Von: luk
Seiser Alm – Vertreter von Bauernverbänden und der Politik aus mehreren Ländern haben sich auch in diesem Jahr zur traditionellen Europawanderung in Südtirol getroffen. Neben dem geselligen Austausch wurde intensiv über aktuelle agrarpolitische Themen diskutiert – vor allem mit deutlicher Kritik an der EU-Kommission.
Seit vielen Jahren laden der Südtiroler Bauernbund und der EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann zur Europawanderung ein. Ziel des Treffens ist es, in ungezwungener Atmosphäre den Austausch zwischen den Bauernverbänden untereinander und der Politik zu fördern und gemeinsame Anliegen zu bündeln. Auch in diesem Jahr zeigte sich auf der Seiser Alm wieder: Die Herausforderungen in Südtirol, Österreich, Deutschland und Liechtenstein sind sehr ähnlich. „Die Europawanderung ist eine einzigartige Gelegenheit, sich auszutauschen und Anliegen gemeinsam voranzubringen“, betonte Bauernbund-Landesobmann Daniel Gasser.
Besonders wichtig sei dieser Austausch vor einem politisch herausfordernden Herbst, so der EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann. Er übte scharfe Kritik am Haushaltsentwurf der EU-Kommission: „Er ist eine Katastrophe. Die Idee, drei große Fonds – darunter einen Einheitsfonds – zu schaffen, bedeutet eine Abkehr vom föderalen System der EU hin zu einem Club von Staaten.“ Besonders problematisch sei zudem das geplante Agrarbudget. „Es würde um fast ein Viertel gekürzt. Hinzu kommt die fehlende Planungssicherheit. Unser Ziel muss sein, dass die Landwirtschaft zumindest wieder so viele Mittel erhält wie bisher.“
Auch Landesrat Luis Walcher betonte die Notwendigkeit, Kräfte zu bündeln: „Veränderte Rahmenbedingungen eröffnen auch neue Chancen – etwa im Bereich Zuerwerb oder bei erneuerbaren Energien.“ Forschung und Entwicklung, wie sie im NOI Techpark oder an der Laimburg betrieben werden, seien dabei zentral.
Ein besonderes Anliegen ist Walcher die Unterstützung der Tierzucht: „Daher wird es im kommenden Jahr eine Alm- und Tierwohlprämie geben. Gerade im Bereich Fleisch sehen wir großes Potenzial.“ Ein Augenmerk gelte natürlich der Milchwirtschaft.
Ein weiterer Fokus der Landespolitik liegt in der Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Tourismus. „Über kleine Kreisläufe dürfen wir nicht nur reden – wir müssen sie auch leben“, so Walcher. Der Landtagsabgeordnete Franz Locher lenkte den Blick auf die schwierigen Rahmenbedingungen in der Berglandwirtschaft. Ohne zusätzliche Einkommensquellen sei deren Erhalt trotz allem Idealismus nur schwer möglich. „Das muss der Politik immer wieder bewusst gemacht werden.“
Der österreichische Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig übte deutliche Kritik am EU-Haushaltsentwurf: „Hier müssen wir nachverhandeln – diesen Vorschlag dürfen wir nicht akzeptieren. Abgesehen von der EU-Kommission lehnt ihn fast jeder ab.“ Beim Umwelt- und Klimaschutz sei die Richtung klar, so Totschnig. „Der Klimawandel betrifft die Land- und Forstwirtschaft massiv – sie wird daher Teil der Lösung sein.“ Es gebe bereits viele gute Ideen, etwa Modelle zur CO₂-Bindung im Boden. Ein zentrales Anliegen Totschnigs ist der Abbau der Bürokratie: „Bürokratie verursacht Kosten, bringt keine Wertschöpfung und schwächt die Wettbewerbsfähigkeit. Immer neue Auflagen sind den Bäuerinnen und Bauern nicht mehr vermittelbar. Was sie stattdessen brauchen, ist Planbarkeit, Stabilität und Sicherheit.“
Beim Thema Wolf lobte Dorfmann die Fortschritte auf EU-Ebene: „Die Herabstufung des Schutzstatus war richtig und wichtig. Zudem wird die Wolfspopulation nun grenzübergreifend und nicht mehr national bewertet. Das eröffnet neue Möglichkeiten, den guten Erhaltungszustand zu belegen und Entnahmen zu rechtfertigen.“ Für Diskussionen sorgten zuletzt das Naturwiederherstellungsgesetz und die EU-Entwaldungsverordnung. Letztere könnte laut Dorfmann noch abgeschwächt werden – in der jetzigen Form würde sie nur zusätzliche Bürokratie bedeuten. Kritisch äußerte sich Dorfmann auch zum geplanten Zollabkommen mit den USA. „In der aktuellen geopolitischen Lage, in der sich die Weltordnung verändert und große Player zunehmend auf sich selbst fokussieren, muss die EU ihre Abhängigkeit von Drittländern – etwa bei Lebensmitteln oder Energie – reduzieren. Dazu gehört auch eine starke europäische Landwirtschaft.“
Nach der Sommerpause steht in Brüssel die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens an. Der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Joachim Rukwied, stellte klar: „Der DBV lehnt das Abkommen ab.“ Auch das EU-Bodenüberwachungsgesetz stieß bei ihm auf Ablehnung, weil es nur zusätzliche Bürokratie schaffe. Beim Green Deal gelte es nun, die richtigen Weichen zu stellen. Scharfe Kritik übte auch Rukwied am Haushaltsentwurf der EU. Eine besondere „Gefahr“ sah er im möglichen EU-Beitritt der Ukraine: „Die Leidtragenden wären in einem solchen Fall die vielen kleinen, familiengeführten Landwirtschaftsbetriebe in Europa.“
Der Präsident des Bayerischen Bauernverbands, Günther Felßner, unterstrich die Bedeutung einer starken europäischen Landwirtschaft: „Lokale Produktion bedeutet Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ernährungssouveränität.“ Besonders großes Potenzial sieht er bei den erneuerbaren Energien.
Sorgen bereiten Josef Hechenberger, dem Präsident der Landwirtschaftskammer Tirol und Nationalrat, die zunehmenden Tierseuchen. Zudem kritisierte er die schwierige Zulassungssituation bei Pflanzenschutzmitteln: „Obwohl ständig neue Schädlinge und Krankheiten auftreten, nimmt die Zahl der zugelassenen Wirkstoffe ab. Hier braucht es ein Umdenken.“
Zum Abschluss der Europawanderung haben sich die Teilnehmer darauf verständigt, bei den besprochenen Themen abgestimmt und geschlossen aufzutreten, um die Interessen der Landwirtschaft in Europa gemeinsam zu vertreten.
An der traditionellen Europawanderung nahmen u. a. Herbert Dorfmann, Handelskammer-Präsident Michl Ebner, Daniel Gasser, Josef Hechenberger, Joachim Rukwied, Günther Felßner, die Kastelruther Bürgermeisterin Cristina Pallanch, Norbert Totschnig, Luis Walcher und die Landesbäuerin Antonia Egger teil.
Aktuell sind 0 Kommentare vorhanden
Kommentare anzeigen