Von: luk
Bozen – Eine vor kurzem vorgestellte Studie zeigt, dass in Südtirol der Anteil an älteren Menschen deutlich zunehmen wird. Der demographische Wandel und der Fachkräftemangel ist auch für die Gesellschaft in Südtirol eine große Herausforderung. Wie sich die Mitglieder des Raiffeisenverbandes Südtirol bereits heute für die Zukunft rüsten.
„Dass wir alle älter werden – und zwar gesund älter – ist grundsätzlich positiv, sagt Ursula Thaler, Obfrau der Sozialgenossenschaft humanitas24, anlässlich des 1. Oktober, dem internationalen Tag der Senioren. Martin Telser, Obmann der Sozialgenossenschaft Seniorenwohnheim Eden in Meran bestätigt: „Ein Großteil der über 65-jährigen brauchen keine Betreuung“, und ergänzt: „Gut ist auch, dass wir hier in Südtirol auf ein vielfältiges Angebot zurückgreifen können, wenn wir Betreuung benötigen.“
Noch, denn der demografische Wandel und die Veränderung familiärer Strukturen lassen den Pflegebedarf in den kommenden Jahrzehnten stark ansteigen. Dies bestätigt eine kürzlich vorgestellte Studie der Freien Universität Bozen und Universität Innsbruck. Sie prognostiziert bis 2035 eine Zunahme des Pflege- und Betreuungsbedarfs für Senior*innen um 35 Prozent mit entsprechenden Folgeproblematiken. Neben dem akuten Fachkräftemangel und den veränderten Wohn- und Familienstrukturen wird vor allem die Finanzierung der Betreuung und Pflege älterer Menschen ein zentrales Thema werden.
Für Renate Haller, Direktorin der Sozialgenossenschaft Villa Carolina Pro Senectute, werden sich Seniorenwohnheime immer mehr zu Pflegeheimen entwickeln: „Wir beobachten, dass die aufzunehmenden Personen immer älter und pflegebedürftiger werden und mehr körperliche und seelische Beschwerden haben. Gleichzeitig steigen und/oder ändern sich die Ansprüche der Bewohner und Angehörigen.“
Ihr zufolge wird die Qualität der Pflege auch in Zukunft von Menschen abhängen, die diesen Beruf ausüben, trotz technisch-innovativer Lösungen (u.a. KI-Systeme), die Arbeitsprozesse erleichtern oder unterstützen. Auch deshalb setzt die Sozialgenossenschaft Villa Carolina Pro Senectute schon heute auf Fort- und Weiterbildung, berufsbegleitende Ausbildung, Begleitung von Praktikant*innen, Heimseelsorge und die Einbeziehung der Angehörigen und Ehrenamtlichen: „Wir haben seit Jahren mehr Personal im Einsatz als der Personalschlüssel vorsieht und bemühen uns, die Mitarbeiter*innen aktiv in Verbesserungsprozesse einzubinden“, so die Direktorin.
Sozialgenossenschaften in Südtirol arbeiten Hand in Hand mit öffentlichen Diensten, wenn es um die Pflege älterer Menschen geht. In Zukunft wird es diese Zusammenarbeit noch viel mehr brauchen betont Ursula Thaler: „Künftig wird es differenzierte, flexible Angebote brauchen, die an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden können. Das reicht von kleineren Hilfestellungen für Menschen, die noch zu Hause wohnen bis zur umfassenden Pflege im Heim.“ Für die Zukunft sieht sie sich gut gerüstet, wünscht sich jedoch: „Mehr Sensibilität für das Thema Pflege und Offenheit für flexible Lösungen und Dienste, um den steigenden Pflegebedarf entgegenzutreten.“
Auch Alberto Gittardi, Direktor der Sozialgenossenschaft Alpen Hilfe, betont die Notwendigkeit neuer, flexibler Lösungen und einer stärkeren Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand. Die bisherigen Pflege- und Betreuungsmodelle werden nicht ausreichen. Es brauche inklusive Projekte und neue Betreuungsformen, die ältere Menschen in die Gesellschaft integrieren und ihnen aktive Rollen ermöglichen. Dies stärke ihr Selbstwertgefühl und gebe ihnen eine sinnstiftende Aufgabe. Gittardi sieht im Dritten Sektor großes Potenzial: „Wir als Sozialgenossenschaft haben die Flexibilität, um innovative Projekte zu starten.“ Seit drei Jahren betreibt die Sozialgenossenschaft Alpen Hilfe eine Seniorenresidenz, die seit diesem Jahr nach einem inklusiven Betreuungsmodell geführt wird: Menschen mit Demenz und ältere Menschen leben hier in einer integrativen Gemeinschaft zusammen. „Und es funktioniert!“ bestätigt Gittardi. Weitere Ansätze sind solidarische Wohnprojekte, Mehrgenerationenhäuser und die Vernetzung von Zeitbanken.
Martin Telser, sieht im Projekt „Infermiere del Quartiere“ ein gutes Konzept, um ältere Menschen so lange wie möglich zu Hause zu unterstützen. Mit rund 4.600 Heimplätzen stehe Südtirol im Pflegebereich für Senioren im Vergleich zum restlichen Italien zwar gut da – doppelt so viel wie in Trient oder anderen Provinzen: „Doch der Beruf der Pflegenden muss attraktiver werden“, denn Pflegepersonal fehle schon heute. Daneben müsse auch in neue Pflegeansätze investiert werden, und in die Begleitung für Menschen, die in diesem Sektor arbeiten.
Das Seniorenwohnheim Eden sieht sich für die Zukunft gerüstet: „Wir werden versuchen mehr Einzelzimmer anzubieten und weiterhin viel in unser Personal zu investieren. Wir bieten Zusatzausbildungen, individuelle Gestaltung von Diensten und unterstützen unsere Mitarbeitenden auch bei Problemen außerhalb – ganz im Sinne unserer Philosophie „Leben in adagio“, Menschen begleiten und nicht nur die Pflege in den Vordergrund stellen.“
Lisa Mauroner, Direktorin der Sozialgenossenschaft Zum Heiligen Vinzenz in Bozen hebt hervor: „Professionelle und konstante Unterstützungsangebote für pflegende Familien und Bezugspersonen müssen klug organisiert und ausreichend abgesichert sein, damit sich die Angehörigen auf die Begleitung, Betreuung und Pflege konzentrieren dürfen. Es braucht Sicherheit darin, dass die notwendigen Ressourcen in all ihrer Vielfalt angefragt werden können und von einem qualifizierten Dienstleister vermittelt und organisiert werden. Wenn Familien sicher sein können, dass sie stets Unterstützung erfahren, werden auch die Ein-Kind-Familien in Zukunft eher bereit sein Pflege- und Betreuungsaufgaben zu übernehmen.“ Junge Menschen erlebt sie sehr sensibel für dieses Thema: „Sie spüren bereits heute die große Verantwortung, die da in 40, 50, 60 Jahren auf sie zukommt.“ Auch sie spricht sich für deutlich dynamischere Rahmenbedingungen für Seniorenheime aus, um schnell, unbürokratisch und effizient auf individuelle Situationen reagieren zu können: „Die Zukunft der stationären Pflege sehen wir in einem vielfältigen Angebot, das über die aktuell möglichen Betreuungsformen hinausgehen darf.“
Verena Niederkofler, Obfrau der Sozialgenossenschaft Mutter Teresa mit Sitz in Welsberg-Taisten, freut sich auf den Baustart des Tagespflegeheims für Senioren im kommenden Jahr: „Ich denke, dass wir mit unserem Projekt einen kleinen Beitrag leisten können – bzw. eine Vorstufe zum Seniorenheim anbieten können. Geplant sind zwölf Plätze und im Moment befinden wir uns in der Endphase der Planung.“
Es zeigt sich, dass Sozialgenossenschaften im Bereich Pflege und Seniorenbetreuung bereits heute solide Weichen für die Herausforderungen der Zukunft stellen. Hinzu kommen die neuen Formen der Zusammenarbeit (z.B. Co-progettazione) – vom Raiffeisenverband Südtirol stark unterstützt – zwischen den Organisationen des Dritten Sektors und der öffentlichen Hand, die viel Raum bieten für neue Lösungen, die im Moment noch nicht berücksichtigt sind.
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