Kaum Zweifel: Saman Abbas grausam ermordet - VIDEO

Tragödie: Widerstand gegen Zwangsheirat kostet 18-Jähriger das Leben

Mittwoch, 09. Juni 2021 | 08:06 Uhr

Novellara – Es bestehen kaum mehr Zweifel. Die seit mehr als 40 Tagen verschwundene Saman Abbas wurde mit höchster Wahrscheinlichkeit von ihrem Onkel stranguliert. Die 18-jährige, ursprünglich aus Pakistan stammende Frau weigerte sich wie von ihrer Familie bestimmt einen in Pakistan wohnhaften Cousin zu heiraten.

Die junge Frau, die einen von der Familie abgelehnten jungen Mann liebte und bereits in den vergangenen Monaten “rebelliert” und ihre Eltern angezeigt hatte, wollte vielmehr ein selbstbestimmtes Leben weitab von den sozialen und religiösen Vorstellungen ihrer Angehörigen führen. Der letzte Streit mit ihren Eltern wurde ihr zum Verhängnis.

ANSA/Saman Abbas

Die Vorgeschichte der grausamen Bluttat begann vor einem Dreivierteljahr. Im vergangenen Herbst wandte sich Saman Abbas ein erstes Mal an die Sozialdienste. Sie erzählte, dass sie von ihren Eltern gezwungen werde, einen in Pakistan wohnhaften Cousin zu heiraten. In der Folge wurde die junge Frau einer geschützten Gemeinschaft zugewiesen. Nachdem sie mehrere Monate in der Gemeinschaft verbracht hatte, kehrte sie am 11. April nach Hause zurück, um ihre Ausweispapiere abzuholen. Da ihre Eltern nicht von ihren Versuchen abließen, sie zu einer Heirat mit ihrem leiblichen Cousin zu zwingen, und weiterhin die Herausgabe der Dokumente verweigerten, zeigte Saman Abbas ihre Eltern bei den Carabinieri an.

Um die Herausgabe der Papiere zu verlangen, suchten die Carabinieri am 5. Mai ihren Wohnort – ein Bauernhof bei Novellara, auf dem ihre Eltern lebten und arbeiteten – auf. Sie trafen aber nur den minderjährigen Bruder der 18-Jährigen an. Wie es sich herausstellte, hatten ihre Eltern Hals über Kopf Italien verlassen und waren am 1. Mai nach Pakistan geflogen.

In den folgenden Tagen verdichteten sich die Hinweise, dass die junge Frau einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. Einer Rekonstruktion zufolge hätte Saman Abbas am Abend des 30. April ihren Rucksack gepackt und die Herausgabe ihrer Dokumente verlangt. “Sie sagte zu meinem Vater ‘Gib mir meine Dokumente’. Mein Vater antwortete ihr, sie solle sich hinsetzen und in Ruhe reden. Er fragte sie, ob sie jemanden heiraten wolle, und sie erwiderte, sie wolle nur fortgehen”, so Samans jüngerer Bruder, der von der Staatsanwaltschaft als Zeuge einvernommen wurde.

Um die 18-Jährige gegen ihren Willen wieder nach Hause zu bringen, hätten ihre Eltern den für seine Gewalttätigkeit bekannten Onkel von Saman Abbas, Hasnain Danisha, verständigt. Nach seiner Rückkehr habe er den Eltern mitgeteilt, dass er alles erledigt habe. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft fiel Saman Abbas in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Mit dem dringenden Tatverdacht, die 18-Jährige ermordet und ihre Leiche beseitigt zu haben, wurden auf ihre Eltern, ihrem Onkel und zwei Cousins Haftbefehle ausgestellt.

Wie die Staatsanwaltschaft annimmt, war das Verbrechen durch den Versuch der jungen Frau, der von ihrer Familie arrangierten Ehe zu entkommen, verursacht worden. Laut dem Untersuchungsrichter von Reggio Emilia, Luca Ramponi, sei Samans Onkel, nach dem derzeit gefahndet wird, der eigentliche Vollstrecker der Bluttat, während ihren Eltern, die sich derzeit in Pakistan aufhalten, zur Last gelegt wird, ihre Tochter “für die Abweichung von den Geboten des Islam und für die Rebellion gegen den Willen der Familie sowie für die ständigen Fluchten von zu Hause bestraft” zu haben.

Die Staatsanwaltschaft, die von vorsätzlichem Mord ausgeht, vertritt die Ansicht, dass mit der Hinzuziehung des Onkels, von dessen Gewalttätigkeit alle in der Familie gewusst hatten, das Risiko der Ermordung der jungen Frau billigend in Kauf genommen worden war. Indem die Eltern den Onkel mit der Klärung der Angelegenheit beauftragt hatten, hätten sie im Wesentlichen “aufgrund ihrer eigenen intimen ethischen und religiösen Überzeugungen dem mörderischen Ausgang zugestimmt”. Die Tatsache, dass die Flugtickets nach Pakistan bereits am 26. April erworben worden waren, erhärtet den Verdacht, dass die Bluttat von langer Hand geplant worden war.

ANSA /ELISABETTA BARACCHI

Über den gewaltsamen Tod der jungen Frau bestehen kaum mehr Zweifel. Auf Videoaufnahmen, die von einer Überwachungskamera des Bauernhofs stammen, sind am Abend des 29. April drei Personen – vermutlich der Onkel und die beiden Cousins des Opfers – zu sehen, die sich mit einer Schaufel und anderen Geräten in der Hand in Richtung der Felder aufmachen. Auf den landwirtschaftlichen Flächen des Bauernhofs sowie in den angrenzenden Gräben wird seit vielen Tagen nach der Leiche der jungen Frau gesucht. Dabei kommen auch Spürhunde und Magnetsonden zum Einsatz.

Der Fall der 18-jährigen Saman Abbas schockiert die italienische Öffentlichkeit. Viele Italiener fragen sich, warum in einigen Familien die Integration gescheitert ist und warum der Staat außerstande ist, junge Frauen, die sich nur nach einem selbstbestimmten Leben sehen, ausreichend zu schützen. Was kann in Zukunft getan werden, um solche schrecklichen Tragödien zu verhindern?

Von: ka