Finanzielle Hürden und zähe politische Entscheidungen

Ultraschall beim Hausarzt: Darum hapert es in Südtirol

Freitag, 24. Februar 2023 | 11:12 Uhr

Bozen – Ein Ultraschall beim Hausarzt oder der Hausärztin machen: Das ist in Südtirol nur selten der Fall. Der Grund: Nur wenige Südtiroler Hausarztpraxen besitzen ein Ultraschallgerät und das obwohl sich Mediziner und Patienten dieses “Mehr” an Zusatzdiagnostik wünschen und es eigentlich auch sinnvoll wäre. Was dahintersteckt, wo es im System hapert und was dagegen getan werden kann:

Ist von Ultraschall-Diagnostik die Rede, denken viele in erster Linie an die Untersuchung des ungeborenen Kindes im Mutterleib. Doch der Einsatz eines Ultraschallgerätes ist auch in der Hausarztpraxis von Bedeutung. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse liefern zeitnahe und zusätzliche Informationen für die Behandlung der Patienten. „Gäbe es die derzeitigen finanziellen Hürden bei der Anschaffung der Ultraschallgeräte nicht, hätten deutlich mehr Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin in Südtirol dieses Instrument in ihrer Praxis“, betont Dr. Doris Gatterer, Präsidentin der Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM).

POCUS-Ultraschall in der Allgemeinmedizin

Mit einem Ultraschallgerät können alle Organe untersucht werden, so etwa Leber, Gallenblase, Nieren, Milz, Lunge, Herz, Harnblase, Prostata, Eierstöcke, Gebärmutter, Schilddrüse, Lymphknoten, Blutgefäße, Muskeln und Gelenke. Selbst Knochenbrüche können dank Ultraschall zuverlässig diagnostiziert werden, wie eine rezente Untersuchung des Universitäts-Kinderspitals beider Basel (UKBB) in der Schweiz ergab.

„Der vom Hausarzt durchgeführte First-Level-Ultraschall nennt sich POCUS (Point- of-Care Ultrasonography). In den meisten Ländern der Welt ist die POCUS-Untersuchung vollständig in die klinische Praxis der Allgemeinmediziner integriert“, erklärt Dr. Giuliano Piccoliori, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen. „In der hausärztlichen Praxis ist die Verwendung der Ultraschalldiagnostik während der Sprechzeiten mit eingeschränkter Zeitressource in einigen Fällen von Vorteil, beispielsweise für das Erkennen einer Wasseransammlung im Rippenfell bei Atemnot oder Herzschwäche, im Bauchraum bei Tumoren, bei Nieren- und Gallensteinen, bei erweiterten Nierenbecken, bei Schwellungen der Lymphknoten oder entzündlichen Erkrankungen“, erläutert Dr. Doris Gatterer, Präsidentin der Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM).

Auch für die Schilddrüsen-Diagnostik biete der Einsatz eines Ultraschallgerätes Vorteile, betont Dr. Piccoliori. Die Beurteilung verdächtiger Knoten müsse jedoch von einem Facharzt neu beurteilt werden. „Aber der Nutzen der POCUS-Untersuchung ist unbestritten für die Beurteilung vieler Organe und Bereiche des Körpers, um das Spektrum der Differentialdiagnosen einzugrenzen und eine gezielte und rasche Untersuchung zu ermöglichen“, bekräftigt Dr. Piccoliori. Allerdings müsse betont werden, dass die Verwendung des Ultraschalls in der Hausarztpraxis den sogenannten Second-Level-Ultraschall durch einen Radiologen oder durch einen speziell ausgebildeten Internisten nicht ersetze, so Dr. Piccoliori.

„Der eigentliche Mehrwert des Ultraschalls liegt darin, dass er heute eine unverzichtbare diagnostische Unterstützung in der Praxis der Allgemeinmedizin darstellt – auch deshalb, weil die Qualität der Bilder dank der technologischen Entwicklung erheblich zugenommen hat“, heißt es weiter. “Die Verwendung des Ultraschallgerätes in der Sprechstunde der Hausärztin/des Hausarztes bringt die gezielte Antwort auf eine bestimmte Frage. Das führt zu nützlichen Informationen und einem zeitlich reduzierten Aufwand während der klinischen Untersuchung der Patienten”, so Dr. Piccoliori

Dr. Doris Gatterer: Die Verwendung eines Ultraschallgeräts will gelernt sein

„Noch bis vor sechs Jahren gab es in der Südtiroler Ausbildung zur Hausärztin/zum Hausarzt weder theoretische noch praktische Einheiten zur Verwendung des Ultraschallgerätes“, erklärt Dr. Doris Gatterer. Im Rahmen der Ausbildung in Allgemeinmedizin am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen und im Zuge der Fortbildungsseminare der Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM) wird angehenden und bereits praktizierenden Hausärztinnen und Hausärzten der für die allgemeinmedizinische Praxis empfohlene Umgang mit der Ultraschall-Diagnostik vermittelt.

Nur wenige Südtiroler Hausarztpraxen besitzen ein Ultraschallgerät

Obwohl der Wert eines Ultraschallgerätes unbestritten ist, verfügt nicht jeder Allgemeinmediziner in Südtirol über ein solches Instrument. 2014 erstellte die SüGAM nach einer Klausurtagung einen erweiterten Leistungskatalog für die Praxis für Allgemeinmedizin. Dieser sah etwa den Ultraschall als Zusatzleistung vor. „Unser Vorschlag erging damals sowohl an die Gewerkschaften als auch an die Verantwortlichen des Sanitätsbetriebs, um das Thema bei den Vertragsverhandlungen aufs Tapet zu bringen“, erinnert SüGAM-Präsidentin Dr. Doris Gatterer. „Leider hat sich in dieser Angelegenheit noch immer nichts getan. Kurz vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie gab es erneut Gespräche mit dem damaligen Landesrat für Gesundheit. Unsere Vorschläge wurden mit Wohlwollen aufgenommen. Doch Corona hat uns dann einen Strich durch die Rechnung gemacht“, beteuert Dr. Gatterer. Sie hofft, dass der aktuelle Leistungskatalog endlich überarbeitet und verbessert wird.

Teure Diagnosegeräte

Bis dato muss der Umgang mit einem Ultraschallgerät von den Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin auf eigene Faust organisiert werden. Ausbildung und Ankauf erfolgen autonom. „Ein qualitativ hochwertiges tragbares Gerät kostet von 4.000 bis 6.000 Euro plus Mehrwertsteuer, die Kosten für ein Standgerät belaufen sich hingegen auf 20.000 bis 30.000 Euro. Die Preisskala ist nach oben offen“, betont Dr. Doris Gatterer. Wird eine Ultraschalluntersuchung in einer Hausarztpraxis beansprucht, muss diese Leistung privat verrechnet werden. Denn noch gibt es keine Möglichkeit, diese Untersuchung mit dem Gesundheitsbetrieb zu verrechnen. „Gäbe es diese finanziellen Hürden nicht, so würden meiner Ansicht nach viel mehr Allgemeinmediziner ein Ultraschallgerät in ihrer Praxis verwenden. Denn die diagnostischen Erkenntnisse bieten wertvolle, zusätzliche und zeitnahe Informationen für therapeutische Entscheidungen“, unterstreicht Dr. Gatterer.

Ein Dekret der Regierung Draghi vom Juli 2022 könnte neue Chancen bieten. „Dieses Dekret sieht zahlreiche neue Infrastrukturen vor, um die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung zu verbessern. Möglicherweise könnten dadurch auch diagnostische Gerätschaften finanziert werden“, sagt Dr. Doris Gatterer. Entscheidend sei jedoch weniger, ob die öffentliche Hand – etwa das Land Südtirol – Ultraschallgeräte kaufe und den Hausärztinnen und Hausärzten zur Verfügung stelle: Wichtiger sei vielmehr das Entstehen eines Bewusstseins bei Patienten und Medizinern, dass die Ultraschalluntersuchung für die Bewertung von klinischen Fragen zur schnellen, symptomorientierten Beurteilung von diagnostischen und therapeutischen Fragestellungen von großer Wichtigkeit ist, so Dr. Gatterer.

Gemeinschaftspraxen als Modell

Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin, die in einer gemeinsamen Praxis arbeiten, können ein Ultraschallgerät kostensparend erwerben und mit gemeinsamer Expertise nutzen. Laut Dr. Gatterer kann das durchaus Modellcharakter haben. „Es kann sich auch nur ein Allgemeinmediziner die Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit der Ultraschalldiagnostik aneignen und sich ständig weiterbilden. Das bedeutet ein Mehr an Qualität für die Patienten, aber auch für die Kollegen in der Gemeinschaftspraxis“, unterstreicht SüGAM-Präsidentin Dr. Doris Gatterer.

Ultraschall als Anreiz für künftige Hausärztinnen und Hausärzte

Warum fällt es Südtirol schwer, neue Allgemeinmediziner zu finden? Antworten auf diese Frage bietet eine Online-Befragung, die das Institut für Allgemeinmedizin Bozen im Sommer 2022 in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Innsbruck und allen ärztlichen Direktionen der Tiroler Krankenhäuser durchgeführt hat. „Einer der häufigsten Gründe, sich nach der Ausbildung nicht als Hausärztin/Hausarzt in Südtirol niederzulassen, ist die hierzulande eingeschränkte Möglichkeit für Zusatzdiagnostik in der hausärztlichen Praxis. Diesen erschwerenden Grund nannten 76 Prozent der Befragten“, erklärt Dr. Adolf Engl, Präsident des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health am Universitären Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe Claudiana in Bozen. „Das Vorhandensein und der gezielte Einsatz von Ultraschallgeräten in Hausarztpraxen könnten folglich einen Anreiz für angehende Allgemeinmediziner:innen schaffen, ihren Beruf in Südtirol auszuüben. Dies wäre ein Mehrwert für Südtirol, stellt die Allgemeinmedizin doch das Fundament der öffentlichen Gesundheitsversorgung dar“, hält Dr. Engl fest.

Von: luk

Bezirk: Bozen