Bozen – Nach einem Jahr Coronapandemie ist die Stimmung im Land auf dem Nullpunkt. Obwohl Covid-19 Südtirol eine tiefe Krise und unsägliches Leid bescherte, gebührt SARS-CoV-2 aber doch der „Verdienst“, nicht nur die Schwächen der politischen Entscheider und des Gesundheitssystems gnadenlos offengelegt, sondern auch alle Südtiroler darauf hingewiesen zu haben, dass sie nicht über der Natur stehen.
Das kleine Land, das jahrelang immer stärker wuchs und immer reicher wurde, war es gewohnt, an der Spitze zu stehen. Ganz gleich, ob In- oder Ausland blickten nahe und ferne Gegenden oft mit Bewunderung, aber nicht selten auch mit Neid auf das kleine, wohlhabende und so vorbildlich organisierte Landl.
Das hatte aber auch viele Schattenseiten. Kurz vor dem Ausbruch der Corona-Krise glich das Land einem gedopten Bodybuilder – vielleicht noch schön anzuschauen, aber fast bis zum Platzen künstlich aufgeblasen. Die frühere Bescheidenheit war Hochmut und Protzerei gewichen. In einem Wettrennen, wer sich das schönste Haus, den fettesten Pkw und den teuersten Urlaub leisten kann, versuchten sich viele Einheimische gegenseitig zu übertrumpfen.
Die Risse in der Wohlstands- und Wohlfühlfassade waren aber bereits vor einem Jahr unübersehbar. Die Schar, die sich schwer damit tat, im teuren Südtirol ein zumindest bescheidenes Leben zu führen, wurde immer größer. Aber die wenigen Rufer, die vor einer auseinanderklaffenden Gesellschaft warnten, blieben ungehört.
Ironischerweise genügte ein Virus, das streng genommen nicht einmal ein selbstständiges Lebewesen ist, um Südtirol und seine Bewohner mit ganzer Härte auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Das Virus erzog die Südtiroler aber auch zu einer neuen Bescheidenheit. Während der „Schließungen“ erfuhren viele Einheimische, dass das Glück – ein Wald, der kleine See, der Berg hinter dem Haus oder auch der „Sandstrand“ der Etsch – oft nur wenige Geh- oder Radminuten entfernt ist. Der Lockdown führte vielen Landsleuten auch vor Augen, wie wertvoll in Krisenzeiten eine helfende Hand und ein intaktes Familienleben sind.
Am Beginn der Pandemie wollten die meisten Südtiroler nichts lieber als so schnell wie möglich zum „Vorher“ zurückzukehren, aber nach einem Jahr Krise wird vielen Einheimischen immer stärker bewusst, dass die Erfahrung von Covid-19 und der Ausstieg aus der schwersten globalen Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg in sich die Chance birgt, es in Zukunft besser zu machen. Wir besitzen bald die Gelegenheit, ein erfolgreiches, aber zugleich ein bescheideneres, solidarischeres und umweltfreundliches Südtirol der Zukunft zu bauen. Wir müssen sie nur ergreifen.
Von: ka
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9 Kommentare auf "Neue Bescheidenheit wagen"
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jo, jo, de reichn nemmen in notzeitn in ormen in oanzigen montel obwohl er schun 10 hot! de parabel steht schon in der bibel!
hoaßt, jeder krieg, jede kriese mocht viele orm und reiche no reicher und skrupellose sahnen ob!
de schere kloft holt no weiter ausnonder, sell werd passiern! ob sell soooooo optimal isch …?
Es ist immer schon so gewesen: Der Teufel sch … immer auf den größten Haufen.
ob insre politiker a an bescheidenheit denken wenn sie ihr paga oder ihre rente nochzählen…..🤫🤔🤭
Glaubt jetzt wirklich jemand, dass es nach diesen gigantischen Verwerfungen, plötzlich besser wird?
Ich befürchte der Graben zwischen den Volk und ein paar Gestopften wird eher noch größer werden.
Ich Glaube nicht, dass die Menschheit aus dieser Pandemie viel wertvolles daraus lernt. Das mehr, besser, schneller, höher, ohne Rücksicht auf Verluste, Ellebogen-Taktik, all diese negativen Seiten werden wir nicht ablegen, eher das Gegenteil befürchte ich. Menschlich eben, mit grossen Gehirn, aber wenig Verstand.
den Artikel selbst finde ich sehr getroffen, leider wird die Bescheidenheit, das Miteinander und der Zusammenhalt wohl nach der Krise von jener kleinen Gruppe weitergelebt werden die vorher schon solidarisch waren. Der Rest wird beim Neustart wieder das schneller höher weiter fortführen um den “Standart” wieder zu erreichen oder gar zu überbieten
Solidarisch und sozial ist die Gesellschaft nur in der größten Not. So bald es wieder besser geht gewinnt der Egoismus und die Raffgier. Da muss jeder selbst entscheiden was ihm wirklich wichtig ist. Für mich hat jede Krise eine gute Seite, nämlich das wir uns oft über Luxusprobleme ärgern und das Bewusstsein verändern können und müssen.
Arme Gesellschaft, die nur aus Fehlern lernen kann!