Politische Unterstützung und wissenschaftliche Begleitung

Bürgergenossenschaften: Wenn Bürger selbst anpacken

Mittwoch, 11. Juni 2025 | 12:35 Uhr

Von: luk

Bozen – In Zeiten knapper werdender kommunaler Budgets bieten Bürgergenossenschaften eine Chance, die örtliche Wirtschaft zu stabilisieren – als gelebter Ausdruck des Gemeinwohls. Welche Potenziale diese Genossenschaftsform bietet, wie man sie gründet und welche erfolgreichen Praxisbeispiele es bereits gibt, war Thema einer Informationsveranstaltung im Raiffeisenhaus.

Wie kann man Nahversorgung sichern, Arbeitsplätze schaffen, benachteiligte Menschen integrieren, Kinderbetreuung organisieren oder nachhaltigen Tourismus fördern – und das alles aus der Mitte der Bevölkerung heraus? Die Antwort darauf sind Bürgergenossenschaften. Ein Thema, das am 10. Juni 2025 im Fokus der Veranstaltung im Raiffeisenhaus stand.

Diese jüngste Genossenschaftsform entstand in Italien ursprünglich aus einer Notlage im ländlichen Raum. Infolge der Landflucht drohten in verwaisten Dörfern Einrichtungen wie Dorfgasthäuser oder kleine Läden zu verschwinden, da sie wirtschaftlich nicht mehr tragfähig waren. Um dies zu verhindern, schlossen sich Bürger*innen zu Genossenschaften zusammen. Solche Initiativen haben es vielerorts ermöglicht, für das Dorfleben zentrale Infrastrukturen wiederzubeleben – zum Vorteil aller.

Bürgergenossenschaften sind solidarische, nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Unternehmen, die dem Gemeinwohl dienen.

„Bürgergenossenschaften bieten neue Chancen, die lokale Wirtschaft zu stärken, regionale Bedürfnisse gezielt zu bedienen und soziale Verantwortung aktiv zu leben – mit dem Wohl der Gemeinschaft im Blick“, eröffnete Herbert Von Leon, Obmann des Raiffeisenverbandes Südtirol, die Veranstaltung.

Generaldirektor Robert Zampieri, der die Veranstaltung moderierte, sieht in dieser Unternehmensform ein Zukunftsmodell mit großem Potenzial – insbesondere in Verbindung mit sozialwirtschaftlichen Ansätzen und neuen Formen der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand: „Bürgergenossenschaften stärken nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, sondern schaffen konkrete Mehrwerte – wirtschaftlich, sozial und kulturell.“

Neben der Revitalisierung vernachlässigter Ortsteile engagieren sich Bürgergenossenschaften auch für die berufliche Integration benachteiligter Menschen, für leistbares Wohnen, die Sicherung der Nahversorgung oder übernehmen Dienste wie Schneeräumung, Reinigungsdienste oder die landwirtschaftliche Direktvermarktung.
Vizedirektor Christian Tanner spricht von einem Modell mit viel Zukunft: „Die aus diesem gemeinsamen Handeln entstehende Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und der sozialen Inklusion zählt zu den großen Stärken dieses Genossenschaftsmodells. Besonders in Bezug auf den dritten Sektor und die co-progettazione sowie co-programmazione ist es sehr attraktiv.“

Mehrere eindrucksvolle Praxisbeispiele präsentierte Giovanni Teneggi von b.more – Consulenza e Servizi per l’impresa Società Cooperativa: So verhalf die Genossenschaft Fer-menti leontine einer verlassenen Dorfbäckerei in San Leo zu neuem Leben, während Viso a Viso im Piemont nachhaltigen Bergtourismus mit Bibliothek, Museum und Unterkünften kombiniert.

Auch Südtirol geht mit gutem Beispiel voran: Die Bürgergenossenschaft 3B in Martell – benannt nach Berge, Beeren, Biathlon – vereint heute vielfältige Tätigkeiten von der Organisation von Schneedepot, E-Bike-Verleih, Zauberteppich, Hausmeisterdienste im Jugendhaus Grogg bis hin zu touristischen und landwirtschaftlichen Projekten für den Stilfser Joch Nationalpark oder Organisation von Veranstaltungen wie die Marteller Erdbeertage und Biathlonveranstaltungen. „Mit der Bürgergenossenschaft konnten wir lokale Kreisläufe erhalten und der Abwanderung entgegenwirken“, berichtet Heidi Gamper, Gründungsmitglied und ehemalige Vizebürgermeisterin.

Amtsdirektorin Manuela Paulmichl betonte, dass Bürgergenossenschaften zahlreiche Tätigkeiten unter einem Dach vereinen können und meist aus einer kleinen Initiative hervorgehen, die dann ausgebaut werden. So kann eine Bürgergenossenschaft auch aus einer Konsum- oder Energiegenossenschaft entstehen.

Politische Unterstützung und wissenschaftliche Begleitung

Landesrätin für Genossenschaften Rosmarie Pamer zeigte sich überzeugt: „Bürgergenossenschaften sind ein zukunftsweisendes Modell, das mehr Sichtbarkeit verdient. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt – wichtig ist, breit und mutig zu denken.“ Sie verwies auf das Kompetenzzentrum für Genossenschaften an der Freien Universität Bozen, das die Entwicklung des Sektors wissenschaftlich begleitet.

Für Gemeinden stellen Bürgergenossenschaften eine praxisnahe Ergänzung zu kommunalen Dienstleistungen dar. Andreas Schatzer, Präsident des Gemeindeverbandes, betonte: „Gerade dort, wo die öffentliche Hand an ihre Grenzen stößt, können engagierte Bürger*innen viel bewegen.“

Der Raiffeisenverband Südtirol begleitet interessierte Personen auf dem Weg zur Gründung einer Bürgergenossenschaft. Die Fachleute des Verbandes rund um Christian Tanner (Vizedirektor und Leiter Bereich Soziales & Bildung), Markus Fischer (Leiter Bereich Steuern & Buchhaltungsservice), Michael Obrist (Leiter Bereich Recht) und Florian Pedron (Leiter Bereich Strategie & Mitgliederbetreuung) verfügen über fundiertes Wissen hinsichtlich möglicher Gründungswege, der einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen sowie strategischer Entwicklungsmöglichkeiten. Wer eine Idee hat, kann sich an die Start-up-Betreuung des Verbandes wenden. Dort werden die Voraussetzungen geprüft und gemeinsam ein langfristig tragfähiges Geschäftsmodell entwickelt: startup(at)raiffeisenverband.it.

Bezirk: Bozen

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