Sparkasse kontert

Sparkasse-Aktien: VZS erwägt Sammelklage

Freitag, 14. Juli 2017 | 17:59 Uhr

Bozen – Anlässlich der Kapitalerhöhung zwischen Oktober und Dezember 2012 hat die Sparkasse bei  5.020 alten und 5.916 neuen Aktionären bankeigene Aktien für einen Gegenwert von fast 100 Millionen Euro platziert. Dies erklärt die Verbraucherzentrale Südtirol (VZS) in einer Aussendung.

„Der Verkaufspreis war damals mit 210 Euro je Aktie festgelegt worden; nach knapp vier Jahren ist der Wert der Aktie heute um mehr als 50 Prozent geringer. Genauer gesagt beläuft sich der neue Referenzwert der Aktien, wie ihn die Sparkasse offiziell mitteilt, auf 12,50 Euro je Aktie; dabei ist der Aktiensplit (zehn neue Aktien für eine alte Aktie) zu berücksichtigen, der im April 2015 beschlossen wurde. Der Mindestverhandlungspreis liegt bei zehn Euro, der höchste bei 20 Euro; soweit uns bekannt ist, wurden Aktien auch um zehn Euro verkauft. Unmittelbar nach Abschluss der Kapitalerhöhung beschloss der Verwaltungsrat der Bank am 21.12.2012 eine Änderung des Systems beim Aktienhandel: Es wurden Höchstgrenzen für den Verkauf der Aktien eingeführt, und man konnte mit einem Verkaufsauftrag maximal 500 Aktien verkaufen“, erklärt die VZS.

Dies habe nicht nur den mehr als halbierten, heutigen Wert der Aktien nach sich gezogen, sondern es habe auch dazu geführt, dass die Aktien nur schwer liquidierbar sind und man bei Verkauf schwere Verluste erleide – mit allen entsprechenden Nachteilen und Einschränkungen für die Aktienbesitzer, so die VZS.

Der Kernpunkt sei jedoch ein anderer. Die Verbraucherzentrale hat den Informationsprospekt der Kapitalerhöhung von 2012, über welchen der Verkauf der Aktien an die Sparer erfolgte, dem unabhängigen Analysten und RA Massimo Cerniglia zur Untersuchung übergeben. Bei dieser Überprüfung seien schwerwiegende Unregelmäßigkeiten und Nichterfüllungen vonseiten der Sparkasse im Rahmen der Platzierung ans Licht gekommen.

Im Prospekt selbst würden einige für eine bewusste Anlageentscheidung absolut relevante Informationen fehlen.

Erstens stehe auf Seite 15 des Prospekts: „Das letzte Rating über die mittel/langfristigen Einlagen, das der ausgebenden Gesellschaft am 14.05.2012 von Moody’s Investor Service erteilt wurde, ist Ba1 (sub investment grade) mit negativem outlook“. Was im Prospekt nicht stehe, sei, dass die Sparkasse seit Anfang 2012 ein Rating von Baa2 gehabt habe (mittlere Qualität), welches dann im Mai um zwei Levels abgesenkt worden sei, womit sich die Bewertung auf einem „spekulativen“ Level ergeben habe. „Diese wichtige Information über den objektiv negativen Trend der Südtiroler Sparkasse wurde dem Markt nicht gegeben“, erklärt die VZS.

Zweitens sei der wesentliche Einfluss, den die hohe Verschuldung der Raetia SGR, die zu 97,80 Prozent der Sparkasse gehört, auf die Vermögenssituation der Sparkasse habe, verschwiegen worden.

„Diese Unterlassung ist besonders schwerwiegend, wenn man berücksichtigt, dass die kritischen Situationen der kontrollierten Gesellschaft bereits seit 2012 in der Bilanz der Sparkasse ihren Niederschlag fanden – die Sparkasse hätten diese Situation also im Prospekt offenlegen müssen, was jedoch nicht geschehen ist“, so die VZS.

Die VZS verweist dabei auf den Art. 173 des Finanzeinheitstextes: „Wer in der Absicht, sich oder anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, in den für öffentliche Angebote oder Zulassung zu quotierten Märkten erforderlichen Prospekten der Finanzprodukte, oder in den Dokumenten, welche anlässlich von öffentlichen Tausch- oder Kaufangeboten veröffentlicht werden müssen, mit der Absicht, die Adressaten des Prospekts zu täuschen, falsche Informationen gibt oder Daten oder Nachrichten verschweigt, auf eine Weise, die geeignet ist, genannte Adressaten in die Irre zu leiten, wird mit einer Gefängnisstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft.“

Die Berater der Verbraucherzentrale hätten auch noch weitere, schwerwiegende Unregelmäßigkeiten gefunden.

Seit 2008 habe die Südtiroler Sparkasse den Finanzberatungsdienst auf die gesamte Retail-Kundschaft ausgedehnt. Im Rahmen des Beratungsdiensts für Finanzdienstleistungen sei die vermittelnde Bank verpflichtet, die sogenannte „Geeignetheit“ („adeguatezza“) der Bewegungen zu bewerten. Im Sinne von Art. 40 des Consob-Reglements von 2007 müssten die Vermittler, anhand der von den Kunden gelieferten Informationen und unter Berücksichtigung der Eigenschaften des geleisteten Dienstes, sicherstellen dass eine im Rahmen der Dienstleistung der Portfolio-Verwaltung angeratene oder getätigte Bewegung folgende Kriterien einhält. Die Bewegung sollte den Anlagezielen des Kunden entsprechen. Der Kunde sollte finanziell in der Lage sein, jedes mit der Geldanlage verbundene Risiko zu tragen – in Vereinbarung mit seinen Anlagezielen – und: Der Kunde sollte die notwendige Erfahrung und Kenntnis haben, um die mit der Bewegung oder der Portfolio-Verwaltung verbundenen Risiken zu verstehen.

„Da die Sparkasse im Rahmen der Finanzberatung tätig war und ist, müssen diese Normen eingehalten werden, und daher war sie bei Handel und Platzierung der Titel verpflichtet, die Geeignetheit zu überprüfen. Für die Platzierung der eigenen Aktien bei Kunden mit niedrigem oder mittel-niedrigem Risikoprofil fiel die Bewertung der Geeignetheit negativ aus, daher liest man in den persönlichen Empfehlungen, welche die Sparkasse den Kunden aussprach, diese sollten den Kauf der Aktien ‚meiden‘; die Gründe für diese Empfehlung wurden jedoch nicht ausgeführt, und diese Empfehlungen wurden den Kunden auch nicht als Bestätigung der Kenntnisnahme zur Unterzeichnung vorgelegt“, so die VZS.

Zeitgleich mit der Ausgabe der Empfehlung, den Kauf zu meiden, habe die Sparkasse den Auftrag zum Kauf der Titel ausgefertigt; auf den Aufträgen liest man „Auftrag direkt vom Kunden erteilt“, sodass die Verkäufe als „Execution only“-Geschäfte getätigt worden seien, welche die Kunden nur in stark eingeschränkten Maß schützen würden, wobei jedenfalls eine unzulässige Bewertung der mangelnden Angemessenheit der Wertpapiere für die Kunden vorgenommen worden sei, erklärt die VZS.

„Hierbei ist anzumerken, dass viele Aktionäre berichten, überhaupt keine Kenntnis davon zu haben, dass sie einen expliziten Auftrag zur Durchführung dieser Bewegung erteilt hätten, obschon man ihnen geraten hatte, die Bewegung zu ‚meiden‘. Solcherart konnte die Sparkasse die Bewegungen von den einzelnen Aktionären durchführen lassen, trotz gegenläufiger festgestellter und festgehaltener Unangemessenheit, die sich in der Empfehlung ‚meiden‘ niederschlägt“, fährt die VZS fort.

Diese Vorgehensweise laut VZS „offensichtlich widerrechtlich, nicht korrekt und hebelt die bestehenden Normen aus“. „Laut Art. 39 und 40 des Consob-Reglements Nr. 16190/2007, welches die MiFID 1 Richtlinie umsetzt, können ‚ungeeignete‘ Bewegungen in keinem Fall vom Vermittler durchgeführt werden – das vorhergehende Reglement (Nr. 11522/1998, Art. 29) erlaubte dies. Somit genießen heute die Kunden den höchsten Schutzgrad: Der verfassungsgemäße Schutz des Ersparten überwiegt sogar über deren ausdrücklich festgehaltenen Willen. Wenn also diese neuen Artikel verlangen, dass der Finanzvermittler den ausdrücklichen Willen des Kunden nicht ausführen darf, ist es auch nicht vorstellbar, dass der Kunde auf die Schutzmechanismen im Rahmen des Beratungsdiensts verzichten darf und selbst die Durchführung der Bewegung verlangen darf, wie es andererseits in vielen der untersuchten Fälle vorgekommen ist.“

Mit einer solchen Strategie würden die Art. 39 und 40 des Reglements von 2007 offensichtlich umgangen, wobei auch die Vorgaben des Art. 21 des Finanzeinheitstextes verletzt würden. Dieser besage, dass der Vermittler sorgfältig, korrekt und transparent handeln müsse, um den „Rechten des Kunden und der Integrität der Märkte bestmöglich gerecht zu werden“. Dies könne im Extremfall bedeuten, dass die Geschäftsbeziehung zum Kunden aufgelöst werden müsse, wie der Kassationsgerichtshof vor kurzem in einer von RA Cerniglia betreuten Streitsache feststellte (Urteil Nr. 16828/16).

„Es ist ebenfalls klar, dass es nicht im besten Interesse der Kunden ist, ein nicht geeignetes Finanzprodukt zu erwerben, es jedoch im kommerziellen Interesse der Sparkasse ist, stets die eigenen Wertpapiere, vor allem die Aktien, zu verkaufen – auch an Kunden mit niedriger oder vorsichtiger Risikoneigung“, so die VZS.

In der Folge dieses Vorgehens hätten tausende Kunden der Sparkasse auch bis zu 50 Prozent ihrer Ersparnisse verloren.

„In einigen Fällen wurde den Sparern auch ein neues Risikoprofil ausgefertigt, kurz bevor die Platzierung der Aktien erfolgte. Auch dieses Vorgehen ist nicht akzeptabel, da das Risikoprofil dazu dient, nur angemessene und geeignete Bewegungen durchzuführen, und sicher nicht dem Risiko des Produkts angepasst werden darf, welches die Bank verkaufen möchte“, erklärt die VZS.

In Anbetracht all dessen erwägt man in der VZS, ob die Voraussetzungen für eine Sammelklage („class action“) oder alternativ für Klagen von Sparergruppen gegen die Sparkasse bestehen, und auch ob die Börsenaufsicht aufgrund unterlassener Aufsicht belangt werden soll.

Der erste notwendige Schritt sei, dass jene Sparer, die bei der Kapitalerhöhung 2012 Aktien gekauft haben, innerhalb 15. Oktober 2017 mit einem Schreiben die Verjährung unterbrechen und Schadenersatz von der Sparkasse und der Consob verlangen. Die VZS stellt dazu ein Musterschreiben auf www.verbraucherzentrale.it zur Verfügung. Der Brief müsse per Einschreiben mit Rückantwort an die Sparkasse und die Consob sowie per Normalbrief zur Kenntnis an die VZS und die Staatsanwaltschaft Bozen geschickt werden, damit diese eventuell in ihre Kompetzenz fallende Umstände überprüfen kann.

Die Sparkasse nimmt Stellung

Nicola Calabró, Beauftragter Verwalter und Generaldirektor der Sparkasse, nimmt zu den Ausführungen der VZS Stellung: „Wir werden die Ausführungen der Verbraucherschutzzentrale eingehend prüfen. Wir haben bereits in der Vergangenheit die dargestellten Inhalte begutachtet und sämtliche gewonnene Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Bank stets gemäß den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen gehandelt hat. Diesbezüglich sei an das Urteil vom 30.April 2015 des Banken-Ombudsman erinnert, der verfügt hat, dass den Beanstandungen eines Kunden hinsichtlich der im Rahmen der Gesellschaftskapitalerhöhung von 2012 getätigten Aktieninvestitionen nicht stattgegeben werden kann. Wir sind zuversichtlich, dass derartige Initiativen vonseiten der Verbraucherzentrale zu keinen falschen Erwartungen bei den Aktionären führen werden und dass diese sich nicht zu unnötigen Ausgaben verleiten lassen. Im Allgemeinen beinhaltet eine Anlage in Aktien immer auch, dass der Kurs großen Schwankungen unterliegen kann, die von der allgemeinen Marktsituation und von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens abhängen. Die Folgen der Wirtschaftskrise haben bei den Aktien im Banksektor generell zu einer negativen Kursentwicklung geführt. In den letzten zehn Jahren hat der Index der börsennotierten Banken rund 70 Prozent seines Wertes verloren. Es erscheint deshalb als nicht korrekt, die Preisveränderungen bei der Sparkassenaktie als besonderen Umstand einer einzelnen Bank darzustellen. Wir sind stets bereit, besondere Fälle und außerordentliche Situationen einzeln zu bewerten und dafür spezifische Lösungen zu finden.“

Präsident Gerhard Brandstätter betont: „Wir begegnen unseren Aktionären mit großem Respekt und sind überzeugt, ihnen in Zukunft die Ergebnisse bieten zu können, die sie sich verdienen. 2017 wird für unsere Bank ein Jahr sein, in welchem sie wieder mit sehr positiven Resultaten aufwarten kann. Wir sind sicher, dass dieser gute Verlauf das Vertrauen unserer Aktionäre zunehmend stärken wird. Am 24. Juli werden wir die Zahlen der Halbjahresbilanz veröffentlichen, aus welchen eine solide, im Wachstum begriffene und profitable Bank hervorgehen wird.“

Von: mk

Bezirk: Bozen