Von: mk
Bozen – Der Arbeitsmarkt in der Region Trentino-Südtirol erfreut sich robuster Gesundheit und den-noch gibt es gerade bei den jüngsten Jahrgängen eine erhöhte Lohnunsicherheit aufgrund atypischer Beschäftigung“, stellen Experten auf der heutigen Tagung des AFI fest („Arbeitsmarktreformen und Lohn-In-/Stabilität). 30 Jahre Arbeitsmarktreformen hätten nur den Personalwechsel beschleunigt, nicht aber die Beschäftigung erhöht, während an den Rändern die soziale Ungleichheit gewachsen sei. „Die Deregulierung bezahlen zu viele Menschen mit Lohninstabilität, die weder für sie selbst noch für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft förderlich ist“, sagt AFI-Direktor Stefan Perini.
Die Reformen der letzten 30 Jahre haben den Arbeitsmarkt in Italien stark verändert. Das AFI | Arbeitsförderungsinstitut nimmt deren Auswirkungen – auch auf lokaler Ebene – mit einer Tagung unter die Lupe. Das AFI erörtert zwar keine leichten, aber für die Fachwelt äußerst relevante Fragen: Hat die Deregulierung des Arbeitsmarktes mehr Vorteile oder mehr Nachteile gebracht? Wie erklärt sich die explosionsartige Entwicklung der atypischen Beschäftigung? Wann ist von Flexicurity und wann von Flexinsecurity zu sprechen? Welches sind die finanziellen und sozialen Folgen der Arbeitsmarktreformen? Welche Auswirkungen hatten die Reformen auf die langfristige Gehaltsentwicklung? Und schließlich die Hauptfrage: Wer hat den Preis für alle die Reformen gezahlt? Die Fachvorträge halten Wirtschaftsprofessor Fabio Berton von der Universität Turin, Soziologe Paolo Barbieri von der Universität Trient und Alessio Tomelleri, Doktorand an der Universität Bozen. Weitere Statements kommen von Francesco Coco vom NISF Trentino-Südtirol, AFI-Präsident Dieter Mayr und dem Leiter des Instituts Stefan Perini.
Professor Fabio Berton ist auch Senior Research Fellow am „LABORatorio R. Revelli“ in Turin. Sein be-kanntestes Werk ist „Flexinsecurity – Warum in Italien aus Flexibilität Prekariat wird“ (2009). Das Einbrechen der drei Schutzwälle sichere Stelle, fixes Gehalt und stützende Wohlfahrt habe zur Prekarisierung geführt, schrieb Berton damals. Wie schaut es heute aus? „Dreißig Jahre Arbeitsmarktreformen haben nicht mehr Beschäftigung gebracht, sondern nur einen höheren Personalwechsel; zwar höhere Produktivität auf kurze Sicht, aber kaum Auswirkungen auf eine höhere Berufsausbildung und Zweifel auf eine langfristige Produktivitätssteigerung“, sagt Berton in Bozen.
Über die Deregulierung des Arbeitsmarktes und deren Folgen in Bezug auf die soziale Ungleichheit spricht Professor Paolo Barbieri von der Uni Trient. Nach einem gewissen Flitterwochen-Effekt („Honey Moon“) habe die Wirkung der Deregulierung umgeschlagen in eine Aufspaltung des Arbeitsmarktes und in eine „Prekaritäts-Falle“. Die daraus entstehende soziale Segmentierung führt dazu, dass Nachkommen der Arbeiterklasse vier Jahre benötigen, um die Einkommenskluft zu Beschäftigten mit bürgerlichem Hintergrund zu schließen. Wie Berton bestätigt auch Barbieri, dass die Liberalisierung des Arbeitsmarktes und des Kündigungsschutzes nicht zu mehr Beschäftigung geführt habe, sondern zu einer höheren intergenerationellen Ungleichheit des Arbeitsmarkts.
Auf die regionalen Aspekte geht schließlich Alessio Tomelleri (unibz) ein. „Der Arbeitsmarkt in der Region Trentino-Südtirol erfreut sich einer robusten Gesundheit, aber dennoch gibt es gerade bei den jüngsten Jahrgängen eine Lohnunsicherheit aufgrund atypischer Beschäftigung“, stellt Tomelleri fest. Es handle sich dabei nicht um soziale Ungleichheit, sondern um soziale Unsicherheit, betont der Doktorand der Uni Bozen. Das zeige sich daran, dass die atypisch Beschäftigten Jungen auch in der Region viel stärker den Schwankungen der Konjunktur ausgesetzt sind, im positiven wie auch im negativen Sinn.
AFI-Direktor Stefan Perini, dem die Aufgabe zukam, die Vorträge der akademischen Forscher zusammenzufassen, brachte die Ergebnisse der Fachtagung des AFI so auf den Punkt. „Die Deregulierung des Arbeitsmarktes bezahlen die nachrückenden Jungen mit einer vielfachen Instabilität, die weder für sie selbst, noch für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft förderlich ist“.
„Die unsicher Beschäftigten nennt man auch die Unsichtbaren‘. Sie sind für die Gewerkschaften schwer greifbar. Daher ist ihre Verhandlungskraft gering und das Risiko der Ausbeutung hoch. Außerdem sind viele der Unsichtbaren Jugendliche – hier müssen wir Gewerkschaften handeln!“, erklärt AFI-Präsident Dieter Mayr zum Thema.