent) geringer als in Österreich (31,3 Prozent) oder der Schweiz (29,6 Prozent). Die Frage nach dem Generationenwechsel stellt sich zwar ganz besonders für Italien (nur 19,9 Prozent der Beschäftigten sind jünger als 35), sie ist aber auch für Südtirol nicht zu vernachlässigen.

2. Viele Arbeitskräfte nur mit Pflichtschulabschluss

Im mitteleuropäischen Vergleich fällt der in Südtirol verhältnismäßig hohe Anteil an Personen auf, die lediglich über einen Pflichtschulabschluss verfügen (17,1 Prozent). Nur der Wert von Italien (26,6 Prozent) hebt sich noch deutlicher von den Referenzländern ab. Demgegenüber weist die Schweiz die im Vergleich höchste Akademikerquote auf (27,4 Prozent).

3. Starke Präsenz von Landwirtschaft, Handel und Gastgewerbe

Als klassisches Tourismusland ist die Konzentration der Beschäftigung auf die Wirtschaftssektoren Handel und Gastgewerbe wesentlich ausgeprägter als in den Referenzländern: 27 Prozent der Arbeitskräfte in Südtirol arbeiten in Summe im Handel oder im Gastgewerbe. Mit 6 Prozent ist in Südtirol die Präsenz von Beschäftigten in der Landwirtschaft ebenfalls hoch.

4. Starker Öffentlicher Sektor und vergleichsweise wenig Privatwirtschaft

Der Öffentliche Sektor beschäftigt in Südtirol im Vergleich zu den mitteleuropäischen Ländern viele Arbeitskräfte. Entsprechend fällt nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Beschäftigung auf die Privatwirtschaft (70,9 Prozent). Auf gesamtstaatlicher Ebene sind dies beispielsweise 75,1 Prozent.

5. Hoher Anteil an Selbständigen

Mit 21,7 Prozent ist der Anteil an Selbständigen in Südtirol hoch. Zu einem guten Teil ist die Wahl zugunsten der Selbständigkeit bewusst und nicht aus der Not heraus getroffen. Dies unterscheidet Südtirol beispielsweise von südeuropäischen Ländern, wo Selbständigkeit als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit gesehen wird.

6. Südtirols Betriebsgrößen ähneln mehr der Schweiz als Italien

Südtirols Arbeitgeberstruktur (hier als Summe der Privatwirtschaft und der öffentliche Arbeitgeber) gilt als kleinstrukturiert. Tatsächlich arbeiten 79,9 Prozent der Arbeitskräfte in Organisationen mit weniger als zehn Mitarbeitern. Noch kleinstrukturierter ist Italien. Südtirols Betriebsstruktur ähnelt – abgesehen von den vergleichsweise vielen Ein-Personen-Betrieben (11,8 Prozent) – jener der Schweiz.

7. Wenig unbefristete Jobs

Das unbefristete Arbeitsverhältnis findet in Südtirol geringe Verbreitung: Nur 76,2 Prozent der Arbeitskräfte geben an, in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu stehen – das ist deutlich weniger als in den mitteleuropäischen Vergleichsländern mit Werten von 83,6 Prozent (Österreich) bis 88,1 Prozent (Schweiz). Nur auf gesamtstaatlicher Ebene (73,1 Prozent) ist der Wert noch niedriger als in Südtirol.

8. Starke Präsenz von Vollzeit

76,7 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Südtirol in Vollzeit. Betrachtet man die Referenzländer, liegt Südtirol knapp hinter Italien (77,2 Prozent) an zweiter Stelle. Spiegelbildlich ist Teilzeit in Südtirol weniger stark ausgeprägt: 23,3 Prozent sind es in Südtirol, 30 Prozent beim Spitzenreiter Schweiz.

9. Knapp ein Drittel der Beschäftigten arbeitet mehr als 40 Stunden pro Woche

Die wöchentliche Arbeitszeitdauer ist in Südtirol vergleichsweise hoch. 31,6 Prozent der Beschäftigten arbeitet in Südtirol mehr als 40 Stunden, sprich ein wesentlich größerer Teil als in Italien (21,6 Prozent), Deutschland (15,4 Prozent) und Österreich (17,1 Prozent). Die Schweiz, in der 49,7 Prozent der Beschäftigten mehr als 40 Wochenstunden arbeiten, unterscheidet sich damit am stärksten.

10. Südtirols unselbständig Beschäftigte sind ihrem Arbeitgeber treu

Fast die Hälfte der lohnabhängig Beschäftigten arbeitet seit elf oder mehr Jahren im selben Betrieb oder derselben Organisation. Im Vergleich mit den Referenzländern ist die durch Arbeitswechsel bedingte Arbeitsmarktfluktuation also relativ gering.

Die einheitlich verwendete Methode erlaubt die perfekte Vergleichbarkeit zwischen Südtirol und anderen 35 europäischen Ländern. Als Referenzgruppe dienen dem AFI in erster Linie der Gesamtstaat und die mitteleuropäischen Länder Österreich, Deutschland und die Schweiz. Erstmals ist es möglich, auch die qualitativen Aspekte der Arbeit miteinander zu vergleichen. Als ´beschäftigt´ gelten Personen über 15 Jahren, die in der Woche vor der Befragung mindestens eine Stunde gegen Vergütung gearbeitet haben. Anders als in der amtlichen Statistik können auch Arbeitslose, Hausfrauen oder Rentner hier hineinfallen. Etwaige Unterschiede sind allerdings nur auf enger oder weiter gefasste Kategorien zurückzuführen und nicht auf Unterschiede inhaltlicher Natur. Die Erhebung betrifft die Gesamtwirtschaft, einschließlich Landwirtschaft und Öffentlichem Sektor.

Der AFI-Zoom ist hier als Download verfügbar: http://afi-ipl.org/wp-content/uploads/2017-07-31-Zoom-17-AFI-Arbeitskräfteporträt-Südtirol-im-europäischen-Vergleich.pdf

Von: ao

Bezirk: Bozen