Dokumente für verbilligten Tarif fast unmöglich zu bekommen – VIDEO

„Schulmensakrieg“: Ausländische Kinder müssen alleine essen

Dienstag, 16. Oktober 2018 | 07:31 Uhr

Lodi – In der lombardischen Kleinstadt Lodi wird seit Wochen ein wahrer „Schulmensakrieg“ ausgetragen. Seit der Stadtrat von den Eltern ausländischer Kinder den Nachweis fordert, dass sie in ihren Heimatländern über keinen Besitz verfügen, sind diese Kinder praktisch von der Schulmensa ausgeschlossen. Seither gehen die Wogen hoch. Gegner sprechen von Rassismus, Apartheid und einer von der Lega-Bürgermeisterin maßgeschneiderten Norm, durch unmöglich zu erfüllende Bedingungen ausländische Kinder zu diskriminieren. Das, was angeblich als „Antischlaumeier-Norm“ gedacht war, wird wegen der praktischen Unmöglichkeit für die Eltern, sich die notwendigen Dokumente zu verschaffen, für die Befürworter zu einem Bumerang.

Facebook/Coordinamento Uguali Doveri

Die Geschichte des faktischen Ausschlusses der ausländischen Kinder von der Schulmensa begann im November des letzten Jahres, als die von der Lega-Bürgermeisterin, der 41-jährigen Architektin Sara Casanova, angeführte Stadtregierung von Lodi eine sogenannte „Norma antifurbetti“(„Antischlaumeier-Norm“, Anmerkung der Redaktion), die den Schulmensadienst und die Schülerbeförderung betrifft, beschloss. Während die italienischen Einwohner von Lodi um die vergünstigten Tarife zu erhalten, „nur“ eine Isee-Erklärung – eine Selbsterklärung, die zur Ermittlung der wirtschaftlichen Lage einer Familie dient – vorlegen müssen, werden den Eltern ausländischer Kinder weitere Dokumente abverlangt. Sie sind laut der neuen Regelung verpflichtet, sich an die Botschaft ihres Heimatlandes zu wenden, die ihnen ein Dokument ausstellen soll, das bezeugt, dass sie in ihrem Herkunftsland über keinerlei Besitz verfügen. Zudem muss dieses Dokument mit einer beglaubigten Übersetzung auch auf Italienisch ausgestellt werden.

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Für die meisten der ausländischen Eltern – bei ihnen soll es sich in Lodi um mindestens 318 Familien handeln – sind diese Dokumente aufgrund bürokratischer Schwierigkeiten sehr schwierig zu erhalten. Die italienisch-syrische Kulturmediatorin Latifa Gabsi spricht von mindestens fünf bis sechs im Ausland zu bewältigenden, recht kostspieligen Behördengängen, die Botschaften, ausländische Gemeinden und Übersetzer betreffen. Werden die notwendigen Dokumente nicht vorgelegt – so der Beschluss der Stadtgemeinde Lodi – wird automatisch der höchste Tarif angewandt. Viele Kinder armer Familien werden daher automatisch vom Tarif der niedrigsten Einkommensstufe in den der höchsten „katapultiert“. Konkret heißt das, das der Preis für eine Mensamahlzeit von zwei auf fünf Euro und der Trimestertarif für die Schülerbeförderung von 90 auf 210 Euro ansteigt.

Da die meisten ausländischen Familien sich diese hohen Kosten nicht leisten können, verzichten sie auf die von der Gemeinde angebotenen Dienste. Sie geben den Kindern das Essen von Zuhause mit und versuchen über Fahrgemeinschaften den Schülertransport mehr schlecht als recht selbst zu organisieren. Besonders Aufsehen und Ärgernis erregt der Umstand, dass die ausländischen Kinder aufgrund von Hygienenormen ihr Essen separat von den „italienischen Mensakindern“ einnehmen müssen. Damit ist der „Fall Lodi“ in der italienischen Öffentlichkeit angekommen.

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Seither gehen die Wogen hoch. Gegner sprechen von Rassismus, Apartheid und einer von der Lega-Bürgermeisterin maßgeschneiderten Norm, durch unmöglich zu erfüllende Bedingungen ausländische Kinder zu diskriminieren. In den Schulen selbst drücken Direktoren ein Auge zu und lassen die Kinder zumindest gemeinsam in der Mensa essen. Der Bischof von Lodi, Maurizio Malvestiti, meinte, dass die Schule, mit gleichen Rechten und Pflichten, alle aufnehmen müsse und, falls Probleme bestünden, diese nicht auf die Kinder abgewälzt werden könnten. Auch Ferruccio Pallavera, Chefredakteur des „Il Cittadino di Lodi“, des sehr viel gelesenen Blattes der Kurie, forderte die Gemeindepolitiker auf, Augenmaß und Hausverstand zu wahren.

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In Lodi wurde auch eine Bürgerinitiative Freiwilliger – Coordinamento uguali doveri – gegründet, welche unter dem vielsagenden Motto „Colmiamo la differenza“(Füllen wir den Unterschied, Anmerkung der Redaktion) Geld für die armen ausländischen Kinder sammelt. Bis Mitte Oktober konnten mithilfe „Colmiamo la differenza“ rund 60.000 Euro an Spendengeldern gesammelt werden.

Facebook/Colmiamo la differenza

Inzwischen führte der „Fall Lodi“ zu einem handfesten Schlagabtausch auf höchster Ebene. Während der Präsident der Abgeordnetenkammer, Roberto Fico, von der Gemeinde eine Entschuldigung forderte, stellte sich Innenminister Matteo Salvini hinter „seine“ Bürgermeisterin. Später ruderte Matteo Salvini aber zurück und gab zu verstehen, dass auch eine im guten Glauben vorgelegte Selbsterklärung genügen könne.

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Der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi hingegen sprach sogar von einer „nationalen Schande“. In Lodi selbst fand bereits Ende September eine erste Protestkundgebung statt. Wie es weitergeht, steht in den Sternen. Ein erstes Urteil eines von den Gegnern angestrengten, gerichtlichen Verfahrens wird für November erwartet.

Von: ka