57-Jähriger wegen vorsätzlicher Tötung im Gefängnis – VIDEO

Kein tragischer Jagdunfall: „Lass mich hier nicht sterben“

Montag, 30. Januar 2023 | 08:18 Uhr

Assisi/Monte Subasio – Der Tod eines 25-jährigen Jägers, Davide Piampiano, der am 11. Januar in einem Wald auf dem Monte Subasio bei Assisi während der Wildschweinjagd ums Leben gekommen ist, war nicht wie zunächst fälschlicherweise angenommen ein Jagdunfall, sondern „Mord durch Unterlassung“.

Sein 57-jähriger Jagdkollege – ein enger Freund der Familie, den Davide als “zweiten Vater” bezeichnete – soll der Rekonstruktion der Staatsanwaltschaft von Perugia zufolge Davide Piampiano mindestens zwanzig Minuten lang im Sterben liegen gelassen haben, ohne ihm zu helfen, und nur damit beschäftigt gewesen sein, die Tatortszene so zu verändern, dass er nicht als Schütze erscheinen würde. Piero Fabbri, dem vermutlich die Rettung seines Jagdscheines und seines Waffenpasses näher lagen als die Rettung seines jungen Jagdkollegen, wurde wegen vorsätzlicher Tötung verhaftet und ins Gefängnis überstellt.

Facebook/Davide Piampiano

Piero Fabbri wurde von Davide Piampiano als „zweiter Vater“ bezeichnet. In der Tat war der 57-Jährige, der wegen vorsätzlicher Tötung im Gefängnis von Perugia sitzt, ein enger Freund der Familie Piampiano, den der junge Davide von klein auf kannte. Mit ihm teilte der junge Mann auch die Leidenschaft für die Jagd.

Folgt man aber der Rekonstruktion des mit dem Fall betrauten Staatsanwalts von Perugia, Raffaele Cantone, soll die „enge Freundschaft“ Piero Fabbri nicht daran gehindert haben, den 25-Jährigen, den er vielleicht versehentlich für ein Wildschwein gehalten und angeschossen hatte, im Stich zu lassen. Anstatt sofort die Rettungskräfte zu alarmieren, soll er versucht haben, den Tathergang so darzustellen, als sei der junge Mann nach einem Sturz von einer aus seinem eigenen Gewehr stammenden Kugel getroffen worden. Dabei soll er den Tod von Davide Piampiano, dessen Rettung zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch möglich war, billigend in Kauf genommen haben. Als der von einem anderen Jäger verständigte Notarzt im unzugänglichen Waldgebiet eintraf, war es bereits zu spät.

LPA/Landesamt für Jagd und Fischerei

Der vermeintliche tragische Jagdunfall, der sich als vorsätzliche Tötung entpuppte, geschah am 11. Januar in einem Wald auf dem Monte Subasio bei Assisi während der Wildschweinjagd. Davide, Piero und ein dritter Jäger, der mit dem Jagdgebiet gut vertraut war, befanden sich bereits auf dem Rückweg. Davide Piampiano ging gerade einen steilen Weg hinab, als ihn plötzlich eine Kugel in die Brust traf. Der Schuss hatte sich versehentlich aus dem Gewehr des Festgenommenen gelöst. Möglicherweise hatte er aber auf ein vermeintliches Wildschwein gefeuert.

Eine sofortige Alarmierung der Rettungskräfte hätte das Leben des jungen Mannes wahrscheinlich gerettet, aber sein „zweiter Vater“ dachte offenbar nur daran, seine Reputation als Jäger, seinen Jagdschein und seinen Waffenpass zu retten. Es waren die Aufnahmen der GoPro-Kamera, die der junge Jäger immer bei sich trug, um seine Jagden zu filmen und sie in den sozialen Netzwerken zu veröffentlichen, die Piero Fabbri zum Verhängnis werden sollten. Die Kamera zeichnete die letzten Minuten im Leben von Davide Piampiano detailgetreu auf.

Um zu simulieren, dass der tödliche Schuss nicht aus seinem, sondern aus dem Gewehr des 25-Jährigen stammte, nahm es das Jagdgewehr von Davide Piampiano an sich und gab aus ihm einen Schuss ab. Dann entledigt er sich seines Gewehrs und seiner Jagdkleidung. Währenddessen geht es Davide immer schlechter, bis er stirbt. „Lass mich hier nicht sterben“, sind seine letzten Worte, die im Video zu hören sind.

APA/dpa/Uwe Anspach

Inzwischen hatte der dritte Jäger, der etwas weiter entfernt war und die Schüsse gehört hatte, die Rettungskräfte verständigt. Als der Notarzt wegen der nicht rechtzeitig erfolgten Alarmierung mit erheblicher Verspätung im unzugänglichen Waldgebiet eintraf, war Davide bereits tot. Piero Fabbri präsentierte seine „Wahrheit“ und gab an, dass der junge Jäger Opfer eines tragischen Jagdunfalls geworden sei.

Die „tragische Jagdunfall“ machte die Ermittler aber von Anfang an stutzig. Irgendetwas passte nicht zusammen, angefangen bei der Autopsie, die keine Anzeichen für einen Schuss aus nächster Nähe ergab, wie es hätte sein müssen, wenn Davide sich selbst erschossen hätte. Die Auswertung des Videos der von den Carabinieri sichergestellten Kamera ließ die „Wahrheit“ von Piero Fabbri endgültig in sich zusammenbrechen. Zwei Wochen nach dem Tod von Davide Piampiano wurde der 57-Jährige wegen vorsätzlicher Tötung verhaftet und ins Gefängnis von Perugia überstellt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Anklagen wegen Mittäterschaft erhoben werden.

APA/APA (dpa)/Lino Mirgeler

Staatsanwalt Cantone erklärt, dass bei der Ausstellung des Haftbefehls mit diesem schweren Vorwurf auf die Rechtsprechung zum Fall Marco Vannini Bezug genommen wurde. Der 20-Jährige war im Jahr 2015 während eines Familientreffens in einer kleinen Villa in Ladispoli bei Rom durch einen Schuss getötet worden. Um seinen Waffenpass und seinen Arbeitsplatz zu retten, hatte Antonio Ciontoli, aus dessen Waffe die tödliche Kugel abgefeuert worden war, versucht, die Tat so lange wie nur möglich zu vertuschen, wobei er seine Frau, seine Tochter und seinen Sohn in die Tat mit hineingezogen hatte.

Obwohl Marco Vannini im Sterben gelegen war, hatte die Familie Ciontoli – auch die Tochter, dessen Freund der 20-Jährige gewesen war – absichtlich lange gezögert, die Rettungskräfte zu verständigen. Marco Vanninis Leben hätte bei rechtzeitiger Alarmierung gerettet werden können. Vor einem Jahr fällte das römische Kassationsgericht das endgültige Urteil. Während Antonio Ciontoli, der Vater der Freundin des Opfers, eine Haftstrafe von 14 Jahren erhielt, wurden seine Frau und seine beiden Kinder wegen Beihilfe und Mittäterschaft zu jeweils neuneinhalb Jahren verurteilt.

Sollten die Richter im Fall Davide Piampiano zu einem ähnlichen Urteil gelangen, dürfte Piero Fabbri, der vom Opfer als „zweiter Vater“ bezeichnet wurde, eine ebenso lange Haftstrafe winken. Die neue italienische Rechtsprechung sieht für diese Art von Taten, für die Gerichtsbeobachter den Begriff „Mord durch Unterlassung“ prägten, hohe Gefängnisstrafen vor.

In Assisi ist die Trauer um den Tod des jungen Mannes groß. „Für Assisi ist es ein weiterer trauriger Tag. Nicht nur, weil dieser beliebte junge Mann von uns gegangen ist, sondern auch, weil es sich laut den Ermittlungen herausgestellt hat, dass es kein Unfall gewesen ist: ein Drama im Drama“, so die Bürgermeisterin von Assisi, Stefania Proietti.

Von: ka