Von: mk
Sarnthein – Mehr als 40 Menschen kamen um 17 .30 Uhr nach Sarnthein, um gemeinsam die elfte Tür – jene zum Pfarrheim – des schokoladigen Adventskalenders sweet afFAIR zu öffnen. Die Ortsgruppen der Katholischen Jungschar und Jugend, der Katholischen Frauenbewegung und des Pfarrgemeinderates hatten eingeladen. Vier junge Musikanten umrahmten die Aktion mit ihrer Ziehharmonika, Katharina Gschnell vom Schauspielkollektiv binnen-I ging in einer theatralischen Einlage vor versammelter Gemeinschaft eine Affäre mit fairer Schokolade ein, die Menschen genossen das Schaukochen von Schokolade und verkosteten faire Tafel- und Trinkschokolade.
Dekan P. Paul Lantschner bezeichnete den fairen Kakao und den fairen Handel nicht als Alternative, sondern als einzig gangbaren Weg und also für eine langfristige Beziehung geeignet. Bürgermeister Franz Locher verglich die Sensibilisierung zum fairen Handel mit jener zur Müllvermeidung vor mehreren Jahren: Damals hätten sich Menschen noch dazu verleiten lassen, Müll wegzuschmeißen. Heute hingegen sei jedem bewusst, dass Müllvermeidung und -trennung der zukunftsträchtige Weg sei. Steter Tropfen höhle den Stein, auch beim fairen Handel, meinte der Bürgermeister und hieß sweet afFAIR herzlich willkommen.
Obwohl der Weltmarkt nach immer mehr Schokolade giert, steckt der Kakaoanbau an der Elfenbeinküste und in Ghana in der Krise. Um auf diese Tatsache aufmerksam zu machen, öffnen die Südtiroler Weltläden und die oew-Organisation für Eine solidarische Welt in der heurigen Adventszeit in 24 Südtiroler Ortschaften 24 besondere Türen. Ziel von sweet afFAIR ist es, Alternativen zur konventionellen Schokolade aufzuzeigen und den Wert und die Wichtigkeit fair gehandelter Schokolade aufzuzeigen. Weil vor allem junge Menschen keine Perspektiven auf den Kakaoplantagen in Äquatornähe mehr sehen, suchen sie ihr Glück in der Stadt oder eine bessere Zukunft in Europa. Wenn sich auf den Kakaofeldern nicht maßgeblich etwas ändert, wird sich Kakao in nächster Zukunft enorm verknappen und die Krise auch Europa erreichen. Nur knapp ein Prozent der in Südtirol verkauften Schokolade ist fair gehandelt.
Elf Aktionen haben bereits stattgefunden, alle weiteren Termine gibt es hier.
Zahlen und Fakten zum Kakao
Zwei Drittel des weltweiten Kakaos wachsen an der Elfenbeinküste und in Ghana. Experten sagen in den kommenden Jahren eine Kakaokrise voraus: Wenn sich die Anbaubedingungen auf den westafrikanischen Kakaoplantagen nicht verbessern, wird auch Europa die Auswirkungen in einigen Jahren spüren.
Die Europäerinnen und Europäer sind Weltmeister im Schokoladenverzehr. 1,8 Millionen Tonnen Kakaobohnen konsumieren sie jährlich als Tafelschokolade, Glasur, Creme, in flüssiger oder Pulverform.
Jeder Deutsche nimmt pro Jahr 12,2 Kilogramm Schokolade zu sich, Zahlen für Südtirol liegen nicht vor, der Durchschnitt für Italien beträgt 3,9 Kilogramm pro Jahr. Seit 35 Jahren hat sich der Preis der Kakaobohne nicht mehr erhöht, die Arbeitsbedingungen der Bauern und Bäuerinnen auf den Plantagen haben sich radikal verschlechtert, die Ernte geht zurück, der Pestizideinsatz erhöht sich aufgrund von Monokulturen. Im heurigen April sank der Mindestkilopreis in der Elfenbeinküste von 1,7 Euro auf 1 Euro pro Kilo verkaufter Bohnen.
Das Einkommen der Bauern und Bäuerinnen in der Elfenbeinküste beträgt einen halben Euro pro Tag und liegt weit unter der Armutsgrenze, welche mit zwei Euro pro Tag beziffert wird. Für ein existenzsicherndes Einkommen müsste sich der Kilopreis der Bohne vervierfachen und auf 4,5 Euro erhöhen.
Vielen Kakaogemeinschaften fehlen Grundinfrastrukturen wie Straßen, Schulen und Krankenhäuser. Das niedrige Einkommen erlaubt es den Plantagenbesitzer*innen nicht, ihren Kakao-Baumbestand zu erneuern. Junge Menschen sehen keine Zukunft mehr im Kakaoanbau und wandern in die Städte ab. Kinderarbeit ist im Kakaoanbau vor allem an der Elfenbeinküste weit verbreitet: Rund 150.000 Kinder müssen dort unter schwierigsten Umständen arbeiten. Häufig werden sogar Kinder aus den Nachbarstaaten Burkina Faso und Mali gekauft oder entführt und zur Arbeit auf den Plantagen gezwungen: Derzeit wird ihre Zahl auf 20.000 geschätzt.
Die lukrativen Schritte der Verarbeitung finden hauptsächlich in Europa und den USA statt. Vier Großkonzerne dominieren derzeit die Vermahlung und den Handel von Kakao: Barry Callebaut (Schweiz), Cargill (USA), ADM (USA) und Blommer (USA). Gemeinsam kontrollieren diese Betriebe mehr als die Hälfte des Weltmarktes. Sie agieren im Hintergrund und sind der Öffentlichkeit kaum bekannt. Von ihnen kaufen Schokoladeproduzenten wie Mondelez (Milka, Oreo), Nestlè (KitKat, Lion, Nesquik), Mars (Mars, Bounty, Snickers, m&m’s, Twix), Hersheys, Ferrero (kinder, nutella, duplo, ferrero rocher, hanuta), Lindt & Sprüngli und Storck (Merci, Dickmann’s, Riesen, Toffifee, Knoppers) Kakaomasse, Kakaobutter oder Kakaopulver und bereiten daraus ihre Schokoladeprodukte zu.
Vom Gesamtpreis einer Schokolade in den Südtiroler Geschäftsregalen erhält der Bauer oder die Bäuerin in Ghana und an der Elfenbeinküste nur rund 6,6 Prozent. Das Siebenfache dessen verdient der Einzelhandel.
Der weltweite Nettoumsatz der Schokoladenindustrie beläuft sich derzeit auf rund 100 Milliarden Euro jährlich. Die Nachfrage nach Kakao steigt ständig. 5,5 Millionen Bauern und Bäuerinnen des Globalen Südens leben vom Kakaoanbau.