Von: APA/AFP
Angesichts des anhaltenden Streits um die europäischen Klimaziele für die kommenden Jahrzehnte haben die Umweltminister der 27 EU-Länder eine Notlösung für die UNO-Klimakonferenz im November in Brasilien vereinbart. Sie einigten sich am Donnerstag nach Angaben mehrerer Diplomaten in Brüssel darauf, der UNO für das Jahr 2035 eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen in der EU um 66,25 bis 72,5 Prozent im Vergleich zum Stand von 1990 zuzusagen.
Diese Absichtserklärung kann die EU bei der UNO-Generalversammlung in der kommenden Woche in New York vorstellen. Neu sind die Zahlen nicht, sie sind von bereits beschlossenen EU-Zielen abgeleitet. Eine UNO-Frist für einen konkreten Plan Ende des Monats dürfte die EU verstreichen lassen.
Klimaziele sind Chefsache bei EU-Gipfel Ende Oktober
Das Problem: Die EU-Kommission hat die von der UNO verlangte Zusage an das EU-Klimaziel für 2040 geknüpft. Anders als die Zusage an die UNO ist dieses Ziel gesetzlich bindend, verlangt den 27 Ländern konkrete Bemühungen um mehr Klimaschutz ab und sorgt deshalb für Streit. Ländern wie Italien, Tschechien und Ungarn gehen bisherige Pläne zu weit.
Deutschland, Frankreich, Italien und Polen setzen sich dafür ein, das Klimaziel zur Chefsache zu machen und beim Gipfel der EU-Staats-und Regierungschefs Ende Oktober auf die Tagesordnung zu setzen. Im Anschluss wäre eine Sondersitzung der Umweltminister nötig, um die Zusage an die UNO vor Beginn der Klimakonferenz im November noch zu konkretisieren.
Totschnig: Staats- und Regierungschefs sollen Klimaziele beraten
“Alle Mitgliedsländer haben sich darauf geeinigt, 2050 klimaneutral zu sein”, sagte Österreichs Umweltminister Norbert Totschnig (ÖVP) vor dem Treffen. Das Zwischenziel 2040 sei ein sehr bedeutendes und könne nicht isoliert betrachtet werden; es brauche eine gesamtheitliche Betrachtung, da viele betroffen seien, insbesondere der Wirtschaftsstandort Österreich und Europa. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie müsse sichergestellt sein. Österreich brauche Wirtschaftswachstum und müsse ein Budget konsolidieren. Aufgrund aller dieser Punkte ist es für ihn “absolut gerechtfertigt”, dass diese Frage von den Staats- und Regierungschefs diskutiert werde, so der Minister vor dem Rat gegenüber Journalisten.
Er betonte, Österreich könne dem Klimaziel 2040 unter Voraussetzungen zustimmen: Alle Mitgliedstaaten müssten auf einen Netto-Null-Reduktionspfad verpflichtet werden, Vorreiter wie Österreich dürften nicht schlechter gestellt werden. Internationale Emissionszertifikate müssten strenge Kriterien erhalten, sodass kein Missbrauch möglich sei. Auch die Bedeutung der Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit müsse berücksichtigt werden, betonte der Umwelt- und Landwirtschaftsminister.
Es liege an der dänischen Ratspräsidentschaft, “Vorsorgen zu treffen, damit die nötigen Beschlüsse noch rechtzeitig gefasst werden können”. Die dänische Präsidentschaft habe einen ambitionierten Plan vorgeschlagen. Es sei immer üblich gewesen, solche grundlegenden Entscheidungen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs zu treffen. Er betonte, dass noch Zeit bleibe, die Beschlüsse rechtzeitig zu fällen. Die Verschiebung wurde im Vorfeld von den Grünen, Umweltorganisationen und NGOs scharf als “Verzögerung” kritisiert.
Friday for Future: Gefährliches Spiel
“Die Auswirkungen der Klimakrise lassen sich nicht durch Untätigkeit verzögern. Das 2040 Klimaziel aufzuschieben ist ein gefährliches Spiel mit der Sicherheit unserer Generation, bei dem die ÖVP mit Klimaminister Totschnig Österreich auf die falsche Seite gestellt hat. Die Entscheidung, das Ziel heute nicht im europäischen Ministerrat zu beschließen, ist ein taktischer Abbau von Klimaschutz, bei dem sich Europa nicht zuletzt international blamiert. Alle Anstrengungen der kommenden Wochen müssen in ein starkes Klimaziel gesteckt werden”, forderte Laila Kriechbaum, Sprecherin Fridays For Future Austria, gegenüber der APA.
Eine inhaltsleere Absichtserklärung statt ein europäisches Bekenntnis zur Bekämpfung der Klimakrise sei “nicht nur peinlich, es ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die diesen Sommer schon durch die Klimakrise ihr Leben verloren haben”, sagte die grüne EU-Abgeordnete Lena Schilling. “Wenn die Bundesregierung ohnehin hinter einem 90-Prozent-Ziel bis 2040 steht, ist es völlig unverständlich, warum man diese Position nicht heute beschließt, sondern stattdessen mit Viktor Orbán über den kleinsten gemeinsamen Nenner verhandeln will.”
SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl forderte: “Das 2040-Klimaziel ist ein zentraler Meilenstein auf unserem Weg zu einem klimaneutralen Europa 2050. Wenn wir anfangen, unsere Zwischenziele zu torpedieren, bringen wir auch unsere langfristigen Ziele massiv in Gefahr. Klimaneutralität können wir nicht einfach herbeizaubern, sondern können sie nur durch einen schrittweisen Prozess erreichen. Daher fordere ich den Umweltminister auf, sich auch in Brüssel für ambitionierte Klimapolitik stark zu machen, statt diese zu sabotieren.”
NEOS-Europaabgeordnete Anna Stürgkh betonte: “Dass das 2040-Klimaziel in den Europäischen Rat verschoben wird, ist ein Fehler.” Nötig sei “ein ambitioniertes Ziel von minus 90 Prozent bis 2040 – das schafft Innovation, Jobs, und stärkt Europas Wettbewerbsfähigkeit”.
“Es ist gut, wenn sich die Bundesregierung endlich zum eigenen Regierungsprogramm bekennt und nun auch das EU-Klimaziel unterstützt. Wir haben aber kein Verständnis für die Verzögerung”, reagierte die Umweltschutzorganisation Global 2000.
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