Von: mk
Bozen – Quantitatives Wachstum in einer begrenzten Welt ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Das war die Quintessenz der Tagung „Wachstum neu denken. Alternative Governance von Wirtschaft und Gesellschaft“, die vom Center for Advanced Studies von Eurac Research in Bozen und in Kooperation mit Basis Vinschgau Venosta in Schluderns organisiert wurde. Gleichzeitig wurden die Churburger Wirtschaftsgespräche in neuem Format weitergeführt. Was es brauche, sei eine Moralisierung der Märkte in der sekundäre Qualitäten wieder wichtiger werden und eine neue Wir-Kultur –auch in Südtirol.
„Das 20. Jahrhundert ist ein Wachstumsjahrhundert“, hob André Reichel, Professor an der International School of Management in Stuttgart hervor und ließ keinen Zweifel daran, dass unser Wohlstand mit CO2-Emissionen erkauft wurde. Spätestens seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise sei jedoch ein Einbruch des Wachstums in den Ländern des globalen Nordens feststellbar und der Wandel zu einer Postwachstumsgesellschaft dort ein keineswegs unrealistisches Szenario. „Die junge Generation hat erkannt, dass das aktuelle Wirtschaften für sie keinen Mehrwert bietet außer Erderwärmung“, erklärte Reichel.
Suffizienz als Strategie
Ein Herauswachsen aus Wachstumszwängen schaffe auch für Unternehmen größere Freiheiten. Es brauche einen humanen Kapitalismus, der Wirtschaften als Gemeinschaft unternehmerisch Aktiver und den Sinn als zentrale Kategorie des Wirtschaftens und als Treiber für Lebensqualität und Selbstbestimmung versteht. Suffizienz müsse Strategie werden. Dazu gehöre etwa die Abkehr von reinem Produktverkauf hin zu Leistungsverkauf. „Ingenieure lernen, neue Produkte zu schaffen. Darauf, wie schon existierende Produkte repariert oder wiederverwertet werden, wird noch zu wenig Wert gelegt“, bedauerte Reichel und sprach auch von Reparatur- und Herstellerverantwortung. Produktionsverfahren und die eingesetzten Ressourcen würden viel eher überdacht, wenn Produkte an den Hersteller zurückgehen würden. Auch müsse der 3. Sektor mit einbezogen werden. „Es gibt mehr informelle als formelle Arbeitsleistung. Im Grunde haben wir im 3. Sektor eine Schattenwirtschaft, die aber einen ungeheuren Mehrwert für unsere Gesellschaft bietet und viel zu wenig anerkannt wird. Es braucht eine neue Kultur der Zusammenarbeit über politische Grenzen und Branchengrenzen hinaus.“
Partizipation schafft Innovation
Wie eine Kultur der Zusammenarbeit etabliert werden kann, erforscht Bianca Elzenbaumer, Privatdozentin an der Leeds University in England und Maria Sklodowska-Curie Fellow am Center for Advanced Studies in einem Reallabor in Rovereto. „Viele Projekte kommen nicht zustande, weil die Finanzierung fehlt. Wir gehen einen neuen Weg und wollen zeigen, dass Innovation auch ohne Geld machbar ist.“ Im Reallabor wird lokalen Akteuren Raum zur Vernetzung gegeben. Wirtschaften wird zum Vorwand, um sich kennenzulernen, Wissen wird gemeinsam generiert, anstatt es geliefert zu bekommen. Einen solchen Weg schlagen auch Hannes Götsch, Projektleiter und Luca Daprà, Projektmitarbeiter des Gründer- und Innovationszentrums Basis Vinschgau Venosta ein. Bei einer Bedarfserhebung unter 62 Unternehmen des Vinschgaus wurde der Wunsch nach einer lokalen Anlaufstelle deutlich. Diese entsteht nun im ehemaligen Versorgungsgebäude des früheren Kasernenareals Drusus in Schlanders, das zu diesem Zweck wiederbelebt wurde. „Wir wollen keine neuen Türme, sondern Brücken bauen“, schilderte Luca Daprà die Ziele von Basis, wo Wirtschaft, Kreativwirtschaft, Handwerk, Landwirtschaft, Bildung, Kultur und Soziales zusammengeführt und Räume für Entwicklung im ländlichen Raum geschaffen werden sollen.
Länderübergreifende Rechtsverbindlichkeiten gefordert
„Veränderungen können nur gelingen, wenn sie von der Gesellschaft mitgetragen werden“, unterstrich Daria Habicher, Forscherin am Center for Advanced Studies, die sich in Ihrer aktuellen Forschungsarbeit mit der Einstellung Südtiroler Klein- und Mittelbetriebe zum Wachstumsdogma beschäftigte. Die Relevanz von nachhaltigem Wirtschaften werde in Südtirol durchaus erkannt, doch herrsche auf betrieblicher Ebene noch Unsicherheit und Unwissenheit. Um nun vom Denken ins Handeln zu kommen, brauche es Mut und Verbindlichkeiten, sei es von Interessensverbänden als auch von der Politik. „Gesellschaftlicher Wandel geschieht immer im Wechselspiel der Akteure. Faktenwissen und Bewusstseinsbildung allein reicht dafür nicht aus“, erklärte Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Die Angst vor Wettbewerbsnachteilen gegenüber anderen Nationen sei zu groß. Hier bräuchte es länderübergreifende Rechtsverbindlichkeiten. „In der EU hätten wir die Möglichkeit, Vorreiter zu sein. Eine Maßnahme, um auch andere Länder zu mehr Nachhaltigkeit zu motivieren, könnten Ökozölle an den EU-Außengrenzen sein.“
In seinen Grußworten an die Tagung bestätigte Landeshauptmann Arno Kompatscher, dass es nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch kulturellen Wandel brauche. Die Südtiroler Landesregierung habe sich bereits in einem Dokument zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen bekannt. Südtirol könne Modellregion sein. „Unser Kapital – das ökologische, das soziale und das ökonomische – ist begrenzt“, unterstich Leida Rijnhout von der zivilgesellschaftlichen Organisation Sustainable Developement Goals Watch Europe, die eben genau die Einhaltung jener Nachhaltigkeitsziele überwacht. „Wir müssen mit einrechnen, was unsere Lebensweise der Umwelt kostet. Genauso, wie wir unser Budget auf dem Bankkonto kennen und damit haushalten müssen, so müssen wir Quoten für unser ökologisches Kapital setzen.“
Derzeit verschieben wir unsere Kosten auf andere Länder und auf die kommenden Generationen“, erklärte Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut. Auch das sei eine Form von globalem Marktversagen und ein deutliches Defizit unserer Demokratien.
Stimmen aus verschiedensten Disziplinen
Moderiert von Harald Pechlaner, Leiter des Centers for Advanced Studies, nahmen Vertreter verschiedenster Branchen und Disziplinen zum Thema Stellung. Darunter: Robert Zampieri, Geschäftsführer der Mila Bergmilch Südtirol, Marc Zebisch, Leiter des Institutes für Erdbeobachtung an der Eurac Research, Brigitte Gritsch, Koordinatorin der Südtiroler Weltläden, Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstitutes, Michael Wunderer vom Südtiroler Energieverband, Kaspar Schuler, der Geschäftsführer der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA, Armin Bernhard, Vorsitzender der Bürgergenossenschaft Obervinschgau, Klaus Mair, Inhaber des Tiefbauunternehmens Mair Josef & Co. KG, Gleichstellungsrätin Michela Morandini und Susanne Ursula Elsen, Professorin für angewandte Sozialwissenschaft an der Freien Universität Bozen.
Churburger Wirtschaftsgespräche 2.0
Der zweite Teil der Tagung in Schluderns verstand sich als Fortführung der Churburger Wirtschaftsgespräche. Nach 33 Jahren unter der Federführung von Johannes Graf Trapp, wurden die Wirtschaftsgespräche nun vom Center for Advanced Studies von Eurac Research in Zusammenarbeit mit Basis Vinschgau Venosta organisiert. Bürgermeister Peter Paul Trafoier begrüßte die Fortführung der Gespräche in seinem Dorf sehr. „Die Churburger Wirtschaftsgespräche waren immer wieder Impulsgeber für die Regionalentwicklung“, betonte Harald Pechlaner. „Johannes Graf Trapp hat mit den Churburger Wirtschaftsgesprächen einen besonderen Dienst an Land und Gesellschaft erbracht und bemerkenswerte Akzente gesetzt, die auch überregional von Bedeutung sind“, würdigte Carl-Philipp Baron Hohenbühel Graf Trapp in seiner Laudatio. Nun sollen die Churburger Wirtschaftsgespräche 2.0 vor allem der jungen Generation eine Plattform bieten, um sich auszutauschen und neue Ideen zu entwickeln.