Von: ka
Rom – Nach dunklen Corona-Lockdown-Monaten hofft Italiens Gastronomie- und Tourismuswirtschaft, im Sommer durchstarten zu können. An sich könnten die Rahmenbedingungen besser kaum sein. Offenere Grenzen, sinkende Corona-Zahlen und die Aussicht, dank des „Grünen Passes“ einen sorgenfreien Urlaub ohne Einschränkungen der Bewegungsfreiheit genießen zu können, lassen die Buchungen in die Höhe schnellen.
Zur großen Überraschung der italienischen Öffentlichkeit ist es nun aber gerade der Mangel an Saisonkräften, der im angeblich von Arbeitslosigkeit geplagten Stiefelstaat die Stimmung trübt. Hotel- und Restaurantinhaber klagen darüber, dass der Arbeitsmarkt für typische Saisonkräfte wie Kellner, Zimmermädchen und Küchenpersonal leer gefegt ist. In Venetien sollen den Hotels und anderen Gastbetrieben im Schnitt drei von zehn Saisonkräften fehlen. Selbst im Süden, wo die Arbeitslosigkeit teilweise Spitzen von 20 Prozent erreicht, melden Inhaber von Gastronomie- und Hotelbetrieben, dass sie oft vergeblich nach Köchen, Kellnern und Zimmermädchen suchen.
Aus Sicht der Arbeitgeber und auch für den Präsidenten der Region Kampanien, Vincenzo De Luca, steht der Hauptschuldige schon seit zwei Jahren fest. „Mir wurde versichert, dass, auch wenn es jetzt erlaubt ist, einige Gast- und Restaurantbetriebe nicht öffnen werden, weil sie nicht imstande sind, genug Kellner und anderes Personal zu finden. Mir wurde bestätigt, dass weder für das Gastgewerbe noch für die Konservenindustrie Saisonkräfte zu finden sind. Es handelt sich dabei um eine der paradoxen Folgen der Einführung des Bürgergelds. Wenn man im Monat 700 Euro Bürgergeld erhält und zusätzlich einen kleinen ‚Zweitjob‘ besitzt, hat man kein Interesse daran, um 6.00 Uhr aufzustehen, um in einer Konservenfabrik oder einer Küche als Saisonkraft einer Arbeit nachzugehen“, so die unmissverständliche Schuldzuweisung von Vincenzo De Luca.
Das ist aber vermutlich weniger als die halbe Wahrheit. Während der langen Corona-Monate ohne Arbeit, in denen die Saisonkräfte trotz allseits versprochener Hilfen meist durch die Finger blickten und von finanziellen Unterstützungen wie etwa der Lohnausgleichskasse zumeist ausgeschlossen blieben, suchten und fanden viele frühere Saisonkräfte eine neue Arbeit. Es sei gerade die Corona-Krise und die damit einhergehende Arbeitslosigkeit gewesen – so Gewerkschafter – die viele Kellner, Hilfsköche, Baristen und Zimmermädchen dazu bewogen hätte, nach einem Jahresjob mit sichererem und beständigerem Einkommen Ausschau zu halten. Italiens Touristiker befürchten zu Recht, dass dieses ehemalige Saisonpersonal für sie für immer verloren sein könnte.
Eine weitere Tatsache ist, dass bereits lange vor der Coronapandemie infolge des seit Jahren anhaltenden Aufschwungs in Italiens Tourismus- und Gastronomiegewerbe ein spürbarer Fachkräftemangel und ein Mangel an Saisonkräften herrschte. Laut der Vereinigung der italienischen Beherbergungsbetriebe stieg allein vom Jahr 2018 auf das Jahr 2019 die Anzahl der Angestellten im italienischen Tourismusgewerbe um 58.000 Beschäftigte oder in Prozenten ausgedrückt um 4,7 Prozent. Angesichts des touristischen Erfolgs Italiens und den bereits vorher vorhandenen Möglichkeiten für Saisonkräfte, eine Jahresstelle in einem anderen Wirtschaftszweig zu finden, verwundert es daher nicht, dass bereits vor der Corona-Krise der Arbeitsmarkt leer war.
Aus Sicht der Gewerkschaften ist der Hauptgrund des „Fluchtverhaltens“ der Saisonangestellten aber, dass nicht wenige touristische Arbeitgeber trotz des Arbeitskräftemangels weiterhin damit fortfahren würden, ihre Angestellten auszubeuten. Die Gewerkschafter schildern dabei unannehmbare Zustände. Unter anderem – so Gewerkschafter – würden viele Saisonkräfte dazu gezwungen, teilweise oder vollkommen „schwarz“ zu arbeiten, wobei ihnen die Sozialbeiträge und die Auszahlung von Überstunden vorenthalten würden. Laut ihren Vertretern werde manch Angestellten sogar das Trinkgeld abgenommen.
Viele Saisonkräfte klagen auch darüber, dass sie trotz anderslautender Verträge bis zu 70 Stunden in der Woche arbeiten müssten. Trotz der Mehrarbeit werde ihnen dabei eine entsprechende Entlohnung verwehrt. Zudem – so die Gewerkschaften – seien manche Arbeitgeber sehr findig darin, Gesetzeslücken auszunützen und mit ihren Angestellten sogenannte „Piratenverträge“ abzuschließen. Diese „Verträge“ ermöglichen es schwarzen Schafen unter den Inhabern von Hotels und Gaststätten, ihrem Saisonpersonal die vom nationalen Kollektivvertrag vorgesehenen Löhne und Sozialbeiträge ganz legal zu beschneiden.
Unter diesen Bedingungen und angesichts von Gehältern, die in der Praxis manchmal sogar unter 1.000 Euro liegen, sei es laut den Gewerkschaftern kein Wunder, wenn Saisonkräfte „die Flucht ergreifen“.
Ein Verbot von Verträgen, die schlechter als der nationale Kollektivvertrag sind, eine anständige und gerechte Bezahlung, die auch die vertragliche Auszahlung der Überstunden mit einschließt sowie vermehrte Kontrollen und entsprechende harte Strafen für „Schwarzarbeitsünder“ könnten laut den Vertretern der Arbeitnehmer dazu beitragen, Kellner, Köche, Zimmermädchen und Baristen wieder für das Hotel- und Gastgewerbe zu begeistern.
Es mag unter den Arbeitnehmern gar einige schwarze Schafe geben, die sich dank Bürgergeld und Schwarzarbeit einen gemütlichen Lebensunterhalt „verdienen“, aber die unzähligen Stimmen, die über schlechte Bedingungen und noch schlechterer Bezahlung im italienischen Tourismusgewerbe klagen, sind nicht von der Hand zu weisen. Ob die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Ansätze sowie eine grundlegende Reform des italienischen Bürgergelds gepaart mit vermehrten Kontrollen auf beiden Seiten eine Besserung der Lage bringen kann?