Von: ka
Bozen/Venedig – Im Jahr 2025 ist es kein Geheimnis mehr, dass der „neue Tourismus“ immer stärker unter dem Einfluss der sozialen Medien steht.
Sogenannte „Content Creator“ und Influencer mit Tausenden, wenn nicht gar Millionen Followern auf Instagram oder TikTok sind imstande, Massen von Touristen zu steuern und dadurch dafür zu sorgen, dass bestimmte Orte regelrecht überrannt werden. „Ein virales Video reicht aus, um Massen von Besuchern anzulocken und Unannehmlichkeiten zu verursachen. Es braucht einen Plan, denn mit KI wird dieses Phänomen noch zunehmen“, erklärt Professor Jan Van Der Borg von der Universität Venedig dem Corriere della Sera. Er beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Overtourism und beobachtet dieses Phänomen mit immer größerer Sorge.
Wenn man kein Selfie gemacht hat, war man praktisch nicht dort. Denn heute sind es nicht mehr die Kataloge der Reisebüros, die die Touristenströme lenken, sondern die Influencer. Im Zeitalter der Smartphonefotos zeichnen die sogenannten „Content Creator“ – Fluch und Segen des Tourismus 2.0 – die Landkarten der touristischen Wunschziele neu und entscheiden, welche Ziele es wert sind, besucht zu werden.
Angezogen von der Reichweite ihrer Beiträge stürmen Tausende Besucher die „Instagram-würdigen“ Reiseziele, also diejenigen, die sich für Fotos eignen und auf Instagram oder TikTok geteilt werden können. So wird das Reiseerlebnis auf eine Liste von Orten reduziert, die besucht werden „müssen“, um sie den eigenen Followern zu präsentieren. Die Folge ist, dass sich vor den Hotspots lange Schlangen von Menschen bilden, die auf der Suche nach dem spektakulärsten Video und dem gewagtesten Foto sind.
Dies kann auch einst unbekannte Orte betreffen, die plötzlich von Touristenmassen überrannt werden. Dieses Phänomen ist als „TikTok-Tourismus” bekannt. Er schreibt die Regeln des Reisens neu, indem er bisher kaum besuchte Reiseziele ins Rampenlicht rückt, die so weltweit Aufmerksamkeit erregen.
An Beispielen mangelt es nicht. So wurden Ende Januar in Roccaraso, einem einst beschaulichen Skigebiet in den Abruzzen, an einem einzigen Tag mehr als 10.000 Besucher und 220 Busse gezählt. Auslöser war ein Video der Influencerin Rita De Crescenzo, die auf TikTok nicht weniger als 1,7 Millionen Follower hat. Der Touristenansturm sorgte im Skigebiet, das auf einen solchen Andrang nicht vorbereitet war, für blankes Entsetzen.
Ähnliches gilt für die Seceda in Gröden: Sie ist zwar sehr bekannt, hat aber noch nie solch lange Schlangen erlebt. Bilder und Videos von Tausenden Menschen, die an der Zwischenstation Furnes in St. Ulrich Schlange standen, um auf die Seceda zu fahren und vor der Kulisse der imposanten Geislerspitzen das perfekte Foto zu schießen, wurden in den sozialen Netzwerken millionenfach geteilt und gingen so um die Welt.
Die Seceda ist dabei nicht allein. Dieser „neue Tourismus” äußerte sich in überfüllten Bussen zur Seiser Alm und in Scharen von Touristen am Karersee und am Pragser Wildsee, wobei letzterer bisher sage und schreibe 561.000 Instagram-Posts hervorbrachte. Der Sorapis-See war bisher eher weniger bekannt, aber seit er von Influencern „entdeckt” wurde, zählte er an Spitzentagen bis zu 3.000 Instagram-Touristen. Dem Dolomitenbergsee mit seinem eisigen Blau widmeten sie bisher nicht weniger als 47.300 Instagram-Posts.
Der Erfolg von Dolomites for Beginners, einer von der 24-jährigen Studentin Anna Zandegiacomo aus Cadore ins Leben gerufenen Online-Community auf Facebook, die Anfängertouristen in die Dolomiten führt, ist ebenfalls kein Zufall. Die Ende 2023 gegründete Community zählt heute mehr als 240.000 Mitglieder, darunter auch einige, die die Popularität des Portals ausnutzen, um ihre eigenen Dienstleistungen zu bewerben.
„Ja, das stimmt. Einige Fotografen bieten beispielsweise Fotoshootings für Hochzeiten in den Bergen an. Auf ‚Dolomites for Beginners‘ findet man aber vor allem Tipps für einfache Wanderungen. Ich arbeite derzeit am Thema Eindämmung des Overtourism und werde bald auch alternative, weniger überlaufene Routenvorschläge anbieten”, so Anna Zandegiacomo.
Die Macht der Bilder und Videos ist enorm: Eine endlose Theke voller Krapfen vor einem atemberaubenden Dolomitenpanorama führte durch Influencer dazu, dass die beliebtesten Krapfen des Sommers auf der Hütte Baita Friedrich August auf dem Col Rodella zu finden sind.
Die schönsten Strände und Küstenorte Italiens können mit ähnlichen Zahlen aufwarten. An der Spitze stehen die weißen Klippen der Scala dei Turchi in Sizilien mit 262.568 Instagram-Posts und fast 5.000 TikTok-Videos. Der Titel „Schönster Strand der Welt”, den die „World’s 50 Best Beaches” dieses Jahr der Cala Goloritzé im Golf von Orosei auf Sardinien verliehen haben, führte zu einem Boom mit Rekordbesucherzahlen und einer Flut von Instagram-Posts. Die Bilder der letzten Tage, auf denen Hunderte von Menschen dicht gedrängt an den schönsten Stränden Sardiniens zu sehen sind, sind erschreckend.
„Tatsächlich fußt diese durch die sozialen Medien geförderte, sehr veränderliche Nachfrage auf einer starren Haltung: Die touristische Nachfrage fokussiert sich nach wie vor auf dieselben ikonischen Orte der Grand Tour“, bemerkt Jan Van Der Borg, Professor für Tourismuswirtschaft und -politik an der Universität Venedig, gegenüber dem Corriere della Sera.
„Das Ergebnis ist paradox. Wir sehen eine sich auf globaler Ebene kaum verändernde Nachfrage und innerhalb dieser eine schnelle Abfolge von kurzlebigen Trends. Ein virales Video reicht aus, um Massen von Besuchern anzulocken. Das bringt für die Einwohner und diejenigen, die diese Orte in Ruhe genießen möchten, erhebliche Unannehmlichkeiten mit sich. Die grundlegenden Probleme bleiben jedoch bestehen, und durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz droht sich die Geschwindigkeit der Mundpropaganda noch weiter zu erhöhen“, erklärt Jan Van Der Borg. Der Professor für Tourismuswirtschaft und -politik an der Universität Venedig zieht insgesamt ein wenig optimistisches Resümee.
Die eigentliche Frage ist, wie man zu einem Tourismus zurückkehren kann, der für Einheimische und Ruhesuchende keine Belastung darstellt. Urlaubsorte zu konsumieren statt sie zu erleben, darf nicht die Zukunft sein.
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