Schlusslicht im EU-Vergleich

OECD-Studie: Italiens Lehrer sind unterbezahlt

Montag, 22. Juni 2020 | 08:35 Uhr

Bozen – Die Lehrerausbildung ist lang: Ein fünfjähriges Universitätsstudium und in den meisten Fällen auch zusätzliche universitäre Ausbildungen und Ausleseprozesse an der Schule sind ein Muss. Dies alles kostet viel Zeit, Einsatz und Geld. Am Ende stehen Lehrer in ganz Italien im Vergleich zu ihren Kollegen in den restlichen EU-Ländern gehaltstechnisch schlecht da. Zudem arbeiten Lehrer in Italien im Schnitt einen Monat länger als ihre Berufsgenossen in der restlichen EU. Dies offenbart eine aktuelle OECD-Studie. Dass sich ein Drittel der Lehrer zudem im Prekariat befindet, ist ernüchternd. Dass in Südtirol auch die Lebenshaltungskosten im Vergleich zum restlichen Italien sehr hoch sind, ist Tatsache.

Das schulspezifische Nachrichtenportal für Lehrer „Orizzonte Scuola.it“ wies am 20. Juni 2020 darauf hin, dass die Lehrergehälter in Italien – nach Griechenland – zu den niedrigsten Europas gehören. Dieser Missstand gehört schnellstens zu beseitigen, decken doch die in den beiden letzten „leggi di Bilancio“ zugesprochenen 3,5 Prozent nicht mal die über zehn Jahre angesammelten Inflationspunkte.

Marcello Pacifico, Präsident der Gewerkschaft Anief zufolge, müssen die Lehrergehälter um 240 Euro angehoben werden, denn unter diesem Bereich würde es sich nur um kleine Ausbesserungen handeln, die nicht mal die Lebenshaltungskosten decken würden. Laut Anief müssen die Lehrergehälter der Inflation angepasst werden und „echte“ Gehaltserhöhungen vorgenommen werden. Dies ist bis dato nicht passiert.

Es werde immer noch auf die Erneuerung des nationalen Kollektivvertrages der Lehrer (CCNL) 2016-2018 gewartet, die eine Stärkung des juridischen und ökonomischen Status der Lehrer vorsieht, um neue berufliche und soziale Herausforderungen bewältigen zu können, meinte unlängst Bildungsministerin Lucia Azzolina. Die Gewerkschaft Anief hält es für unabdingbar, die Verhandlungen zur Erneuerung des Kollektivvertrags des Lehrpersonals schnellstens in Gang zu setzen, da dieser seit mittlerweile 1,5 Jahren verfallen ist. Genauso bräuchte es „echte“ Gehaltserhöhungen für das Lehrpersonal.

Der OECD-Vergleich offenbart eine beschämende Realität: Nach 15 Jahren Schulkarriere liegt das Lehrergehalt in Italien bei 39.840 Dollar brutto, während der OECD-Durchschnitt bei 47.675 Dollar brutto liegt. Am Karriereende liegt der Gehaltsunterschied bei 48.833 brutto (Italien) und 57.990 brutto (OECD-Durchschnitt). In Oberschulen verdienen italienische Lehrer bei Karrierebeginn 32.725 Dollar brutto, gegenüber den 35.859 Dollar brutto des OECD-Durchschnitts. Nach 15 Jahren, 40.952 Dollar brutto (Italien) und 49.804 Dollar brutto (OECD-Durchschnitt), am Karriereende, 51.045 Dollar brutto (Italien) gegenüber den 60.677 Dollar brutto (Ocse-Durchschnitt). Wenn man die EU betrachtet, verdient eine Lehrperson in Deutschland oder Holland mindestens das Doppelte, mit den entsprechenden proportionalen Folgen für die Rente.

Allen kursierenden Fantasiegeschichten zum Trotz stimmt es auch nicht, dass Lehrer im Ausland mehr arbeiten müssen als italienische Lehrer: Das Gegenteil ist der Fall. Die Unterrichtsstunden in Italien sind höher als der europäische Durchschnitt, sei es in der Grundschule (22 gegenüber 19,6), als auch in der Oberschule (18 gegenüber 16,3), in der Mittelschule sind sie nahezu gleich (18 gegenüber 18,1). Wenn man dann noch die Überzahl an zu leistenden nicht-frontalen Stunden berücksichtigt, sind die italienischen Lehrer leider auch weit vorne: Denn auch hier gibt es eine Vielzahl an Stunden, die Lehrer in Italien ableisten müssen und die auf dem Gehaltszettel nicht gewürdigt werden.

Ganz aktuelle Zahlen zu den Brutto-Lehrergehältern im europäischen Vergleich hat auch die Gewerkschaft UIL Scuola zur Verfügung gestellt. Seht selbst:

I docenti italiani lavorano più di quelli europei ma guadagnano meno, così tanto per sfatare qualche fantasy Quanto…

Pubblicato da Marco Pi su Venerdì 12 giugno 2020

Bei diesen niederen Lehrergehältern in Italien ist es verwunderlich, dass Lehrpersonen ein fünfjähriges Studium, Zusatzlehrgänge an der Universität und langwierige, kosten- und zeitintensive Eignungen und Ausleseprozesse absolvieren müssen. Mit solch einem Studien-, Zeit- und Geldaufwand ließe sich auch in Italien in anderen Berufssparten weit besseres Geld verdienen. Der Umstand, dass sich 30 Prozent der Lehrer Italiens im Prekariat befinden, weist weitere Schwachstellen im System auf.

Die Aussichten auf eine Verbesserung der Situation der Berufsgruppe der Lehrer sind trüb. Ein Drittel der Lehrer befindet sich in einem prekären Arbeitsverhältnis und übernimmt Jahr für Jahr unsichere “Supplenzen”, weiß bis kurz vor September nicht, ob ein Job in Aussicht ist und falls ja, wo. Auch Südtirol, als eine der reichen Provinzen Italiens, schafft es immer noch nicht, die europäische Richtlinie 1999/70/CE umzusetzen, die Arbeitgeber dazu verpflichtet Personal aufzunehmen, das insgesamt mehr als 36 Monate abgeleistet hat. Weiterhin werden Ausgaben eingespart und dabei auch Schulzeit auf Kosten von Schülern und Lehrpersonal gekürzt. Das Prekariat begleitet Lehrpersonal nahezu ewig.

Auch in der Provinz Bozen schaut die Situation alles andere als rosig aus. Auf Social Media-Kanälen wird kräftig gegen Lehrer und ihr “Übermaß an Ferien” gewettert. Augenfällig ist die Oberflächlichkeit und Unkenntnis vieler Kommentare. Auch von politischer Seite wird subtil versucht, die Schule zur Aufbewahrungsanstalt umzuformen und die Ferien der Lehrer Jahr für Jahr zu kürzen. Gewerkschaften müssen immer wieder Einhalt gebieten und eingreifen.

Doch schauen wir genauer hin: Haben Italiens und damit auch Südtirols Lehrer wirklich “so viel frei”?

Ein Schuljahr dauert in Europa bis zu 200 Tage – so auch in Italien und Dänemark – und ein Minimum an 156 Stunden in Albanien. In der Hälfte der Länder Europas ist man zwischen 170 und 180 Tagen in der Schule, in 17 zwischen 181 und 190 Tagen. In ganz Italien leisten Lehrer also einen Monat länger Unterricht. Dies offenbaren aktuelle Zahlen im Sole24Ore.

Junge Leute, die überlegen, den Beruf des Lehrers einzuschlagen, sollten all dies berücksichtigen, um nicht nach jahrelanger Müh und viel Einsatz von ökonomischen Ressourcen für die lange universitäre Ausbildung mit einem kleinen Gehalt dazustehen. Auch besteht die ernste Gefahr wegen befristeter Lehrerstellen (Jahresstelle oder weniger) nicht kreditwürdig zu sein und auch für Mietverträge von Wohnungen nicht in Frage zu kommen. Die Lebenshaltungskosten sind gerade in Südtirol sehr hoch und mit dem restlichen Italien nicht vergleichbar. Die Löhne werden diesem Umstand nicht gerecht.

Auf politischer Seite bestünde schon lange Handlungsbedarf, um diese fragwürdige Situation zu beenden. Es wird sich zeigen, wer sich faktisch für die wichtige Kategorie der Lehrer einsetzen wird. Der aktuelle Trend geht in Richtung Kürzung von Lehrerstellen und Unterrichtszeit: auch hierzulande.

Auch die jährliche “carta del docente” (ein Bonus von 500 Euro für technologische Geräte und Fortbildungen) steht Lehrern in ganz Italien zu. Allein die Provinz Bozen verweigert allen Lehrern die “carta del docente”, egal ob es Festangestellte oder Supplenten sind – wobei hier kein Unterschied gemacht werden sollte. Das bedeutet ein jährliches Minus von 500 Euro für Südtirols Lehrer. Die Arbeit für die Schule am heimischen PC, das Benutzen des eigenen Druckers, Fotokopierpapier, Schreibmaterial et cetera, gehen zu Lasten der Lehrerschaft. Das ist beschämend.

Lehrergewerkschaften weisen schon seit Jahren darauf hin, dass nur mit ausreichend eingeschriebenen Mitgliedern die Stimme der Lehrerschaft gehört werden wird. Die Gesellschaft als Ganzes versteht das grundsätzliche Problem des Bildungssystems nicht, welches letzten Endes auch zu Lasten der Schülerschaft geht. Politische Kräfte verstehen es derweil, Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen und vom eigentlichen Problem abzulenken.

Von: bba