Die Verhandlung fand im Grauen Haus statt

20 Jahre Haft für Vater von Baby mit Schütteltrauma

Dienstag, 09. September 2025 | 19:33 Uhr

Von: apa

Am Dienstag ist am Wiener Landesgericht gegen die Eltern von vier Kindern verhandelt worden, denen versuchter Mord an ihrer jüngsten Tochter vorgeworfen wurde. Der Vater war als unmittelbarer Täter angeklagt, die Mutter als Beteiligte. Der 26-Jährige wurde einstimmig wegen versuchten Mordes für schuldig befunden und zu 20 Jahren Haft verurteilt. Seine 23 Jahre alte Ehefrau fasste wegen Beitrags zur Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen fünf Jahre aus.

Beim Vater wurde die “qualvolle Tatbegehung” erschwerend gewertet. Der Mutter wurde die “untergeordnete Beteiligung” mildernd zugestanden. Der Rechtsvertreter der Betroffenen, Lian Kanzler, bekam als Privatbeteiligtenvertreter 150.000 Euro zugesprochen.

Urteile nicht rechtskräftig

Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Verteidiger Andreas Reichenbach meldete für beide Elternteile jeweils Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Sie hatten in der Verhandlung die inkriminierten Tathandlungen vehement bestritten. Die damals sechs Wochen alte Tochter des Paars war kurz vor Weihnachten mit schweren, laut einem gerichtsmedizinischen Gutachten von einem Schütteltrauma herrührenden Hirnverletzungen in ein Spital gebracht worden. Das Baby überlebte, trug jedoch irreversible Hirnschäden davon. Die Staatsanwältin gab zu den Urteilen vorerst keine Erklärung ab.

Laut Anklage hatte der 26 Jahre alte Vater zumindest mit bedingtem Vorsatz seine jüngste Tochter zu töten versucht, indem er sie “zu nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkten im Dezember 2024 in zumindest zwei Angriffen mehrfach schüttelte, wodurch diese ein Schüttel-Trauma mit akuten Blutungen zwischen Schädeldecke und Gehirn, erhöhtem Hirndruck, Blutungen im Augenhintergrund, beidseitigen Hygromen (eine zystische Ansammlung von Flüssigkeiten, Anm.) und mehreren Brückenvenenthrombosen erlitt und akute Lebensgefahr bestand”. Der um drei Jahre jüngeren Mutter wurde angekreidet, es unterlassen zu haben, ihren Mann an der Tatbegehung zu hindern, obwohl sie bei den Übergriffen in der gemeinsamen Wohnung anwesend war. Weder hätte sie das Kind geschützt noch “dritte Stellen” – Ärzte oder die Kinder- und Jugendhilfe MA 11 – informiert.

Baby in “schwer lebensbedrohlichem Zustand” hospitalisiert

Wie Gerichtsmedizinerin Katharina Stolz in der Verhandlung darlegte, hatte der Rettungsdienst die Kleine am 20. Dezember 2024 in “schwer lebensbedrohlichem Zustand” in ein Spital gebracht. Das Baby wurde sofort intubiert. Es zeigten sich bei ersten ärztlichen Untersuchungen frische Einblutungen zwischen der harten und der weichen Hirnhaut, Anzeichen von Hirnschäden und eine Verkümmerung des Hirngewebes. Noch am selben Tag wurde dem Baby die Schädeldecke geöffnet und eine sogenannte Entlastungsoperation durchgeführt, um den Hirndruck abzubauen.

“Anfangs hat es ausgeschaut, als würde sie das nicht überleben”, schilderte die Sachverständige. Am 1. Jänner konnte aber die künstliche Beatmung entfernt werden. Am 21. Jänner wurde die Kleine auf eine Normalstation verlegt. “Sie war nicht in der Lage, selbstständig zu trinken. Das kann sie bis heute nicht”, führte Stolz aus. In weiterer Folge wurde das Baby in eine Reha-Einrichtung gebracht, inzwischen befindet es sich in einer Pflegeeinrichtung und ist schwerst beeinträchtigt, wie die Gerichtsmedizinerin darlegte.

“Sie greift nicht. Sie bewegt sich nicht. Sie dreht sich nicht. Sie kann die Extremitäten nicht gezielt bewegen. Sie kann nicht selbstständig Nahrung aufnehmen”, beschrieb die Gerichtsmedizinerin den Ist-Zustand des mutmaßlich misshandelten Kleinkindes. Es sei von einer “eingeschränkten Lebenserwartung” auszugehen.

Verteidiger: “Er ist ein liebevoller Vater”

Die Eltern blieben bei ihrer bisherigen Verantwortung und beteuerten, sie hätten ihrer am 13. Oktober 2024 geborenen Tochter nichts angetan. “Die Verletzungen sind unbestritten. Die Frage wird sein, wie es dazu gekommen ist”, sagte Verteidiger Andreas Reichenbach, der beide Angeklagte vertritt. Der Vater habe sich um das kleine Mädchen jedenfalls “immer liebevoll gekümmert” und das Kind “nie aktiv geschüttelt”.

Es gebe im Umfeld der Familie keinen einzigen Zeugen, der gewalttätiges Verhalten der Eltern beobachtet hätte, betonte Reichenbach: “Er ist ein liebevoller Vater. Auch über die Mutter ist immer nur Positives berichtet worden.” Die 23-Jährige habe seitens ihres Mannes keine Gewalt gegen ihre Kinder erlebt: “Wenn sie etwas mitbekommen hätte, hätte es sicher einen Riesendisput mit ihrem Mann gegeben. Sie hat überhaupt nie etwas mitbekommen.”

Paar seit sieben Jahren verheiratet

Bei den Angeklagten handelt es sich um ein aus Syrien stammendes Ehepaar, das seit sieben Jahren verheiratet ist. Der Mann kam 2021 nach Österreich, 2023 holte er seine Frau mit drei Kindern nach. Seit Dezember 2023 lebten sie mit drei kleinen Kindern in einer 60-Quadratmeter-Wohnung in Simmering. Im vergangenen Herbst kam dann die jüngste Tochter zur Welt.

Auf die Frage der vorsitzenden Richterin, wer sich nach der Geburt der Jüngsten um die anderen drei Kinder im Alter von fünf, vier und drei Jahren gekümmert habe, erwiderte die Mutter: “Es gab niemanden außer uns.” Ins Spital sei ihre Jüngste deshalb gekommen, “weil ihre Schwester auf sie umgefallen ist”. Das Baby habe ein wenig geweint und sei später “gelb” im Gesicht geworden. Bis dahin habe ihre Tochter “normal” gewirkt: “Daher bin ich davon ausgegangen, dass es ihr gut geht.”

Vater: “Meine Tochter ist mein Herz”

Der Vater verneinte die Frage, gegen seine kleine Tochter gewalttätig vorgegangen zu sein. “Meine Tochter ist mein Herz”, versicherte er.

Die Ärzte hätten von Anfang an den Verdacht auf ein massives Schütteltrauma geäußert, berichtete dagegen die Staatsanwältin den Geschworenen. Die Eltern, die zunächst als Zeugen und nicht als Beschuldigte geführt wurden, hätten behauptet, das Mädchen wäre unabsichtlich von ihrem ältesten Kind verletzt worden. Die wenige Wochen alte Tochter sei auf einer Matratze am Boden nahe bei der Heizung gelegen, damit sie es warm hat, ihre fünfjährige Schwester sei mit einem Handy in der Hand über sie gestolpert und mit dem Mobiltelefon gegen ihren Kopf gestürzt.

Diese Version zum Zustandekommen der Verletzungen ist für die Staatsanwältin widerlegt. Sie verwies auf das eingeholte gerichtsmedizinische Gutachten, das ausschließe, dass die Kopfverletzungen sich auf das von den Eltern beschriebene Geschehen zurückführen lassen.

Gerichtsmedizinerin demonstrierte Schütteln mit Baby-Puppe

Das bekräftigte Gerichtsmedizinerin Stolz in der Verhandlung. Die Geschwister der Betroffenen wären körperlich “nicht in der Lage gewesen, dieses Verletzungsbild hervorzurufen”. Vielmehr sei zum einen von einem kräftigen Schütteln kurze Zeit vor der Spitalseinlieferung und einem Vorgang “zwei bis drei Wochen” davor auszugehen. Das leitete Stolz zum einen aus dem Verletzungsmechanismus im Schädelinneren, zum anderen aus einem nicht frischen Bruch der dritten Rippe links über der Wirbelsäule ab. Für das Beibringen eines Schütteltraumas reiche ein heftiges Schütteln in der Dauer von fünf bis zehn Sekunden aus, stellte Stolz fest, wobei sie diesen Vorgang mittels einer speziell angefertigten Baby-Puppe den Geschworenen demonstrierte.

Eltern seit Mitte Jänner in U-Haft

Die Eltern befinden sich seit Mitte Jänner in U-Haft. Ihre anderen drei Kinder waren ihnen bereits zuvor wegen Gefahr im Verzug abgenommen worden. Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) übernahm die vorläufige Obsorge und kümmerte sich in weiterer Folge um Krisenpflegeeltern für die drei Kleinkinder.

Die beiden ältesten Kinder – vier und fünf Jahre alt – dürften im Krisenzentrum, wo sie zunächst untergebracht waren, über Vorgänge im Elternhaus berichtet haben. “Im Krisenzentrum ist es schöner. Dort werden wir nicht geschlagen”, soll die Fünfjährige erklärt haben. Wie zwei Sozialpädagoginnen im Zeugenstand dem Gericht erzählten, soll die Fünfjährige einen Polster auf den Boden geschmissen und vorgebliche Gewalthandlungen ihres Vaters demonstriert haben. Dabei habe die Fünfjährige auf Deutsch “Papa schlagen” bzw. “Papa tot machen” gesagt.

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