Eingabe beim Ethikrat der Journalistenkammer

Vermisstes Ehepaar aus Bozen: Kritik an lokaler Presse

Montag, 15. Februar 2021 | 09:35 Uhr

Bozen – Der Fall des vermissten Ehepaares aus Bozen beschäftigt nach wie vor sowohl die lokalen als auch die nationalen Medien. Immer mehr zeichnet sich ab, dass hinter dem Verschwinden von Laura Perselli und Peter Neumair ein Verbrechen steckt. Dennoch fragen sich manche Bürger, ob die Berichterstattung zu weit geht. Anna Kompatscher, Judith Kronbichler, Kathrin Marini und Clemens Pichler haben eine Eingabe beim Ethikrat der Journalistenkammer im Trentino-Südtirol hinterlegt.

Mit dem Schreiben möchten sie ihre Empörung über die Berichterstattung der lokalen Medien im Fall Perselli/Neumair Ausdruck verleihen. Die Medien stünden ihrer Ansicht nach nicht im Einklang mit den deontologischen Anforderungen und Grundsätzen des Ethikkodex für Journalisten. Hier folgt der Brief im Wortlaut:

„Eine investigative Berichterstattung über und Auseinandersetzung mit den tragischen Ereignissen ist legitim, doch auch das Recht auf Berichterstattung muss sich im Rahmen des öffentlichen Interesses bewegen und dabei die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen wahren. Diese dürfen nämlich laut Ethikkodex nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für eine vollständige, wahrheitsgetreue und sachdienliche Berichterstattung erforderlich ist. Ein erheblicher Teil der Berichterstattung über gegenständlichen Fall hat sich klar außerhalb dieses Rahmens bewegt und ist auf erschütternde Weise abgedriftet in einen reinen Sensationsjournalismus auf Kosten der Angehörigen des Paares.

Wiederholt wurden Fotos der Angehörigen von Laura Perselli und Peter Neumair veröffentlicht, sowie deren vollständige Namen genannt. Im Ethikkodex Artikel 3 f) wird festgelegt, dass die Namen Angehöriger nur veröffentlicht werden dürfen, sofern dies dem öffentlichen Interesse dient. Name, Fotos und persönliche Details wie Angaben zum Arbeitsplatz, Wohnsitz und Aufenthaltsort der Tochter als auch der Geschwister des Paares sind hinsichtlich der Information zu den Ermittlungen nicht relevant. Die Angehörigen haben ein Recht auf Privatsphäre. Sie sind keine Personen des öffentlichen Lebens und sollten auch nicht so behandelt werden. Beispielsweise wurden verschiedene Bilder der Tochter mehrfach sogar auf Titelseiten abgedruckt, womit es für sie fortan unmöglich ist, offen aufzutreten, ohne in diesen Zusammenhang gebracht zu werden. Die Veröffentlichung solcher Informationen führt unvermeidlich dazu, dass diese nicht nur unmittelbar sondern auch künftig für jeden zugänglich sind.

Inhalt und Wortwahl der Berichterstattung verletzen die menschliche Würde der Angehörigen. Die Betroffenen haben so schon eine extreme Ausnahmesituation zu ertragen. Die mediale Belagerung ist eine zusätzliche, absolut unnötige Belastung. In den letzten Wochen wurde die ganze Familie regelrecht einem medialen Prozess unterzogen. Die systematische Unterlassung der Konjunktivform lässt jede distanzierte Dokumentation der Ereignisse vermissen. Das Preisgeben intimster Details des Familienlebens, gepaart mit wilden Spekulationen, sowie das Zurschaustellen des tragischen Verlustes zwecks Unterhaltung und Auflagensteigerung sind geschmacklos, belastend und nicht vertretbar.

Die Ferndiagnosen der Familiensituation in Interviews mit Psychologen, die weder die Familie, noch die Details der Ermittlungen kennen, disqualifizieren die Berichterstattung vollends. Es ist nämlich Aufgabe und Verantwortung der Journalisten und Redakteure abzuwägen, welche Äußerungen und Stellungnahmen sachdienlich und verhältnismäßig sind und somit abgedruckt und veröffentlicht werden können.

Was wir in der bisherigen Berichterstattung schmerzlich vermissen, ist Menschlichkeit, Empathie mit den Angehörigen in Hinblick auf das tragische Ereignis, Respekt vor den Betroffenen und Pietät angesichts einer Situation, der ausgesetzt zu sein, wir uns nicht vorstellen können. Aus diesem Grund ersuchen wir Sie, die beigelegten Artikel auf Verletzung des Ethikkodex zu prüfen und dazu Stellung zu nehmen.“

Auch Südtirol News verfolgt das Thema. Fotos von Angehörigen wurden in unserem Fall nicht veröffentlicht, allerdings wurden Namen von Angehörigen genannt, falls diese sich zum Thema selbst geäußert haben. Was denkt ihr darüber? Wurden Grenzen in lokalen und nationalen Medien überschritten?

Von: mk

Bezirk: Bozen