Verteilungsgerechtigkeit

Reiches Land Südtirol – aber gilt das für alle?

Mittwoch, 30. Juli 2025 | 10:31 Uhr

Von: mk

Bozen – Der „Regionenbericht“ der Banca d’Italia müsste die Südtirolerinnen und Südtiroler glücklich stimmen: Mit einem Wert von 353.000 Euro liegt die Provinz Bozen auf gesamtstaatlicher Ebene tatsächlich an erster Stelle in Sachen durchschnittliches Nettovermögen pro Kopf. „Dies bedeutet jedoch nicht immer gleich Reichtum: Der Wert einer Wohnung, der in Südtirol weit über dem gesamtstaatlichen Durchschnitt liegt, stellt zwar ein ‚Vermögen‘ dar, welches aber im Alltag nicht ausgegeben werden kann“, kommentiert AFI-Präsident Stefano Mellarini. „Wir dürfen auch nicht vergessen, dass diese Auswertungen nicht alle Facetten einer Gesellschaft vollständig abbilden, in der sehr reiche Menschen und jene, die sehr wenig haben, zusammenleben.“

Im Vergleich zur Provinz Trient und anderen italienischen Regionen ist Bozen das reichste Gebiet auf gesamtstaatlicher Ebene: Dies geht aus dem letzten „Regionenbericht“ der italienischen Nationalbank Banca d’Italia hervor. Mit einem Durchschnitt von 353.000 Euro pro Kopf hebt sich das Nettovermögen der Südtiroler deutlich von allen anderen ab.

Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass in der Provinz Bozen alle „im Geld schwimmen“. Die Studie ermöglicht zwar einen allgemeinen Überblick, lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Unterschiede innerhalb der Gesellschaft zu, die für die Südtiroler Arbeitnehmenden hingegen recht offensichtlich sind. „Durchschnittswerte können irreführend sein“, erklärt AFI-Direktor Stefan Perini, „da die Unterschiede zwischen denen, die wenig haben, und denen, die viel haben, oft erheblich sind. Man könnte auch vom Paradoxon des ‚Pollo di Trilussa‘ sprechen: Wenn eine Person zwei Hühner isst und eine andere nichts isst, haben laut Durchschnitt beide jeweils ein Huhn gegessen.“

Im Themenblock dieser Ausgabe des AFI-Barometers wurde untersucht, wie die Arbeitnehmer:innen in Südtirol die Unterschiede zwischen Arm und Reich einordnen. Es ist daher wichtig zu betonen, dass sich die folgenden Daten auf die wahrgenommene Ungleichheit beziehen und nicht auf die tatsächlich aus Verwaltungsdaten hervorgehende oder in wissenschaftlichen Studien ermittelte Ungleichheit.

78 Prozent sehen deutliche Unterschiede zwischen Arm und Reich

Fast vier von fünf Südtiroler Arbeitnehmenden beurteilen die Kluft zwischen „Arm” und „Reich” als „groß” (58 Prozent) oder „sehr groß” (20 Prozent); diese Kluft als „klein” oder „sehr klein” bezeichnen hingegen 19 Prozent bzw. Drei Prozent der Befragten, insgesamt also 22 Prozent. Die Daten weichen also wenig von jenen des Vorjahres ab, in dem 80 Prozent einen großen Unterschied wahrnahmen und 20 Prozent ihn hingegen als gering einschätzten.

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Lohn- und Wirtschaftspolitik weiterhin als Hauptursachen

Vergleicht man die Antworten mit jenen der letzten Befragung, so werden auch die Ursachen für die Ungleichheit bestätigt: Die Lohnpolitik (25 Prozent) steht als Ursache an erster Stelle, dicht gefolgt von der lokalen und nationalen Wirtschaftspolitik (24 Prozent). Wie auch im Vorjahr schon kommt an dritter Stelle die Arbeitsleistung, also die Tatsache, dass „einige härter arbeiten als andere”. Das Schlusslicht bilden das Steuersystem (13 Prozent), die Internationalisierung und Globalisierung (elf Prozent) und das Bildungssystem (neun Prozent).

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Südtiroler setzen auf harte Arbeit und gute Ausbildung

Was brauchen also diejenigen, die wenig haben, um die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern? „Hart arbeiten” (7,9 im Durchschnitt auf einer Skala von null bis zehn) scheint der effektivste Weg zu sein, um auf der sozialen Leiter hochzuklettern – aber laut den Befragten ist es nicht der einzige. Ein weiterer entscheidender Faktor scheint in der Tat die Bildung zu sein (7,5), aber auch „die richtigen Leute zu kennen” (also über ein gutes Netzwerk zu verfügen) hilft. Es folgen „ein Mann zu sein”, „Glück zu haben” und „einer wohlhabenden Familie anzugehören” (alle mit 6,4 Punkten).

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„Das Engagement des Einzelnen in Beruf und Studium scheint nach wie vor der entscheidende Faktor zu sein, um in Südtirol erfolgreich zu sein“, sagt AFI-Präsident Mellarini. „Meritokratie wird daher immer noch als wichtiger angesehen als beispielsweise das altbekannte ‚Vitamin B‘. Etwas beunruhigend ist hingegen der Umstand, dass es als Nachteil angesehen wird, eine Frau zu sein, was ein Symptom für eine zumindest wahrgenommene Geschlechterdiskriminierung ist, die nach wie vor überwunden werden muss.“

Das Vermögen der Südtiroler Haushalte laut der Banca d‘Italia

Ende 2023 – das sind die aktuellsten Daten, die es gibt – belief sich das Nettovermögen der Südtiroler Haushalte auf insgesamt 189 Milliarden €. Dieser Wert ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Immobilien- und Finanzvermögen in Höhe von 204 Milliarden Euro und den bestehenden Verbindlichkeiten von rund 15 Milliarden Euro.

Bezieht man dies auf die Bevölkerung, ergibt sich daraus ein Pro-Kopf-Vermögen von 353.000 Euro – knapp doppelt so viel wie der italienische Durchschnitt von 191.000 Euro. Bemerkenswert ist auch die Entwicklung des Gesamtvermögens: In den letzten zehn Jahren ist es in der Provinz Bozen um 33 Prozent gestiegen, während die Inflation im selben Zeitraum bei 27 Prozent lag.

Bei der Bewertung dieser Zahlen sind jedoch einige Faktoren zu berücksichtigen; so spielen die hohen Wohnkosten in Südtirol eine zentrale Rolle. Das Immobilienvermögen wird auf etwa 90 Milliarden Euro geschätzt und macht damit rund 50 Prozent des gesamten Nettovermögens aus. Dieser hohe Anteil ist auch auf die überdurchschnittlich hohe Eigentumsquote hierzulande zurückzuführen, die bei rund 70 Prozent liegt. Nicht zuletzt sind auch die über dem italienischen Schnitt liegenden Lebenshaltungskosten in Südtirol zu beachten. Sie relativieren die hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Provinz Bozen und führen dazu, dass sich die reale Kaufkraft Südtirols jener des restlichen Italiens annähert.

Bezirk: Bozen

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