Juristischer Poker um Auslieferung

Nord-Stream-Sabotage: Südtiroler Anwalt verteidigt Ukrainer

Montag, 08. September 2025 | 12:31 Uhr

Von: mk

Bozen – Was wie der Plot eines internationalen Politthrillers klingt, ist beinharte Realität. Serhii Kuznietsov, ein 49-jähriger Ex-Militärangehöriger aus der Ukraine, wurde im August in Rimini im Urlaub mit seiner Familie festgenommen. Die deutschen Behörden beschuldigen ihn, einer der Hauptverantwortlichen für die Sabotage der Nord-Stream-Gas-Pipelines im September 2022 zu sein. Aus Südtiroler Sicht interessant ist: Der Mann wird vor Gericht in Bologna von Anwalt Nicola Canestrini verteidigt, der bei uns immer wieder mit aufsehenerregenden Prozessen für Schlagzeilen sorgt.

Drei Jahre nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee ist im August ein erster Tatverdächtiger gefasst worden. Die deutsche Bundesanwaltschaft ließ in Italien einen aus der Ukraine stammenden mutmaßlichen Koordinator der Operation festnehmen. Die Nord-Stream-Pipelines unter der Ostsee waren für den Transport von russischem Gas nach Deutschland gebaut worden, sie wurden im September 2022 durch Sprengsätze schwer beschädigt.

Die Leitungen waren damals nicht in Betrieb. Russland hatte die Gaslieferungen über Nord Stream 1 bereits kurz zuvor gestoppt – mutmaßlich als Reaktion auf die westlichen Sanktionen angesichts des russischen Einmarschs in die Ukraine. Nord Stream 2 ging nie in Betrieb. Im Oktober 2022 übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wegen der Sabotageaktion.

Der Ukrainer wird dringend verdächtigt, sich am gemeinschaftlichen Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion beteiligt zu haben. Vorgeworfen werden ihm außerdem verfassungsfeindliche Sabotage sowie die Zerstörung von Bauwerken.

Juristischer Poker um Auslieferung

Nach der Sabotageaktion, die den internationalen Energiemarkt erschüttert hat, fordert Deutschland nun Kuznietsovs Auslieferung, um ihn vor Gericht zu stellen. Doch das Berufungsgericht in Bologna hat die Entscheidung verschoben. Die Verteidigung des Ukrainers hat eine Aussetzung erwirkt, um die Anschuldigungen genauer zu prüfen.

Vertreten wird Kuznietsov vor Gericht von Anwalt Nicola Canestrini aus Rovereto, der Spezialist für internationales Strafrecht ist und auch in Südtirol hohe Bekanntheit genießt. Canestrini argumentiert, dass die Anschuldigungen der deutschen Justiz “militärische Handlungen in Kriegszeiten” betreffen, die seiner Ansicht nach unter funktionelle Immunität fallen. “Die Qualität der Justiz misst sich nicht an ihrer Schnelligkeit, sondern am Respekt der Rechte”, so Canestrini. Die Achtung der Grundrechte sei niemals verhandelbar – nicht einmal bei einem europäischen Haftbefehl.

Den deutschen Ermittlern zufolge war es im September 2022 eine Gruppe von Menschen, welche die Sprengsätze in der Nähe der dänischen Insel Bornholm an den Leitungen platzierte. Für den Transport hätten sie eine Segelyacht genutzt, die von Rostock aus startete. Diese sei mit Hilfe gefälschter Ausweispapiere über Mittelsmänner bei einem deutschen Unternehmen gemietet worden. Serhii Kuznietsov soll einer der Koordinatoren gewesen sein.

Verteidigung beruft sich auf Völkerrecht

Wie Canestrini betont, bestreite sein Mandant jegliche Beteiligung an dem Anschlag. Gleichzeitig sei er nicht bereit, Fragen zu seiner militärischen Dienstzeit zu beantworten. Canestrini betont, dass es sich bei den Taten “laut Genfer Konventionen um legitime Kriegsoperationen” handle, die unter funktionale Immunität im Rahmen des Völkergewohnheitsrechts fallen – und dieses sei “stärker als die staatliche Souveränität”.

Zudem sieht die Verteidigung Risiken bei einer Auslieferung: Kuznietsov könnte in Deutschland ein unfaires Verfahren drohen und es gebe keine effektiven Verteidigungsgarantien. Ein weiterer Punkt sei das Risiko der politischen Instrumentalisierung des Prozesses, zumal dem Angeklagten Akteneinsicht verwehrt worden sei. Auch die Haftbedingungen in deutschen Gefängnissen müssten überprüft werden.

Kuznietsov befindet sich derzeit in U-Haft. Bis das Gericht in Bologna effektiv ein Entscheidung fällt, dürften mehrere Wochen vergehen, da mit weiteren Anträge und Einsprüchen gerechnet wird.

Bezirk: Bozen

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