Lorenzo Stocchi erzählt seine Corona-Leidensgeschichte

„Bin 35 Jahre alt und war gesund – dann kamen Covid und Intensivstation“

Freitag, 13. November 2020 | 08:14 Uhr

Arezzo – Ein junger Mann, Lorenzo Stocchi aus Arezzo in der Toskana, hat auf Bitten vieler Bekannter und Freunde hin beschlossen, seine ganz persönliche Erfahrung mit Covid-19, die er „grauenhaft“ fand, mit der Außenwelt zu teilen.

Mit einem langen Facebook-Eintrag will er besonders die jungen Leute darauf aufmerksam machen, dass das Virus sehr schnell und sehr hart zuschlagen kann. Um seinen dramatischen Corona-Krankheitsverlauf zu unterstreichen, fügte er dem Post ein Foto bei, das ihm unter einem CPAP-Beatmungshelm zeigt. „Bin 35 Jahre alt und war gesund. Dann kamen Covid und Intensivstation. Als mein Zimmernachbar starb, brach ich zusammen“, so Lorenzo Stocchi auf Facebook. Auch wenn es Lorenzo Stocchi heute besser geht, muss er doch noch im Krankenhaus verweilen.

„Vielleicht werden meine Worte bei jenen ankommen, die immer noch darauf beharren, die Gesichtsmaske unter der Nase zu tragen und mit den Freunden gemeinsam das Abendessen zu genießen. Am 19. Oktober musste ich wegen einer Hornhautverletzung die Augenambulanz des Krankenhauses von Arezzo aufsuchen. Im Wartesaal waren viele Patienten. Aber obwohl alle ihre Gesichtsmasken trugen und das Desinfektionsgel benutzten, gelang es dem Virus – vielleicht, weil ich unbewusst öfters meine Augen berührt hatte – in meinen Körper einzudringen“, so der 35-Jährige.

Facebook/Lorenzo Stocchi

Fünf Tage später bekam Lorenzo Stocchi während seiner Arbeit im Büro leichte Kopfschmerzen. Als er abends heimkehrte, hatte er mit 37,3 Grad leicht erhöhte Temperatur. Der 35-Jährige begab sich in die häusliche Isolation und unterzog sich auf eigene Rechnung einem serologischen Test, der aber negativ war. Lorenzo Stocchi litt zwar nicht an Erkältungssymptomen, Husten oder an einem Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, aber trotz der Einnahme hoher Dosen des fiebersenkenden Medikaments Paracetamol – besser unter dem Namen Tachipirin bekannt – stieg das Fieber immer höher. Drei Tage später forderte sein Hausarzt für ihn einen Corona-Abstrich an. Da aber keine freien Kapazitäten zur Verfügung standen, fuhr der 35-Jährige selbst zum nächsten Corona-Drive-in-Testzentrum. Zu diesem Zeitpunkt spürte der junge Mann bereits, dass es ihm immer schlechter ging. Er war kurzatmig und hatte Schwierigkeiten, sich klar auszudrücken. Später zeigte das Oximeter, das er vorsorglich erworben hatte, einen drastischen Rückgang der Sauerstoffkonzentration im Blut an. Sein äußerst besorgter Hausarzt verständigte die „Unità Speciali di Continuità Assistenziale“(USCA). Bei den USCA handelt es sich um ein aus Ärzten und Pflegekräften bestehendes Team, das die häusliche Betreuung von Covid-19-Patienten übernimmt.

„Als das USCA-Team am nächsten Tag eintraf, konnte ich nicht mehr sprechen. Mein Keuchen war von Weitem zu hören. Das Atmen fiel mir schwer und ich fühlte mich wie ein eben erst gefangener Fisch, der nach Luft schnappte. Sie lieferten mich sofort in das Krankenhaus von Arezzo ein. Nach der ärztlichen Visite wurde ich auf die Abteilung für Infektionskrankheiten verlegt. Die Röntgenaufnahme ergab, dass mein rechter Lungenflügel praktisch kollabiert und dass es um den linken kaum besser bestellt war“, so die dramatische Schilderung des jungen Mannes.

„Sie stülpten mir einen CPAP-Beatmungshelm über den Kopf und ließen durch die Leitung pro Minute 60 Liter Sauerstoff fließen. Es war ein betäubender und dauernder Lärm, der mich daran hinderte, die Ärzte zu verstehen. Ich selbst konnte mich wegen meiner Kurzatmigkeit nur über Gesten verständigen und musste mich auf das Atmen konzentrieren. Daraufhin wurde ich auf die Intensivstation verlegt. Es begann ein Albtraum. Zwischen verschiedenen Kathetern, Sonden und anderen Anschlüssen war ich in meinen Bewegungen äußerst eingeschränkt. Ich war isoliert. Ich lag nackt in einem Bett und war umgeben von Ärzten und Pflegekräften, die mir Therapien verschrieben und verabreichten, die dem Zweck dienten, die Lungenfunktion wiederzuerlangen“, erzählt Lorenzo Stocchi.

Facebook/Lorenzo Stocchi

„Sie versuchten mir, Mut zu machen, aber aus psychologischer Sicht war es sehr hart. Der schlimmste Moment war, als mein Zimmernachbar starb. Auch wenn ich ihn nicht kannte, lag er doch drei Tage lang neben mir. Dann brach ich zusammen. Ich wurde intubiert. Diese Nacht versuchte mich ein Arzt der Intensivstation auf den Bauch zu legen, was mir wegen des Beatmungshelms aber sehr schwerfiel. Zum Glück war ich betäubt. Wie durch ein Wunder begannen sich meine Alveolen wieder zu öffnen. Ab diesem Moment begann meine langsame Genesung. Sie brachten mich auf die Abteilung für Infektionskrankheiten zurück. Derzeit bin ich gerade dabei, vom Sauerstoff „entwöhnt“ zu werden. Dank der hohen Sauerstoffmengen erlangten die Lungen ihre Funktion zurück. Jetzt muss ich erneut lernen, normal zu atmen“, beschreibt Lorenzo Stocchi seine dunkelsten Stunden und seine „Wiedergeburt“.

„Langsam erhole ich mich. Natürlich gerate ich noch immer in Atemnot, wenn ich für die Einnahme der Mahlzeiten oder den Gang auf die Toilette den Sauerstoff abstellen muss, aber ich bin auf dem Weg der Besserung“, so Lorenzo Stocchi.

„Ich bin 35 Jahre alt, gehe in das Fitnesscenter, habe eine gute physische Verfassung, habe keine Vorerkrankungen und erfreue mich guter Gesundheit – oder besser habe mich guter Gesundheit erfreut. Ich habe immer auf die Desinfektion der Hände geachtet und immer eine Gesichtsmaske getragen. Dem Virus ist es trotzdem gelungen, in meinen Körper einzudringen. Ich denke an meinen Zimmernachbarn und all die anderen, die es trotz ihres Kampfes nicht geschafft haben. Man muss dem Virus um jeden Preis zuvorkommen, auf das Virus aufmerksam machen und die Skeptiker überzeugen. Auch sie werden es begreifen, wenn eine ihnen nahestehende Person um ihr Leben kämpfen wird. Aber dann wird es bereits zu spät sein“, so der Aufruf des 35-jährigen Mannes aus Arezzo in der Toskana.

Von: ka