Von: APA/Reuters
Ökonomen warnen vor erheblichen wirtschaftlichen Folgen im Falle einer Blockade der für den Öltransport wichtigen Straße von Hormuz durch den Iran. Der Ölpreis für die Nordseesorte Brent könne dann binnen kurzer Zeit auf 120 Dollar (104 Euro) pro Barrel (159 Liter) klettern, schrieben die Ökonomen Robin Winkler und Marc Schattenberg von Deutsche Bank Research in einer am Montag veröffentlichten Kundennotiz.
In Deutschland und der Eurozone würde ein Anstieg dieser Größenordnung die Einfuhrkosten um etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erhöhen. Das lasse auch die Inflationsrate kurzfristig um etwa einen Prozentpunkt steigen. “Die derzeitige Konjunkturerholung würde abbrechen”, warnen die beiden Experten.
Gravierende wirtschaftliche Folgen auch für Österreich
Mit dem Szenario einer länger anhaltenden Schließung der Straße von Hormuz hat sich auch Oxford Economics befasst. Laut einer Simulationsrechnung des britischen Research-Hauses könnte der Ölpreis dabei auf bis zu 130 Dollar emporschnellen. Für Österreich würde dies bedeuten, dass die Inflationsrate bis Ende 2025 auf bis zu 5 Prozent steigt, schätzte Wifo-Ökonom Josef Baumgartner vergangene Woche auf Grundlage der Simulation gegenüber der APA.
Auch die Ökonomen der ING-Bank rechnen bei einer erfolgreichen Blockade damit, dass der Brent-Preis kurzfristig bis auf 120 Dollar steigen wird. “Bei einer längeren Blockade (bis Ende 2025) würden die Preise wahrscheinlich über 150 Dollar je Barrel steigen und neue Rekordhöhen erreichen”, sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Höhere Ölpreise dürften zwar die Förderung in den USA ankurbeln. “Aber es wird einige Zeit dauern, bis dieses zusätzliche Angebot auf den Markt kommt”, fügte Brzeski hinzu.
19 Mio. Barrel Öl passieren Straße von Hormuz täglich
Angesichts zunehmender Versorgungsängste verteuerte sich Brent zu Wochenbeginn kurzzeitig um 5,7 Prozent auf 81,40 Dollar. Zuletzt lag der Preis bei knapp 77 Dollar. Die USA griffen am Wochenende iranische Atomanlagen an. Teheran könnte als Reaktion die Straße von Hormuz blockieren: Durch die Meerenge entlang der Südküste des Irans werden etwa 19 Millionen Barrel Öl täglich transportiert. Mehr als 80 Prozent davon landen in Asien, so die ING-Analyse. “Daher würde der Iran darauf achten, China nicht zu verärgern, indem er die Ölströme unterbricht”, sagte Chefökonom Brzeski. “Außerdem fließt iranisches Öl auch durch die Straße von Hormuz.”
Für Volkswirtschaften in Europa und Asien bedeute ein Ölpreisschock einen stärkeren konjunkturellen Gegenwind als für die USA, die seit einem Jahrzehnt ein Netto-Ölexporteur sei. “Doch auch in den USA würde die Inflation in diesem Risikoszenario wieder spürbar anziehen”, betonten Winkler und Schattenberg von Deutsche Bank Research.
Weltwirtschaft könnte kurzfristige Blockade verkraften
Die Auswirkungen eines höheren Ölpreises auf die Weltwirtschaft dürften davon abhängen, wie lange der Rohstoff so teuer bleibt. “Sollten die Preise nur für einige Tage oder auch ein paar Wochen auf dem erhöhten Niveau bleiben und sich der Markt dann beruhigen, wäre die Weltwirtschaft vermutlich ausreichend resilient und würde in der Lage sein, mit dem derzeit moderaten Wachstum fortzufahren”, sagte der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia. “Hält der Energiepreisschock jedoch ein halbes Jahr oder länger an, ist mit einer globalen Stagflation oder gar Rezession zu rechnen.”
Ein Energiepreisschock dürfte die Zentralbanken vor erhebliche Herausforderungen stellen. Selbst wenn dieses Ereignis die USA und die Eurozone in eine Rezession führen würde, dürften die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen nur geringfügig senken, “aus Furcht davor, dass sie an Glaubwürdigkeit beim Kampf gegen die Inflation verlieren”, sagte de la Rubia. ING-Chefvolkswirt Brzeski fügte mit Blick auf die EZB hinzu: “Eine Zinssenkung im Juli ist nun eindeutig vom Tisch”.
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