Tochter und Enkel verrieten sich in abgefangenen Gesprächen - VIDEO

Mord im Familienmilieu: „Du kostest uns 5.000 Euro im Jahr“

Montag, 15. Februar 2021 | 08:25 Uhr

Montecassiano/Macerata – Die Ermittler hegen keinen Zweifel mehr. Sie gelangten zur Erkenntnis, dass die 78-jährige Rosina Carsetti von ihren eigenen Familienangehörigen ermordet worden war.

Die 48-jährige Arianna Orazi, die den Mord in erster Linie geplant haben soll, und ihr Sohn, der 21-jährige Enea Simonetti, der der eigentlichen Ausführung der Bluttat beschuldigt wird, wurden aufgrund der beeinträchtigten Verteidigungsmöglichkeit des Opfers wegen mehrfach erschwerten vorsätzlichen Mordes festgenommen und in eine Haftanstalt überstellt. Aus Altersgründen wurde hingegen darauf verzichtet, den Ehemann des Opfers – den 79-jährigen Enrico Orazi, dem eine Beteiligung an der Mordtat zur Last gelegt wird – in ein Gefängnis zu verlegen. Unter der Leitung der zuständigen Staatsanwaltschaft von Macerata gelang es den Carabinieri und der Spurensicherung, eine erdrückende Beweislast zu sammeln. Es waren insbesondere die abgehörten Gespräche sowie ein Instagram-Chat, die die Tochter und ihren Sohn verrieten.

YouTube/Rosina Carsetti

Am Heiligabend um 19.51 Uhr läutete in der Carabinierikaserne von Montecassiano – einer Kleinstadt in den Marken – das Telefon. Am anderen Ende der Leitung befand sich Arianna Orazi. Sie schilderte den Carabinieri, dass ein großgewachsener, dunkelgekleideter und einen osteuropäischen Akzent sprechender Dieb in ihr Haus eingedrungen wäre. Ihren Angaben zufolge hätte sie der Dieb zuerst geohrfeigt und gefesselt, anschließend ihren 79-jährigen Vater im Badezimmer eingeschlossen und zuletzt ihre 78-jährige Mutter angegriffen, wodurch diese einen Herzinfarkt erlitten hätte. Die 48-Jährige fügte hinzu, dass erst ihr von Weihnachtseinkäufen heimkehrender Sohn Enea sie und ihren Vater befreit hätte. Nach ihrer Version des Tathergangs hätten sie gemeinsam die auf dem Küchenboden liegende Leiche ihrer Mutter, der 78-jährigen Rosina Carsetti, gefunden und das Fehlen von 2.000 Euro entdeckt.

Als die Carabinieri am Tatort eintrafen, fanden sie wie im Telefonat angegeben, in der Küche die Leiche von Rosina Carsetti. Die Beamten der Spurensicherung, die die Wohnung einer minutiösen Untersuchung unterzogen, entdeckten weder Zeichen eines gewaltsamen Eindringens wie aufgebrochene Fenster oder Türen noch Spuren des angeblichen Diebes. Auch die beiden Hunde hatten nie gebellt. Daraus schlossen die Ermittler, dass der angebliche unbekannte Täter nie existiert hat. In der Folge wurden der Ehemann, die Tochter sowie der Enkel des Opfers mit dem Verdacht auf Mord, Beihilfe zum Mord und Vortäuschung einer Straftat in das Ermittlungsregister eingetragen.

YouTube

Während die drei Verdächtigen in der Öffentlichkeit ihre Unschuld beteuerten, begannen die ermittelnden Carabinieri unter der Leitung des zuständigen Staatsanwalts von Macerata, Giovanni Giorgio, damit, die Verhältnisse im Haus Orazi-Carsetti näher zu beleuchten. Dabei griffen die Ermittler unter anderem auf Abhörgeräte, die Untersuchung der Smartphones der Verdächtigen sowie die Auswertung von Chats in den sozialen Netzwerken zurück.

Sie stießen sehr bald auf verstörende Einzelheiten. Rosina Carsetti wurde von ihren eigenen Familienangehörigen regelrecht gemobbt. Nachdem sie dazu gezwungen worden war, die Hälfte des Hauses ihrem Enkel zu überschreiben, hatte sie gegenüber ihren Freundinnen immer wieder darüber geklagt, dass ihre Familienangehörigen sie in einen kleinen, unbeheizten Wohnbereich verbannt hätten und ihr nur zehn Euro am Tag zugestehen würden. Zuletzt hatten sie die ältere Frau nur mehr für eine finanzielle Last gehalten. „Du kostest uns 5.000 Euro im Jahr“, so die Tochter und der Sohn zur 78-Jährigen.

Enea Simonetti brachte die Ermittler auf die richtige Spur. Im Verhör verstrickte er sich mehrmals in Widersprüche. Während einer Einvernehmung gab er an, dass es nie einen Raub gegeben habe und dass seine Großmutter bei einem Unfall gestorben sei. Er fügte hinzu, dass er erst später aus Liebe zu seiner Mutter an der Vortäuschung eines Raubes mitgewirkt habe. Später zog er aber diese Worte zurück und nahm sein Recht in Anspruch, keine Angaben zum Tathergang zu machen.

Als Arianna Orazi erfuhr, dass ihr Sohn gegenüber den Carabinieri dem „vereinbarten Tathergang“ widersprochen hatte, bekam sie es mit der Angst zu tun. „Du kannst ihnen nicht sagen, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat. Eine Erdrosselung kann man nicht als Unfall durchgehen lassen“, so die Mutter zum Sohn in einem abgehörten Gespräch. Sie riet ihrem Sohn dazu, Ruhe zu bewahren, weil die Ermittler den Mord ohnehin „dem schwächsten Glied der Angelegenheit, Opa Enrichetto, anhängen würden“. Was sie nicht wusste: Zu diesem Zeitpunkt hatten die Gerichtsmediziner noch keine Angaben zur Todesursache von Rosina Carsetti offengelegt.

ANSA/ GUIDO PICCHIO

In der Tat ergab die Autopsie, dass die 78-Jährige verprügelt und erstickt worden war. Der Leichnam wies den Bruch eines Schlüsselbeins und nicht weniger als 14 gebrochene Rippen auf. Wie aus der Messung des Gewichts aller Verdächtigen hervorging, besaß nur Enea einen mit den am Leichnam festgestellten Verletzungen vereinbaren Körperbau.

Weitere abgehörte Gespräche sowie die Auswertung der Smartphones bekräftigten den Verdacht der Ermittler, dass der Mord an Rosina Carsetti seit Wochen geplant worden war, wobei die Mutter die Tat ausgeheckt und ihr Sohn den eigentlichen Mord ausgeführt haben soll. „Ich habe angefangen, einen Plan zu entwickeln“, so die Mutter in einem vergeblich gelöschten Instagram-Chat. In einem mitgeschnittenen Gespräch erwähnte sie auch ihren „Fehler“, die beiden Hunde nicht betäubt zu haben. Später prahlte ihr Sohn noch damit, seinem Großvater „zwei Ohrfeigen verpasst“ zu haben. Selbst die 2.000 Euro, die vom unbekannten Raubmörder angeblich gestohlen worden waren, konnten im Fahrzeug von Arianna Orazi sichergestellt werden.

Das Ansinnen des Opfers, sich am 29. Dezember im Zentrum gegen Gewalt gegen Frauen „Centro antiviolenza Sos Donna“ mit einer Rechtsanwältin zu beraten und ihre Ankündigung, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, habe – so die Überzeugung der Ermittler – Arianna Orazi und Enea Simonetti dazu gezwungen, den Mordplan so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen.

Im Grunde genommen stehen nicht nur die Staatsanwaltschaft und die Carabinieri, sondern auch die italienische Öffentlichkeit vor der traurigen Erkenntnis, dass eine ältere Frau, die von ihren eigenen Familienangehörigen nur mehr als Last empfunden worden war, vermutlich aus reiner Habgier getötet worden war.

Von: ka