Guterres sieht zunehmend tiefe Gräben

Van der Bellen und Schallenberg für Sicherheitsratsreform

Mittwoch, 20. September 2023 | 03:34 Uhr

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) treten für eine Reform des UNO-Sicherheitsrats ein. Anlässlich eines Treffens mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, im Rahmen der 78. Generalversammlung am Dienstag in New York waren sich die beiden einig: Die aktuelle Struktur sei ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs und nicht mehr zeitgemäß. Auch Guterres wirbt schon länger für eine Neugestaltung des Gremiums.

“Der Sicherheitsrat in seiner jetzigen Struktur war eine Konsequenz nach 1945”, formulierte Van der Bellen nach dem Treffen mit Guterres im Headquarter der Vereinten Nationen in New York. “Das sieht man vor allem an den sogenannten ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats. Ob das dem 21 Jahrhundert noch angemessen ist, darüber muss man diskutieren.” Allerdings werde diese Frage “sicher nicht von heute auf morgen entschieden werden”, so Van der Bellen.

Schallenberg ortete eine “gewisse Dynamik” in dieser Frage. Konkret begrüßte er, dass sich US-Präsident Joe Biden in seiner Rede für eine solche Reform ausgesprochen habe. Die angestrebte Reform ist auch Bestandteil eines Prozesses, der im September des kommenden Jahres in einen “Summit of the Future” münden soll. Der Startschuss dazu soll am Donnerstag erfolgen.

Zum Start der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung warnte Guterres am Dienstagvormittag vor einer Aufspaltung der Welt. Es gebe tiefe Gräben zwischen den größten Wirtschafts- und Militärmächten, zwischen Ost und West sowie zwischen reichen Staaten und Entwicklungsländern. “Wir nähern uns immer mehr einem großen Bruch der Wirtschafts- und Finanzsysteme sowie der Handelsbeziehungen.”

Ohne eine Reform der internationalen Institutionen – auch des UNO-Sicherheitsrates – könnten Probleme und Interessen nicht wirksam angegangen werden. Der Status quo sei keine Lösung: “Es geht um Reform oder das Zerbrechen”, meinte Guterres. “Unsere Welt gerät aus den Fugen. Die geopolitischen Spannungen nehmen zu. Die globalen Herausforderungen nehmen zu. Und wir scheinen nicht in der Lage zu sein, zusammenzukommen, um darauf zu reagieren.”

Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz drängte in seiner Rede von der UNO-Vollversammlung auf eine Reform des UNO-Sicherheitsrates und sprach den Veto-Mächten indirekt das Recht ab, eine Neuordnung zu verhindern. “Letztlich liegt es in der Hand der Generalversammlung, über eine Reform des Sicherheitsrates zu entscheiden”, sagte Scholz laut Reuters in der Nacht zu Mittwoch laut Redemanuskript. Die Zusammensetzung des Sicherheitsrates sei überholt. “Afrika gebührt mehr Gewicht, so wie auch Asien und Lateinamerika.”

Die aktuelle Zusammensetzung des Sicherheitsrats mit fünf ständigen Mitgliedern (China, Frankreich, Russland, USA und Großbritannien) spiegle die aktuelle Situation nicht mehr wider, argumentierte auch der österreichische Außenminister. “Die Welt hat sich weiterentwickelt.” Dem müsse Rechnung getragen werden. Ideen gebe es viele. Es sei aus österreichischer Sicht aber leicht, etwa ein Ende des Vetorechts zu fordern, räumte Schallenberg ein, wohlwissend, dass es “dazu nicht kommen wird.”

Aber es könnte schon Änderungen geben, etwa dass ein alleiniges Veto nicht mehr genüge. Eine Reform bei der Zusammensetzung des Gremiums müsse aber auch berücksichtigen, dass der “globale Süden mehr für sich einfordert”, sagte Schallenberg in Bezug auf die Entwicklungs- und Schwellenländer vordringlich aus dem afrikanischen und asiatischen Raum. Auch Van der Bellen merkte an, dass das hochrangige Treffen überlagert sei von der “Frage Nord gegen Süd, West gegen Russland oder umgekehrt.” Es mache sich auch “das steigende Selbstbewusstsein von Ländern mit niedrigerem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf” bemerkbar.

Das machte am Dienstag auch der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in seiner Rede vor dem Plenum deutlich. Mit Lula trafen Schallenberg und Van der Bellen am Dienstag ebenfalls zusammen. Der Bundespräsident ließ dabei wissen, dass die Klimakrise “nur gemeinsam” bewältigt werden könne. “Brasilien spielt eine Schlüsselrolle in unseren gemeinsamen Anstrengungen zur Bewältigung der globalen Krise, einschließlich der Klimakrise”, sagte Van der Bellen. Die EU habe ihre Unterstützung für den Schutz des Amazonasgebietes vor Abholzung verstärkt, erinnerte der Bundespräsident: “Das ist eine gute Sache, denn: Der Amazonas absorbiert große Mengen an Kohlendioxid und ist daher für unser Klima lebenswichtig. Ohne Lateinamerika werden wir die Klimakrise nicht aufhalten können.” Es sei daher sehr interessant gewesen, sich mit Lula über “seine Projekte” auszutauschen.

Schallenberg bekräftigte seine bereits im Vorfeld geäußerte Ansicht, dass der “Multilateralismus” aktuell einem Stresstest unterworfen sei und die multipolare Welt Risse aufweise. Das habe sich nicht zuletzt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die unterschiedlichen Haltungen dazu gezeigt.

Die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Arbeit der Vereinten Nationen könnten schlimmer sein, meinte indes der UNO-Experte Richard Gowan von der Denkfabrik Crisis Group in New York im Gespräch mit österreichischen Medien. So habe der Sicherheitsrat, in dem auch Russland als ständiges Mitglied vertreten ist, seine Arbeit “mehr oder weniger” fortgesetzt und etwa auch Resolutionen zum Sudan oder Afghanistan verfasst.

Allerdings sei es den Staaten des “Globalen Südens” gelungen, ihre Forderungen wieder aufs Tapet zu bringen, wonach wieder mehr über ihre wirtschaftlichen Probleme und Entwicklungsprogramme gesprochen werden müsse, meinte der UNO-Experte. Jedenfalls habe auch Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seiner Rede im Rahmen der UNO-Generaldebatte ein Publikum vorgefunden, das in der Frage der Beurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine keineswegs homogen sei, sondern durchaus differenzierte Ansichten vertrete, so der UNO-Insider.

Van der Bellen betonte indes, dass Selenkyj bereits vor der Rede viel Applaus erhalten habe. Das sei an sich bei einer UNO-Generaldebatte nicht üblich. “Ich würde sagen, das spricht dafür, dass die Stimmung unter der großen Mehrheit der Staaten so ist, dass sie verstanden haben, dass es hier um einen Aggressor geht, nämlich Russland und einen Angegriffenen, nämlich die Ukraine.”

Der Bundespräsident sah auch Grund zum Optimismus. Immerhin hätten die 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen bereits am Montag eine Erklärung zur Bekräftigung der ins Stocken geratenen UNO-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung einstimmig angenommen. “Im Vorfeld gab es Bedenken”, erinnerte er. Die Zustimmung habe auch Guterres sehr positiv gestimmt, hieß es auch in UNO-Kreisen.

Schallenberg konferierte am Dienstag mit mehrere Amtskollegen, vordringlich aus dem afrikanischen Raum. Am Abend besuchte Schallenberg noch die Ausstellung “What Should I be Afraid of? Roma Artist Celja Sojka” im Österreichischen Kulturforum in New York. Die Exposition zeigt 90 Gemälde und Zeichnungen der österreichischen Romakünstlerin Celja Stojka (1933-2013). Sie überlebte in ihrer Kindheit und frühen Jugend drei nationalsozialistische Konzentrationslager und war in ihrem weiteren Leben engagierte Kämpferin für die Rechte ihrer Volksgruppe. Dies Ausstellung war am 23. Mai 2023 – dem 90. Geburtstag Stojkas – eröffnet worden und kann noch bis 25. September besucht werden.

Von: apa