Heimatpflegeverband zu Tourismuszonen im Grünen

“Das Spiel mit der Landschaft geht weiter”

Mittwoch, 02. Oktober 2019 | 12:42 Uhr

Bozen – Der Heimatpflegeverband Südtirol fordert die Politik auf, klare Spielregeln für eine nachhaltige Tourismusentwicklung zu erarbeiten und spricht von einem rekordverdächtigen Landschaftsverbrauch für geplante neue Tourismuszonen.

“Auch 2019 feiern die Tourismustreibenden in Südtirol eine Rekord-Sommersaison. Ebenso rekordverdächtig ist der Landschaftsverbrauch für die geplanten neuen Tourismuszonen. Mit einem scheinbaren Ausweisungsstopp versucht die Landesregierung dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Doch das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Jetzt ist die Politik gefordert: Sie muss klare Richtlinien für eine nachhaltige Tourismusentwicklung schaffen und diese auch einhalten. Bereits in der Gesetzgebungsphase zum neuen Raumordnungsgesetz warnte der Heimatpflegeverband davor, dass die lange Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes 2020 Tür und Tor für Bodenspekulationen öffnet. Die Entwicklung der letzten Monate zeigt nun, dass genau das eintritt, wie die vielen Beispiele in der Dokumentation geplanter und genehmigter Tourismuszonen des Heimatpflegeverbands zeigen. In ganz Südtirol sprießen die Zonen für touristische Einrichtungen aus dem Boden”, so der Heimatpflegeverband.

Am 13. September hat der Südtiroler Landtag mit einer Erweiterung des bestehenden Raumordnungsgesetzes versucht dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Demnach sollen, bis neue Richtlinien für die Tourismusentwicklung ausgearbeitet sind, keine Tourismuszonen im Grünen mehr genehmigt werden. “Ein wichtiger Schritt, doch insgesamt leider nur ein Tropfen auf dem heißen Stein mit vielen Lücken.”

Das Problem der bereits eröffneten Verfahren

Alle vor dem 31. August eröffneten Verfahren zur Ausweisung einer touristischen Zone sind vom neuen Gesetz nicht betroffen. “Das heißt insgesamt 66 eingereichte Ansuchen mit einem Gesamtbauvolumen von 629.000 m3 und einem Flächenverbrauch von 35 Hektar können umgesetzt werden, sollten Gemeinden und Landesregierung ihre laxe Vorgehensweise bei der Genehmigung der Projekte fortsetzen”, so der Heimatpflegeverband.

“Keine Besserung mit dem neuen Raumordnungsgesetz”

“Doch auch die neue Raumordnung verspricht keine Verbesserung der Situation. Die 1997 eingeführte Bettenobergrenze wird ersatzlos gestrichen und damit dem grenzenlosen Ausbau die Tür geöffnet. Das fragwürdige Instrument der Tourismusentwicklungskonzepte wird fortgesetzt. Damit wurden bereits jetzt neue theoretische Kapazitäten von über 25.000 Betten geschaffen. Neue Tourismusgebiete können überall ausgewiesen werden, auch außerhalb des Siedlungsgebietes,
im landwirtschaftlichen oder alpinen Grün, und zwar: Beliebig in den touristisch „schwach entwickelten“ Gemeinden und sogar in touristisch stark entwickelten bzw. entwickelten Gebieten, falls ein touristischer Betrieb bereits vorhanden ist. Das heißt eine komplett neue Tourismuszone darf angrenzend an ein bereits bestehendes Hotel oder einem Urlaub-am-Bauernhof-Betrieb ausgewiesen werden”, heißt es weiter.

Geplante Tourismusentwicklungskriterien für Südtirol

Landeshauptmann Arno Kompatscher und Tourismuslandesrat Arnold Schuler haben angekündigt, dass bis Ende des Jahres ein neues Tourismusentwicklungskonzept für ganz Südtirol ausgearbeitet werden soll. Dieses soll Richtlinien enthalten um einen sparsamen Umgang mit der Landschaft und den anderen Ressourcen zu gewährleisten und eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus zu gewährleisten.

 

Um dieses Ziel zu erreichen fordert der Heimatpflegeverband folgenden Maßnahmenkatalog von der Landesregierung:

1. Ein Moratorium für die Beurteilung und eventuelle Genehmigung aller vorliegenden Projektanträge – auch jener bereits bis 31. August 2019 eingereichten Projekte – bis zur gesetzlichen Verankerung neuer Beurteilungskriterien.

2. Neue, ökologische Kriterien für die Einstufung der Gemeinden nach ihrem touristischen Entwicklungsstand.

Südtirol nimmt unter den touristisch hoch entwickelten Zentralalpenregionen eine absolute Spitzenposition ein. Der Tourismusintensitätsindex, das heißt die Übernachtungen im Verhältnis zur Wohnbevölkerung, liegt in Südtirol bei 13,3 und ist damit doppelt so hoch wie der Durchschnitt. Trotz dieser beindruckenden Zahlen bewertet die Südtiroler Landesregierung mehr als die Hälfte der Südtiroler Fraktionen als touristisch schwach entwickelte Gebiete. So werden etwa Teile der Gemeinden Terlan, Ratschings und Ritten als touristisch schwach entwickelt eingestuft.

Die „Einstufung der Gebiete nach ihrem touristischen Entwicklungsstand“ nach den bisherigen Kriterien ist angesichts des Tourismus-Booms des vergangenen Jahrzehnts im Jahr 2020 nicht mehr zeitgemäß.
Zum heutigen Stand gibt es in Südtirol 192 „touristisch gering entwickelte“, 135 „touristisch entwickelte“ und nur 24 „touristisch stark entwickelte“ Fraktionen. Hier ist ein Paradigmenwechsel notwendig, es geht um eine Umkehr der Prioritäten:

Inhaltliche Kriterien für die Neu-Einstufung touristischer Entwicklung:

– Vorrang hat das Kriterium der Aufnahmefähigkeit und der Verträglichkeit der Natur-und Kulturlandschaft. Bewertung durch eine Fachkommission mit Vertretern aus den Umweltverbänden
– Vorhandene Infrastrukturen und Ressourcen bewerten (Verkehr, Wasser, Abwasser usw.)
– Vorhandenes nachhaltiges Verkehrskonzept
– Übernachtungs- und Bettenanzahl pro Einwohner
– Auslastung der bestehenden Betten
– Vorhandener Tagestourismus

 

 

3. Neue Kriterien und Einhaltung der bestehenden Regeln für die Ausweisung von Tourismuszonen

a. Bereits bestehende Regeln für die Ausweisung von Baugrund müssen eingehalten werden

Die Ausweisung von neuen Tourismuszonen in den letzten Jahren zeigt, dass bestehende Regeln der Raumordnung von den Gemeinden und der Landesregierung nicht eingehalten werden. Das muss sich ändern indem folgendes garantiert wird:
– Einhaltung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten, Ensembleschutz und Bannzonen aller Kategorien
– Die Gutachten der Landeskommissionen müssen respektiert werden. Ein negatives Gutachten muss die Ablehnung des Projekts zur Folge haben.
– Der Landesbeirat für Landschaft und Baukultur sollte nicht nur die Qualität des Projektes bewerten können sondern auch den Standort als solchen.
– Die Strategische Umweltprüfung (UVP) nach den bestehenden Regeln sieht für jedes Verfahren einen Vorbericht, eine Arbeitsgruppe, einen Umweltbericht, öffentliche Konsultationen usw. vor. Dies wäre eine strenge und angemessene Verfahrensweise bei
allen raumwirksamen Entscheidungen, die den Rahmen für zukünftige touristische Projekte bilden könnte.

b. Neue Kriterien für die Ausweisung von Tourismuszonen

In dem geplanten Südtirol weiten Tourismusentwicklungskonzept sollte das Kriterium der Aufnahmefähigkeit und der Verträglichkeit der Natur- und Kulturlandschaft der entscheidende Faktor für die Ausweisung neuer Tourismuszonen sein.
Dazu sollten folgende Entscheidungs-Kriterien integriert werden: – Auswirkung auf das Landschaftsbild. Bewertung durch eine Fachkommission mit Vertretern aus den Umweltverbänden
– Ensembleschutz als vorrangiges Kriterium
– Sparsamer Landschafts- und Bodenverbrauch
– Berücksichtigung der Auswirkung auf die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung
– Vorhandene Infrastrukturen und Ressourcen bewerten (Wasser, Abwasser usw.)

 

4. Überarbeitung des neuen Raumordnungsgesetzes

Einer der zentralen Problemfälle im neuen Raumordnungsgesetz ist die Möglichkeit in der Nähe bestehender Tourismusbetriebe – egal wo sie sich befinden – neue Tourismuszonen auszuweisen. Das heißt, jedes Hotel, jede Pension, jeder geschlossene Hof mit Ferienwohnungen, auch in touristisch hoch entwickelten Gebieten, darf auch in Zukunft die Ausweisung neuer Tourismuszonen beantragen. Dadurch wird dem Wildwuchs und der Zersiedelung Tür und Tor geöffnet.
Diese Hintertür im neuen Raumordnungsgesetz muss von der Politik geschlossen werden.

 

5. Umweltbilanz beim Bau und Betrieb von Tourismusbetrieben

Es wäre sinnvoll eine umfassende Umweltbilanz für Hotels einzuführen. Tourismusbetriebe hätten dadurch die Möglichkeit mit einem nachhaltigen Umgang mit Landschaft und Ressourcen sowie einem zukunftsträchtigen Erreichbarkeitskonzept zu werben. In
Deutschland, nach wie vor das Hauptherkunftsland Südtiroler Touristen, sorgen sich laut der aktuellen Ausgabe des Wochenmagazins Der Spiegel drei Viertel der Bevölkerung um die Zukunft des Planeten. Immer mehr Menschen wünschen sich in allen Lebensbereichen eine nachhaltigere Art des Wirtschaftens. Dazu gehört auch der Urlaub. Diese wachsende Zielgruppe könnte mit einer solchen Umweltbilanz angesprochen werden.

 

“Die Politik muss die eigenen Richtlinien einhalten und durchsetzen”

Das geltende Landes-Raumordnungsgesetz legt fest, dass bei allen raumordnungsrelevanten Entscheidungen im Zweifel „im Interesse der künftigen Generationen vor allem den Erfordernissen der Ökologie Rechnung zu tragen ist“ (Art. 5, Abs.4). Und das neue Landesgesetz für Raum und Landschaft vom 10. Juli 2018, das ab 2010 gültig ist stellt in Artikel 1 jegliche „Raumentwicklung“ in den Kontext der „Aufwertung der Landschaft“ und der „Einschränkung des Bodenverbrauches“.
“Diese Vorgaben müssen in Zukunft von der Landesregierung verstärkt eingehalten und durchgesetzt werden. Nur so kann die einzigartige Natur- und Kulturlandschaft und die restlichen Ressourcen, die die Grundlage für die gute Lebensqualität aller Südtiroler, aber auch die Basis für den Tourismus in Südtirol sind, für die kommenden Generationen erhalten werden. Und nur so kann sich der Tourismus in Südtirol nachhaltig und auf lange Sicht profitabel weiterentwickeln und damit attraktive und nicht prekäre Arbeitsplätze sichern”, schließt der Heimatpflegeverband.

 

Von: luk

Bezirk: Bozen