Von: apa
Vom einst mächtigen Taschachferner ist nur noch wenig zu sehen. Der Gletscher am Ende des Tiroler Pitztales stieß zwischen 1970 und 1987 weiter talwärts vor, jetzt liegt sein Ende Hunderte Höhenmeter über der damaligen Marke. Der Rückgang des Eises vollzieht sich überall in den Alpen rapide, das lässt auch alte archäologische Artefakte ausapern, die lange im Eis lagen. Das stellt Wissenschafter vor Herausforderungen.
Durch den sich weiter beschleunigenden Klimawandel werden nun Flächen eisfrei, die es mitunter sehr lange nicht waren. Aber auch Zeugnisse relativ junger Ereignisse, die gar nicht so lange tiefgekühlt deponiert waren, liegen jetzt an Stellen, an denen nun zarte Pflänzchen frühere Eisflächen langsam in Beschlag nehmen. Der Taschachferner kann mit den Überresten einer geschichtlichen Episode aufwarten, die noch nicht allzu lange zurückliegt, im Sommer 2024 aber bereits Archäologen interessiert: ein im Jahr 1944 auf den Gletscher gestürzter US-Bomber.
Dieser war am Weg zurück nach einem Bombardement der Skoda-Werke in Tschechien in Schwierigkeiten geraten. Über Sölden im Ötztal stieg die zehnköpfige Besatzung dann aus, das Flugzeug flog noch bis zum Taschachferner, wo es auf einer Höhe von rund 2.500 Metern zerschellte, wie der Hochgebirgsarchäologe Thomas Bachnetzer von der Universität Innsbruck und sein Kollege Johannes Pöll vom Bundesdenkmalamt (BDA) der APA beim Aufstieg zur Absturzstelle erklärten. Seit einigen Jahren befindet sich selbige nun unterhalb der Eisgrenze. Die Forscher machten sich im August an die erste systematische Begehung, Vermessung und Dokumentation der Absturz- und heutigen Fundstelle.
Für Pöll stellt die Lagefeststellung und Klassifikation der mittlerweile durch die früheren Eis- und nun Geröllbewegungen im steilen Gebiet unterhalb der mächtigen Seitenmoräne verteilten, eher kleineren Wrackteile die primäre und wichtigste denkmalpflegerische Aufgabe dar. Die Moräne häufte der Ferner bei seiner Maximalausdehnung im Jahr 1855 auf, heute braucht es viel Fantasie, um sich das vorzustellen. Ist der Bomber vom Typ B-17 aus archäologischer Sicht noch sehr jung, so ist es die im Jahr 2016 am nahen Seekarjoch auf rund 2.900 Seehöhe gefundene Trittfalle aus Zirbenholz nicht.
Sie wurde dort laut Analysen von Bachnetzer und Kollegen im 14. Jahrhundert, im damals ausschleichenden mittelalterlichen Klimaoptimum, ausgelegt, um höchstwahrscheinlich Steinböcke zu fangen. Das haben die Wissenschafter auch durch eine detailgetreue Rekonstruktion der Falle herausgefunden. Dass das organische Material die Jahrhunderte fast unbeschadet überdauern konnte, ist der Konservierung durch Eis, Schnee und den insgesamt deutlich verlangsamten Abbauprozessen angesichts der dort niedrigen Jahresdurchschnittstemperaturen zu verdanken. Das ist jetzt weg: “In einigen 10.000 Jahren kommt es vielleicht wieder”, so Bachnetzer lapidar.
In den kommenden Jahren aber werden nicht nur die Tiroler Gletscher vermutlich noch einige alte Artefakte freigeben. Bachnetzer und Kollegen vom BDA haben kürzlich eine Informationssammlung aller bisher bekannten 17 Gletscher-nahen Fundstellen bundesweit zusammengestellt. Sind die Funde aus organischem Material, überdauern sie ohne Eis-Konservierung teilweise nicht lange, betonte der Hochgebirgsarchäologe.
Die langjährige Ansicht, dass im Gebirge für seine Zunft kaum etwas zu holen wäre, gehöre mittlerweile der Vergangenheit an. Heute ist vielerorts klar, dass diese so harschen Naturräume in der Vergangenheit immer wieder zur Jagd, zur Hochweidewirtschaft oder zum Abbau von Rohstoffen aufgesucht wurden, wenn die klimatischen Bedingungen gerade günstig, respektive warm waren. Am Eingang ins Taschachtal gibt es sogar Nachweise menschlicher Anwesenheit aus der mittleren Steinzeit, sagte Bachnetzer.
Ein hochalpiner Ort, den der Mensch auch immer wieder aufsuchte, ist das Pfitscherjoch auf rund 2.300 Metern Seehöhe am Übergang vom hinteren Zillertal zum Südtiroler Pfitschertal. Hier konnten Bachnetzer und Kollegen bereits in den Jahren 2011 bis 2016 nachweisen, dass Speckstein (Lavez) für die Gefäßproduktion abgebaut wurde. Die frühesten Spuren deuten auf einen Beginn im ersten Jahrhundert nach Christus hin. Damals gab es dort auch eine Art kleine Werkstätte.
Der Abbau dürfte einst regionalwirtschaftlich durchaus bedeutend gewesen sein. Insgesamt konnten dort bisher 16 Lavez-Abbrüche dokumentiert werden, erklärte Bachnetzer. Offenbar wurde wirklich überall, wo es verheißungsvoll aussah versucht, einen Rohling zu gewinnen. Wann dort die Abbautätigkeiten geendet haben, ist unklar, da die meisten Zeugnisse noch nicht datiert werden konnten. Das Areal scheint aber über viele Jahrhunderte hinweg einschlägig genutzt worden zu sein.
Sind die Spuren am Pfitscherjoch, auf das es die Gebirgsarchäologen auch im heurigen Sommer gezogen hat, mehr oder weniger in Stein gehauen, liegen andere Artefakte nach dem Eis-Rückzug in der Regel einfach herum. Dementsprechend werden sie nur in absoluten Ausnahmefällen von Experten entdeckt. Daher bräuchte es ein breiter bekanntes System, mit dem etwaige Funde von Laien auf einfache Art und Weise gemeldet werden, und sich Archäologen dann zur Fundstelle auf den Weg machen können, so Pöll. Eine von Forschern aus dem Schweizer Wallis entwickelte App namens “IceWatcher” leiste das, sei aber noch zu wenig bekannt. Gemeldet werden können solche Funde aber auch an Universitäten, an das Bundesdenkmalamt oder Museen wie die Wissenschafter betonten.
Dass die Zeit tatsächlich drängt, zeigt sich auch am Taschachferner: Die seit einiger Zeit deutlich leichter erreichbaren Fliegerteile schwinden nämlich zusehends, wie die Begehung zeigte. Kein Wunder, gibt es nicht nur viele Sammler von Relikten aus dem Zweiten Weltkrieg oder frühen Epochen der Luftfahrt, sondern mitunter auch zahlreiche Hochgebirgsbesucher, die Dinge einfach achtlos mitnehmen. Die großen Teile des Bombers, wie etwa die Motorblöcke, wurden übrigens bereits vor einiger Zeit mit einem Helikopter geborgen.
Auch wenn sich die auffindbare Anzahl an größeren Objekten an der Absturzstelle an dem relativ warmen Sommernachmittag im oberen Pitztal in Grenzen hält, ziehen die Experten ein positives Fazit. Während das Schmelzwasser im Hochtal unablässig laut zu Tale rauscht, meint Bachnetzer, dass die vielen Kleinteile, wie Rohre, Tanks oder Gummirückstände von Reifen, vor Ort doch eine Überraschung darstellen. Durch Gletscherbewegungen, Muren oder auch Lawinen wurden Artefakte nach unten vertragen, erklärte der Archäologe.
Überbleibsel, die ganz klar zeigen, dass hier ein großer Flieger abgestürzt ist, fehlen aber mittlerweile fast gänzlich. Manche davon könnten heutzutage auch von Steinen bedeckt sein. “In ein paar Jahrzehnten wird man dort oben aber möglicherweise gar nichts mehr finden, weil Leute immer wieder Kleinteile mitnehmen”, so der Archäologe. Gerade um das Bewusstsein für die Besonderheit dieser Fundstelle bei der Bevölkerung zu wecken und den weiteren Schwund an Wrackteilen zu unterbinden, kann Pöll sich vorstellen, dass der Ort unter Denkmalschutz gestellt werden könnte.
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2 Kommentare auf "Schwindende Gletscher bringen neue Herausforderungen für Archäologen"
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Zum Glück leben wir momentan in einer Wärmeperiode.