Nachtquartier dormizil wird ab Spätsommer 2023 umgebaut

Ein Notschlafbett für alle – alle für ein Notschlafbett

Mittwoch, 22. Februar 2023 | 15:15 Uhr

Von: mk

Bozen – Jeder Mensch hat ein Recht auf Wohnen. Aber nicht jeder Mensch hat ein Zuhause. Im dormizil in der Rittner Straße 25 in Bozen erhalten noch bis Ostern 25 Menschen ein warmes Bett im kalten Winter. Nach Abschluss dieser zweiten Wintersaison wird das Bozner Nachtquartier umgebaut, das der Verein „housing first EO“ mit zehn Vereinsmitgliedern trägt und wo mehr als 100 Freiwillige Nacht- und Frühstücksdienste leisten.

Neun langjährig obdachlose Menschen sollen ab 2024 nach dem Konzept „Housing First“ eine kleine Wohnung erhalten. Im Dachgeschoss des künftigen dormizil finden außerdem bis zu fünf Personen in einer Notunterkunft einen vorübergehenden Schlafplatz. Im Tiefparterre sollen Menschen ohne Dach über dem Kopf duschen und ihre Wäsche waschen können. Der Umbau wird insgesamt rund 1,3 Millionen Euro kosten. Gearbeitet wird mit Baubestand.

Die Verantwortlichen der Raiffeisen Landesbank Südtirol AG und von Ethical Banking stellen ihre Crowdfunding-Plattform zur Verfügung, um mit tatkräftiger Hilfe von Südtirols Bevölkerung in der Fastenzeit 25.000 Euro an Spenden zu sammeln. Damit soll ein Teil des Notschlafbereiches im Dachgeschoss samt einem Notschlafbett finanziert werden. Immer mehr Männer und Frauen in Südtirol landen plötzlich auf der Straße und brauchen Übergangsschlafplätze: Zu geringes Einkommen, Trennung, Scheidung, familiärer Streit, Sucht und anderes machen Menschen wohnungslos. In der künftigen Notschlafstätte des dormizil haben Menschen die Möglichkeit, sich neu zu organisieren und können bis zu zwei Monate an einem geschützten Ort verbringen.

Die Vereinsmitglieder von „housing first bozen EO“ haben für den Umbau des dormizil ab dem heurigen Spätsommer verschiedene Spendenpakete geschnürt: So kostet ein verbauter dormizil-Ziegel 30 Euro, ein verbauter dormizil-Quadratmeter 1.500 Euro, eine von neun Wohnungseinrichtungen 12.000 Euro, eine Wohnung 95.000 Euro und eines von fünf Notschlafbetten samt dem dazugehörigen Umbau 25.000 Euro. Südtirols Bevölkerung ist ab sofort eingeladen, sich mit (auch kleinen) Spenden einzubringen, um bis Ostern das Ziel von 25.000 Euro zu erreichen und ein Notschlafbett im neuen dormizil zu finanzieren. Am heutigen Aschermittwoch startet die Aktion auf der Webseite https://www.raiffeisen.it/de/landesbank/wir-sind-nachhaltig/crowdfunding/crowdfunding-projekt-dormizil.html. Bis zum Ostersonntag am 9. April 2023 sollte das Ziel erreicht sein.

Die mehr als 100 Freiwilligen des dormizil erleben täglich, dass Frauen und Männer an die Tür des Nachtquartiers klopfen und um einen vorübergehenden Schlafplatz bitten. Die Vereinsmitglieder Magdalena Amonn, Paul Tschigg, Christian Anderlan und Sigrid Bracchetti erklären, wer die Menschen sind, die anklopfen: „Da sind Frauen aus Osteuropa, die als Badante Dienst getan haben, deren Betreute plötzlich sterben und die Pflegepersonen von einem Tag auf den anderen ohne Schlafplatz sind. Da sind Männer, die aufgrund von Trennung oder Scheidung die gemeinsame Wohnung verlassen müssen und auf der Straße stehen.“ Da seien Menschen, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können, weil sie die Arbeit verlieren oder ihr Einkommen zu gering ist. Da sind obdachlose Menschen, die aus dem Krankenhaus entlassen werden und operationsbedingt zu schwach sind, um auf die Straße zurückzukehren. Da sind Frauen, die einer Gewaltsituation entronnen sind und schnell und unbürokratisch eine Unterkunft brauchen. Da sind drogenabhängige Jugendliche, die sich mit ihren Eltern zerstreiten, nicht mehr nach Hause gehen und bis zur Aufnahme in ein Therapiezentrum eine sichere Unterkunft brauchen. Da sind geflüchtete Menschen, die am Brenner zurückgewiesen werden und die Nacht im Freien verbringen müssen. Da sind Haftentlassene, die sich nach dem Gefängnisaufenthalt wieder neu organisieren müssen und bis dahin eine vorübergehende Unterkunft brauchen. Die Situationen sind vielfältig, der Bedarf nach Schutz, Sicherheit und einem warmen Bett in Bozen groß. Wenn Menschen auf der Straße landen und dort überleben müssen, wird es schwierig für sie, in die Mitte der Gesellschaft zurückzukommen. Umso wichtiger sind Übergangsschlafplätze.

Der Generaldirektor der Raiffeisen Landesbank Südtirol AG Zenone Giacomuzzi freut sich, dass sich viele Südtirolerinnen und Südtiroler schnell und einfach über die Crowdfunding-Spendenplattform an der Finanzierung eines Notschlafbettes im neuen dormizil beteiligen können: „Für die Überweisung fallen keine Kosten an“, betont Zenone Giacomuzzi. „Als Raiffeisen Landesbank und im Sinne unseres Gründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen ist es uns ein Anliegen, Not gemeinsam zu lindern.“ Obdachlose Menschen seien die schwächsten Glieder der Gesellschaft. „Mit vereinten Kräften können wir ein Notschlafbett und den dazugehörigen Umbau im neuen dormizil finanzieren“, sind die Verantwortlichen der Raiffeisen Landesbank Südtirol AG überzeugt.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat in der Mitte des 19. Jahrhunderts wohlhabende Menschen zum Teilen mobilisiert, eine Armenkommission gegründet und als Verein Geld für den Kauf von Mehl vorgestreckt. Damit wurde Brot gebacken und dieses gegen Schuldscheine mit geringen Rückzahlungszinsen an Notleidende verteilt. Raiffeisens Motto war: „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ Das Konzept wurde weltweit zur Erfolgsgeschichte. Ethical Banking ist seit dem Jahr 2000 ein Geschäftsfeld der Raiffeisenkasse Bozen und der beteiligten Raiffeisenkassen Südtirols, dessen Leitgedanke darin besteht, Solidarität zu zeigen, Selbstverantwortung zu fördern und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Der Leiter von Ethical Banking Roland Furgler betont, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung sei, die auf allen Ebenen angegangen werden muss: „Es braucht die Sensibilität der Bevölkerung, dass Obdachlosigkeit jede und jeden treffen kann und dass viele Menschen beitragen, um Menschen in schwierigen Situationen ein Leben in Würde und Schutz zu ermöglichen.“

Der Verein „housing first bozen EO“

Im Oktober 2020 haben engagierte Bozner Privatpersonen (Magdalena Amonn, Paul Tschigg, Christian Anderlan, Sigrid Bracchetti, Norbert Pescosta, Wolfgang Aumer, Martina Schullian, Verena von Aufschnaiter, Birgit Bragagna Spornberger und Erich Innerbichler) den Verein housing first bozen EO gegründet. Der Verein will Wohnungs- und Obdachlosigkeit in der Landeshauptstadt nachhaltig bekämpfen, neue Lösungsansätze nach Südtirol bringen und die Gesellschaft zum herausfordernden Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit sensibilisieren.

Weitere Infos: www.dormizil.org

Bezirk: Bozen