Lift hat sich plötzlich rückwärts bewegt

Sessellift-Horror: Ähnlicher Vorfall in den 80-ern auch in Südtirol – VIDEO

Samstag, 17. März 2018 | 12:41 Uhr

Gudauri – Bei einem Unglück mit einem vom Vorarlberger Unternehmen Doppelmayr erbauten Skilift in dem georgischen Urlaubsort Gudauri sind am Freitag mindestens acht Personen verletzt worden. Der Lift habe sich plötzlich mit hoher Geschwindigkeit rückwärts bewegt, berichten lokale Medien. Dabei seien die Sitzgondeln in der Talstation ineinander gekracht.

Auf Amateuraufnahmen aus dem Internet ist zu sehen, wie Umstehende die Personen in den Gondeln zum Abspringen auffordern. Später kümmerten sie sich um die Verletzten. Wie es zu dem Unglück kommen konnte und warum es keine Notabschaltung gab, wird derzeit untersucht.

Doppelmayr-Unternehmenssprecher Ekkehard Assmann sagte am Samstag gegenüber der APA, dass die beiden Techniker aus Wolfurt in Gudauri zwar eingetroffen sind, aber nicht an den Unfallort vorgelassen werden: “Wie erwartet, ist der Bereich von den Behörden gesperrt. Unsere Leute haben mir erklärt, dass von Georgien beauftragte Sachverständige unterwegs wären.”

Berichte darüber, was zu der Fehlfunktion des Vierersessellifts geführt hat, seien zum jetzigen Zeitpunkt deshalb reine Spekulationen, so Assmann, eine Ferndiagnose “völlig unseriös”. Ein vergleichbarer Vorfall sei ihm während seiner fast 20 Jahre dauernden Tätigkeit für den Vorarlberger Seilbahnhersteller jedenfalls nicht untergekommen.

Kurze Zeit nach dem Zwischenfall kursierten bereits erschreckende Aufnahmen von Wintersportlern in den sozialen Netzwerken. Ein Mitarbeiter in Georgien hatte sich unmittelbar danach an den Unfallort begeben. Dabei handle es sich jedoch nicht um einen Techniker, betonte Assmann.

Der Sessellift war 2007 in dem Ferienort im Norden Georgiens erbaut worden. Gudauri liegt rund 120 Kilometer von der Hauptstadt Tiflis entfernt im Kaukasus an der Grenze zu Russland.

Ähnlicher Unfall in den 80-er Jahren in Südtirol

Einen beinahe identischen Unfall gab es bereits, und zwar in Tarsch im Vinschgau im Jahr 1982. Damals gab es zwei Tote und 23 Verletzte, alle drei Bremsen haben versagt und der Sessellift bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit rückwärts.

“Der Spiegel” berichtete damals in einem Artikel mit dem Titel “Wie Dreschflegel” von dem Lift-Unglück in Südtirol:

 

Wie Dreschflegel
Wie sicher sind Sesselbahnen? Beim rätselhaften Unglück von Tarsch in Südtirol – zwei Tote, 23 Verletzte – versagten alle drei Bremsen.
Fünf Winter hindurch verrichtete die Sesselbahn von Tarsch im Vinschgau, Südtirol, zuverlässig ihren Dienst. In Doppelsitzen baggerte sie Wintersportler auf eine 2000 Meter hoch gelegene Ski-Alm.
Doch letzte Woche, zwei Tage nach Weihnachten, kehrte sich der Skilift plötzlich gegen seine Benutzer. “Es war wie in einem Horrorfilm”, berichtete der Busfahrer einer Reisegruppe von 40 Skifahrern aus Speyer, die gerade in den Sesseln schwebten. “Körper wurden durch die Luft gewirbelt.” Der Busfahrer, der das Geschehen von der Talstation beobachtete, “konnte gerade noch die um sich stehenden Kinder zurückreißen”.
Nach einem Stopp hatte die Sesselkette plötzlich begonnen, mit immer höherer Geschwindigkeit rückwärts zu gleiten. Manfred Kurz, Reiseleiter der Speyerer Gruppe, erkannte geistesgegenwärtig S.120 die Gefahr und rief: “Abspringen!” Manche fielen in hohen Schnee, “hatten unbeschreibliches Glück im Unglück” (Kurz). Andere, aus bis zu 15 Meter Höhe abspringend, landeten auf Felsvorsprüngen und Baumstümpfen.
Am schlimmsten war es unten an der Talstation. Dort wurde unter “seltsam hohen Pfeiftönen”, so Unfallzeugen, die gewöhnlich fast lautlose Sesselbahn am riesigen Umlaufrad zum rasend rotierenden Karussell.
Zwei deutsche Skitouristen wurden gegen eine Betonwand geschleudert und kamen dabei zu Tode. 23 Passagiere erlitten teils lebensgefährliche Verletzungen. Es war das folgenschwerste Sesselbahn-Unglück des letzten Vierteljahrhunderts (beim Unglück von Cavalese im Jahre 1976 mit 42 Toten war es die Kabine einer Seilbahn, die abstürzte).
Stunden dauerte es, bis die letzten Liftbrüchigen aus der schließlich angehaltenen Sesselbahn befreit und bis die aus voller Fahrt Abgesprungenen geborgen waren. Und bis Ende letzter Woche blieb die Ursache des Unglücks ungeklärt: Den Technikern ist es ein Rätsel, warum alle drei voneinander unabhängigen Bremssysteme ausgefallen waren, von denen jedes das Unglück hätte verhindern können.
Statistisch betrachtet, haben die Benutzer von Bergbahnen, denen weltweit 21 515 Luftseilbahnen, Sessel- und Schlepplifte ihren Service anbieten, ein hohes Maß an Sicherheit zu erwarten. Dennoch hat jeder einzelne der wenigen Unfälle erwiesen, wie anfällig die Seilbahn-Technik trotz aller Kontrollen gelegentlich sein kann.
Die zur Tarscher Alm führende Doppelsesselbahn funktioniert nach dem Ohne-Halt-Prinzip, wie im Paternosteraufzug. Die Sessel, eingeklinkt in ein endloses Förderseil, das Trag- und Zugseil zugleich ist, schweben mit einer Geschwindigkeit von etwa zwei bis zweieinhalb Meter je Sekunde dahin. Jeweils zwei Skitouristen klemmen sich an der Talstation in die hängenden Sessel (mit Sicherheitsbügel), an der Bergstation rappeln sie sich wieder frei von dem Gestänge.
Aufsichtspersonal sorgt sowohl auf der “Umlenk-Spannstation” im Tal als auch auf der in diesem Fall 1595 Meter entfernten und 715 Meter höher gelegenen Bergstation für sachgemäßen Transport. Die Bergstation (Techniker-Bezeichnung: “Fixe Antriebsstation”) birgt den Elektromotor, der über ein Getriebe auf die große, waagerecht sich drehende Antriebsscheibe wirkt. Die Lift-Ordner droben und drunten stehen über eine Telephonleitung und einen Sicherheitsstromkreis in Verbindung.
Die Liftanlage in Tarsch, erbaut von “Konrad Doppelmayer & Sohn”, einer Maschinenfabrik für Sessellifte, Aufzüge und Hebebühnen in Wolfurt, Vorarlberg, hatte aus besonderem Grund ein aufwendigeres Bremssystem als die meisten anderen Sesselbahnen. Weil die Tarsch-Bahn ungewöhnliche Steilstrecken mit Steigungen bis zu 90 Prozent zu meistern hat, verlangte die staatliche italienische Abnahmekommission den Einbau einer zusätzlichen, zweiten Betriebsbremse.
Schalten können die Liftmänner auf ihrem Steuerpult oben wie unten auf
* Sofort-Stopp – dann sollen augenblicklich die hydraulischen Betriebsbremsen auf das Getriebe wirken;
* verlangsamte Fahrt – etwa um Ein- oder Ausstieg zu erleichtern;
* langsames Auslaufen – das übliche, sanfte Anhalte-Verfahren für Betriebspausen.
Für den Fall, daß in einer Notsituation beide Betriebsbremsen versagen, hat die Bahn in Tarsch eine automatisch wirkende Sicherheitsbremse. Sie preßt sich gegen die Antriebsscheibe, sobald die übliche Laufgeschwindigkeit des Lifts um 20 Prozent überschritten wird, gleich ob vorwärts oder rückwärts. Beide Bremssysteme, Betriebs- wie Sicherheitsbremse, müssen – eine weitere Besonderheit der in Italien gültigen Vorschriften – für den äußersten Notfall auch per Handrad bedient werden können.
Gut einen Monat vor dem Unglück, am 23. November, hatte der zuständige TÜV die Anlage zum letztenmal überprüft. Das Personal konnte alle vorgeschriebenen Befähigungen nachweisen, auch technisch gab es nichts zu beanstanden – kein Hinweis auf Schwächen in der Bremsanlage. Am Morgen des Unglückstages hatte der Lift-Betrieb gegen 8.30 Uhr begonnen. Um 9.50 Uhr waren rund 150 Fahrgäste auf Bergfahrt – etwa 80 Prozent der Sessel waren besetzt. Talwärts war niemand unterwegs.
Um einem Kind in den Sessel zu helfen, schaltete der Lift-Wärter in der Talstation auf “verlangsamte Fahrt”. Statt dessen blieb der Lift – Schaltfehler? – ganz stehen, und glitt ein wenig rückwärts, für die Benutzer noch kein Grund zur Sorge; solche Stopps gibt es bei allen Sessellifts, ohne daß die Fahrgäste die Ursache erkennen können.
Als dann aber die rasante Rückwärts-Talfahrt einsetzte, gerieten auch routinierte Sessellift-Fahrer in Panik. In immer schnellerer Fahrt, von keiner Bremse gestoppt, taumelte die Sesselkette talwärts, 150 Rückwärtsfahrer waren den Gesetzen der Schwerkraft ausgeliefert.
Erst als das Seil an einem der Stützpfeiler von den Rollen sprang und sich dadurch festklemmte, wurde das Tempo verlangsamt. Im selben Augenblick war ein beherzter Lift-Mann an der Bergstation unter den leeren Schleudersitzen durchgetaucht, die wie riesige Dreschflegel um das Umlaufrad rotierten, und hatte am Hand-Bremsrad gekurbelt – das beendete die Höllenfahrt.
“Stromausfall”, so lauteten erste Vermutungen über den Unglückshergang – eine vorschnelle Hypothese. Denn erstens war immer Strom verfügbar, zweitens funktioniert die Betriebsbremse gerade durch Stromentzug. Die wirklichen Ursachen blieben noch im Dunkel.
“Wir müssen der Sache auf den Grund kommen”, sinnierte ein Seilbahn-Ingenieur der Firma Doppelmayer, “damit wir das Risiko in Zukunft ausschalten können.” Aus Bozen kam Staatsanwalt Rocco Pittarelli im Hubschrauber und plombierte alle technischen Einrichtungen an der Unglücksstätte.
Die Ski-Urlauber aus Speyer mochten ihren Urlaub zwar nicht abbrechen, wollen aber “so schnell keinen Lift mehr besteigen”. Sie fuhren mit ihrem Bus ins 50 Kilometer entfernte Skigebiet von Reschen – zum Langlauf.

Von: luk

Bezirk: Vinschgau