Europäische Woche der psychischen Gesundheit

Tabu war gestern: Südtirol spricht über psychische Gesundheit

Sonntag, 18. Mai 2025 | 08:01 Uhr

Von: luk

Bozen – Vom 19. bis 25. Mai 2025 findet die Europäische Woche der psychischen Gesundheit statt. Ziel der Initiative, die bereits zum sechsten Mal europaweit begangen wird, ist es, das Bewusstsein für psychische Erkrankungen zu schärfen – denn sie gelten heute als größte gesundheitliche Herausforderung für die Menschheit. In Südtirol wird die Aktionswoche vom Sanitätsbetrieb gemeinsam mit der European Alliance Against Depression (EAAD) organisiert. Deren regionaler Koordinator, Primar Dr. Roger Pycha, gibt einen Einblick in die aktuellen Herausforderungen und Chancen in der psychiatrischen Versorgung.

„Jeder dritte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung“, erklärt Pycha. Gleichzeitig seien jedoch an einem beliebigen Tag nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung in psychiatrischer Behandlung. Diese Diskrepanz zeige einerseits, dass viele psychische Erkrankungen heilbar seien – andererseits auch, dass viele Menschen unbehandelt bleiben und im Stillen leiden.

Nach wie vor sei der Umgang mit psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft von Tabus geprägt, so Pycha. Während über körperliche Leiden wie Knochenbrüche oder Rückenschmerzen offen gesprochen wird, bleiben Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen oft unerwähnt. Das führe dazu, dass viele Betroffene sich schämen oder keine Hilfe suchen – obwohl moderne Psychiatrie und Psychotherapie wirksame Behandlungen bieten.

Vor allem die Depression ist laut Pycha gut behandelbar: Etwa 70 Prozent der leichteren und mittelschweren Fälle sprechen auf Psychotherapie an, bei schweren Depressionen sind Antidepressiva in gleicher Größenordnung wirksam. Auch Kombinationstherapien, Lichttherapie bei Winterdepressionen und Elektrokonvulsionstherapie in therapieresistenten Fällen zeigen gute Erfolge. Sogar Placeboeffekte haben in wissenschaftlichen Studien bei rund einem Drittel der Betroffenen zu Besserung geführt – ein Beweis dafür, wie wichtig Vertrauen, empathischer Umgang und eine positive Haltung zur Genesung sind.

Ein Teil psychischer Erkrankungen – wie etwa die bipolare Störung oder rezidivierende Depressionen – verlaufen chronisch oder kehren im Lebensverlauf zurück. Ähnlich wie bei körperlichen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck kann hier eine dauerhafte medikamentöse Behandlung notwendig werden, um Rückfälle zu vermeiden und Lebensqualität zu erhalten.

„Die moderne Psychiatrie bietet viele wirksame Ansätze – aber um sie erfolgreich einzusetzen, brauchen wir eine offenere und tolerantere Gesellschaft“, betont Pycha. Die Europäische Woche der psychischen Gesundheit solle genau dazu beitragen: mehr Verständnis, weniger Stigmatisierung und mehr Mut, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Bezirk: Bozen

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