Von: ao
Bozen – Insgesamt 1.700 Menschen haben in der Adventszeit die 24 Aktionen von sweet afFAIR besucht. Der Umsatz von fair gehandelter Schokolade in den 15 Südtiroler Weltläden ist im Dezember 2017 im Vergleichsmonat zu 2016 um 20 Prozent angestiegen.
Sie haben mit dem Begriff der Affäre gespielt und hoffen nun auf langfristige Bindungen: Die Schokoladenkampagne der Südtiroler Weltläden und der Brixner oew-Organisation für Eine solidarische Welt kam in der Adventszeit mit sweet afFAIR locker daher und lud zum Seitensprung mit fairer Schokolade ein. Die Zahlen und Fakten rund um den Anbau von konventioneller Schokolade in Äquatornähe allerdings bedrücken: Zu tausenden verlassen junge Menschen die Plantagen an der Elfenbeinküste und in Ghana, weil sie kein Einkommen mit dem Auskommen haben und flüchten unter anderem nach Europa. Auch in Südtirol haben Menschen aus der Elfenbeinküste und aus Ghana um Asyl angesucht. Die Betreiber*innen der 15 Südtiroler Weltläden freuen sich über den im Dezember 2017 merkbar gestiegenen Umsatz von fairer Schokolade. So konnte der Weltladen Lana seinen Schokoladenverkauf im Vergleich zum Dezember 2016 verdoppeln, der Weltladen Latsch stellt eine Steigerung von 80 Prozent fest, der Weltladen Meran schrieb ein Plus von 50 Prozent, im Weltladen Toblach wurde ein Viertel mehr an Schokolade verkauft, im Weltladen Sterzing erhöhte sich der Verkauf um 20 Prozent, die Weltläden Brixen und Bozen vermelden jeweils ein Umsatzplus von zehn Prozent.
Brigitte Gritsch, Koordinatorin der Südtiroler Weltläden, freut sich über die sichtbaren Auswirkungen der Schokoladenkampagne sweet afFAIR: „Wir konnten mit unseren 24 Aktionen in den verschiedenen Südtiroler Ortschaften neue Zielgruppen erreichen“, sagt sie. Besonders bei den Menschen im westlichen Landesteil habe sich Sensibilität für dieses Thema entwickelt, das in der lauten und oft stressintensiven Adventszeit leicht überhört werde. Verena Gschnell verantwortet bei der oew in Brixen den Bereich des bewussten Konsums. Sie weiß um die Herausforderung von Bildungsarbeit und um das Muss des ständigen Dranbleibens: „Wir dürfen nicht lockerlassen und werden den Menschen auch weiterhin auf bunte und zugleich herausfordernde Art globale Zusammenhänge erklären“, sagt sie. Viele Menschen, auch Wohlhabende, schauten beim Einkauf häufig nur auf den Preis und kümmerten sich nicht um Produktions- und Anbaubedingungen: „Das Egoismus-Prinzip wird uns schneller auf den Kopf fallen als uns lieb ist“, prognostiziert Gschnell. Sie plädiert dafür, weniger Schokolade zu kaufen, dafür aber qualitativ hochwertige und fair gehandelte. „Wenn wir den Menschen in den Hauptanbauländern Ghana und Elfenbeinküste kein Auskommen mit dem Einkommen ermöglichen, werden sie ihre Heimat verlassen und anderswo ihr Glück versuchen“, sagt Gschnell. Auch der Geschäftsführer der oew Matthäus Kircher ist davon überzeugt: „Der Preis der Schokolade wird sich aufgrund von Verknappung erhöhen“, sagt er. Immer mehr Menschen werden die Kakaoplantagen aufgrund der unwirtlichen Lebensbedingungen verlassen und vor dem Hunger auch zu uns fliehen.
Rudi Dalvai, Präsident der World Fair Trade Organization, ruft die Südtirolerinnen und Südtiroler auf, mit ihren Einkäufen faire Politik zu machen: „Wir können jeden Tag entscheiden, ob wir die Bankkonten von Großkonzernen wie Mondelēz mit Milka, Toblerone, Oreo, wie Nestlé mit Kitkat, Lion, Nuts, Smarties, Yes, Nesquik, wie Mars Hersheys, Ferrero, Lindt & Sprüngli oder Storck weiter erhöhen oder Kleinbauern und Genossenschaften das Überleben sichern“, sagt er. Der faire Handel schließe Zwischenhandel aus, garantiere den Menschen aufgrund fix vereinbarter Preise das Überleben, ermögliche ihnen medizinische Versorgung und den Kindern Schulbildung. Es sei höchst an der Zeit, über den eigenen Horizont hinauszuschauen, den Egoismus beiseite zu legen, globale Zusammenhänge zu erkennen und entsprechend zu handeln, fordert Rudi Dalvai.
Damit das passiere, müssen wir bei uns ansetzen, sagt Brigitte Gritsch von den Weltläden. Berührt werden dabei Fragen des Handels, der Wirtschaftspolitik, der Landwirtschaftspolitik und die täglichen Entscheidungen jedes und jeder Einzelnen: Es gelte Rahmenbedingungen schaffen, damit die Menschen am Beginn der Handelskette nicht ständig im Nachteil seien, damit sie am Handel teilhaben können und der Motor für eine nachhaltigere Entwicklung werden.
Seit 35 Jahren ist der Auszahlungspreis von Kakao gleichgeblieben. Er müsste sich für die Bauern und Bäuerinnen in Äquatornähe um das Vierfache erhöhen, um ihnen ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Derzeit liegt ihr Einkommen im Durchschnitt bei einem halben Euro täglich. Vielen Kakaogemeinschaften fehlen Grundinfrastrukturen wie Straßen, Schulen und Krankenhäuser. Kinderarbeit ist im Kakaoanbau vor allem an der Elfenbeinküste weit verbreitet: Rund 150.000 Kinder müssen dort derzeit unter schwierigsten Umständen arbeiten und werden häufig aus den Nachbarstaaten Burkina Faso und Mali gekauft oder entführt.
Konventionelle Kakaoproduzent*innen bekommen im Durchschnitt nur 6,6 Prozent des Verkaufspreises einer Schokolade in den Verkaufsregalen der Südtiroler Geschäfte, die Preise werden ständig gedrückt. Nur zunehmender Pestizideinsatz lässt eine Ernte in den Monokulturen zu. Fairer Handel hingegen garantiert den Bauern und kleinen Genossenschaften neben fixen Preisen auch eine langfristige Abnahme. So können sie in Neupflanzungen investieren und sich auf eine Zukunft auf den Plantagen einrichten.
In der Adventszeit haben die oew-Organisation für Eine solidarische Welt und die 15 Südtiroler Weltläden den klassischen Adventskalender umfunktioniert und vom 1. bis 24. Dezember in 24 Südtiroler Ortschaften im 24- Stunden-Takt 24 besondere Türen geöffnet: Türen zu Kirchen, Klöstern, Rathäusern, Pfarrheimen, Geschäften, zu einem Einkaufszentrum, einem Schloss, einem Zugwaggon. Unter dem Motto sweet afFAIR luden sie die Menschen zum Seitensprung mit fairer Schokolade ein. Insgesamt kamen rund 1.700 Menschen zu den Veranstaltungen, bei denen sie über die Anbaubedingungen auf den Kakaoplantagen an der Elfenbeinküste und in Ghana informiert wurden. Ein Theater des Schauspiel-Kollektivs binnen-I trug jeweils dazu bei, eine Kakao-Ausstellung, eine Kakao-Zeremonie, das Schaukochen von Schokolade und die Verkostung von fair gehandelter Schokolade.
Faire Schokolade wird nicht nur in den Südtiroler Weltläden verkauft, sondern auch in Bioläden, Reformhäusern, in kleineren Geschäften, aber auch in größeren Einkaufszentren und Handelsketten. Je öfter Kundinnen und Kunden danach fragen, umso schneller stellen sich Handel und Gastronomie darauf ein.