Von: ka
Rom/Paris – Eine Umfrage der angesehenen französischen Zeitschrift Le Grand Continent, in der Bürger verschiedener europäischer Länder unter anderem zur Einschätzung der Stärke ihrer eigenen Armee und zu ihrer Haltung bezüglich der Unterstützung der Ukraine befragt wurden, förderte Erstaunliches zutage.
So glaubt ein Drittel der befragten Italiener, dass Putin sich auf einen Krieg gegen ihr Land vorbereitet. 85 Prozent der Befragten befürchten jedoch, dass die italienischen Streitkräfte nicht auf einen Krieg vorbereitet sind. Ähnlich wie die anderen Europäer vertrauen auch die Italiener nicht auf die Hilfe von Donald Trump. Nach den Querelen um die Zölle und sein „irrlichterndes Verhalten” in der Ukraine-Politik halten ihn die Hälfte der Bürger des Stiefelstaats sogar für einen „Feind Europas”.

Le Grand Continent ist eine 2019 gegründete Zeitschrift, die sich geopolitischen, europäischen und künstlerischen Themen und Debatten widmet. Sie beauftragt regelmäßig ein Umfrageinstitut – diesmal Cluster 17 –, um die europäischen Bürger nach Staaten aufgeteilt zu ihrer Meinung zu wichtigen internationalen oder gesellschaftlichen Fragen zu interviewen. Der Vergleich der Meinung der Italiener mit der der „Durchschnittseuropäer” förderte neben vielen Gemeinsamkeiten auch einige erstaunliche Unterschiede zutage.

Mehr als die Hälfte der Europäer befürchtet, dass Russland sich darauf vorbereitet, offen Krieg gegen ihr Land zu führen. Die Italiener sind in dieser Hinsicht etwas weniger pessimistisch als der Durchschnitt: „Nur” jeder dritte Bürger des Stiefelstaats sieht ein hohes Risiko. Eine überwältigende Mehrheit glaubt jedoch, dass Italien schnell ins Hintertreffen geraten würde, wenn es zu einem Krieg zwischen Wladimir Putins Streitkräften und Europa käme. Mit 85 Prozent schätzen nicht weniger als drei Viertel der Italiener, dass sich ihr Land nicht verteidigen könnte. Das ist ein Rekordwert unter den EU-Staaten. Nur in Belgien sehen die Menschen die Lage mit 87 Prozent noch pessimistischer.

Noch mehr als vor der Aggressivität Russlands fürchten die Europäer jedoch, Opfer terroristischer Anschläge zu werden. Im Durchschnitt sind zwei Drittel der Europäer der Ansicht, dass von terroristischen Organisationen die größte Gefahr für die Sicherheit ausgeht. Mit 86 Prozent hält Frankreich, das gerade erst den zehnten Jahrestag des islamistischen Anschlags auf den Bataclan begangen hat, den europäischen Höchstwert. Mit 81 Prozent folgt an zweiter Stelle das Schreckgespenst des russischen Militarismus: Die Europäer glauben nicht mehr an Putins verdeckte Schachzüge und vertreten mehrheitlich die Meinung, dass Moskau keinen Frieden will.

Angesichts dieses Bewusstseins für die Gefahr unterstützt die europäische Öffentlichkeit die Sache der Ukraine weiterhin deutlich. 30 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die derzeitige Unterstützung für Kiew beibehalten werden sollte, weitere 31 Prozent sind sogar der Ansicht, dass sie erhöht werden sollte. Allerdings gibt es auch einen Anteil von einem Fünftel der Europäer, die überzeugt sind, dass es an der Zeit sei, die Hilfe für das Land von Wolodymyr Selenskyj einzustellen.

In dieser Frage ist die italienische Öffentlichkeit übrigens am unsichersten. Ganze 30 Prozent möchten die Unterstützung für Kiew vollständig einstellen, was einen Rekordwert in Europa darstellt. Genauso viele sind der Meinung, die Unterstützung sollte unverändert beibehalten werden. Der Rest der befragten Italiener ist gleichmäßig gespalten zwischen denen, die der Meinung sind, die Hilfe sollte erhöht werden, und denen, die sie verringern wollen. Die Unterstützung für Kiew kostet jedoch Geld und Mühe, wie die Verhandlungen der EU über die eingefrorenen russischen Vermögenswerte zeigen – insbesondere seit dem Rückzug der USA unter Donald Trump. Entsprechend dem europäischen Durchschnitt betrachtet mittlerweile jeder zweite Italiener Trump ausdrücklich als „Feind Europas”. „Auf dem gesamten Kontinent wird der Trumpismus eindeutig als feindliche Kraft angesehen, und diese Wahrnehmung festigt sich”, erklärt Jean-Yves Dormagen, Professor für Politikwissenschaft und Herausgeber der Umfrage.

In diesem besorgniserregenden und unsicheren Umfeld steht die Politik der Regierung von Giorgia Meloni: Zwar stellt sie sich verbal auf die Seite der Ukraine, ist aber immer weniger bereit, Geld für italienische oder amerikanische Waffen auszugeben, um konkret zu helfen. Verteidigungsminister Guido Crosetto appelliert jedoch, dass auch Italiens Streitkräfte qualitativ und quantitativ aufgerüstet werden sollten, um „heutigen und zukünftigen Bedrohungen” zu begegnen.

In einer Anhörung vor den gemeinsamen Verteidigungsausschüssen von Abgeordnetenkammer und Senat bekräftigte Guido Crosetto, wie dringend es für Italien sei, „eine ausgewählte Reserve, einen ausgebildeten personellen Pool, der im Falle einer Krise oder auch einer Naturkatastrophe bereits einsatzbereit ist und nicht nur aus Militärfachleuten besteht”, zu schaffen. Zu diesem Zweck hat Crosetto einen Plan vorgelegt, der die Ergänzung der italienischen Armee um 40.000 Freiwillige verschiedener Herkunft und Zweckbindung vorsieht.

Damit dürfte die römische Regierung auch die Hoffnung verbinden, das Vertrauen der Italiener in ihre Armee zu stärken. Angesichts der immer schwieriger werdenden internationalen Lage ist das auch bitter notwendig.








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