Arbeitslosigkeit in Italien? - Carraro sucht vergeblich Beschäftigte

Keiner will „Traktor-Mensch“ werden

Dienstag, 05. Dezember 2017 | 07:06 Uhr

Campodarsego – Trotz der angeblich hohen italienischen Arbeitslosigkeit tun sich gerade dynamische, exportorientierte Unternehmen schwer, geeignete und vor allem willige Arbeitskräfte zu finden. Liegt es an der mangelnden Einstellung zur Arbeit oder an den gebotenen Gehältern?

Zu diesen verzweifelt nach Arbeitskräften suchenden Unternehmen gehört auch der Traktorenhersteller Antonio Carraro. Das 1907 gegründete und in Campodarsego in Venetien sesshafte Familienunternehmen sucht unter dem Motto „Diventa uno di noi, diventa un Tractor People“ („Komme zu uns, werde ein Traktor-Mensch“, Anmerkung der Redaktion) bereits seit Monaten nach neuen Arbeitskräften. Antonio Carraro möchte insgesamt 70 neue Angestellte in allen möglichen Bereichen anheuern, aber bisher haben sich gerade zehn Bewerber gemeldet, von denen nur drei geeignet sind. Keiner will „Traktor-Mensch“ werden, so das traurige Resümee der Unternehmerfamilie.

Instagram/Antonio Carraro

Liliana Carraro, die in der Unternehmerfamilie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, erklärt, dass Antonio Carraro den Produktionsprozess komplett neu organisiert habe und nun voll auf die digitale Innovation setze. Sie glaubt, dass das Problem kultureller Natur sei und es nicht an am gebotenen Gehalt liege.

„Wir gehören in Venetien zu jenen drei Unternehmen, die im Schnitt die höchsten Gehälter zahlen. Für die am geringsten qualifizierten Berufsbilder zahlen wir einen Bruttoanfangsgehalt von 1.590 Euro. Wir haben zehn Millionen Euro in neue, hochtechnologische Produktionsmaschinen investiert und haben eine „digitale Fabrik“ geschaffen, wo alles miteinander verbunden ist. Wir brauchen keine Arbeiter, die wie am Anfang des letzten Jahrhunderts am Fließband stehen, sondern Arbeitskräfte mit neuen Kompetenzen, die in der Lage sind diese Produktionsprozesse zu steuern und zu überwachen. Dabei werden die Hände des Technikers nicht mehr schmutzig, weil nun die Maschine im Dienst des Menschen steht und nicht mehr umgekehrt“, so Liliana Carraro.

Instagram/Antonio Carraro

Antonio Carraro sucht vor allem deshalb junge Leute, weil diese bereits mit der digitalen Welt aufgewachsen sind, aber gerade die scheinen kein Interesse daran zu haben, Kleintraktoren herzustellen.

„Wie ist es möglich, dass es keine Interessenten gibt, Teil unserer Gemeinschaft zu werden? Wir sind bodenständig, sind nie weggezogen, sind ein gesundes Unternehmen, bieten unseren Angestellten eine Mensa und noch andere Dienstleistungen. Vielleicht wollen die jungen Leute heute alle Arzt oder Rechtsanwalt werden, aber ich glaube kaum, dass sie im heutigen Italien, in dem wir leben, einen Brotberuf finden werden. Vielleicht sind die jungen Leute demoralisiert und haben eine falsche Meinung vom Beruf des Metallarbeiters“, meint etwas betrübt Liliana Carraro.

Instagram/Antonio Carraro

Es scheint sich vor allem um ein kulturelles Problem zu handeln.

„Sicher gibt es keine Beziehung zwischen den Universitäten und der Industrie. Die akademische Welt ist nicht mit der Innovationsgeschwindigkeit des produzierenden Gewerbes verbunden. Ist Ihnen nicht bewusst, dass 30 Prozent der Arbeitslosen technologische Analphabeten sind?“, fragt sich Liliana Carraro.

Liegt der Ball im Feld der Unternehmen oder in dem der Arbeitslosen? Liegt es an der mangelnden Einstellung zur Arbeit oder an den gebotenen Gehältern?

Von: ka