Ein Jahr nach dem Opfer nimmt sich auch der „Täter“ sein Leben – VIDEO

Traurig: „Fake-Beziehung“ im Netz fordert zwei Tote

Donnerstag, 10. November 2022 | 07:10 Uhr

Forlì/Forlimpopoli – Die Kleinstadt Forlì in der Region Emilia-Romagna ist Schauplatz einer schier unglaublichen Tragödie.

Als ein 24-Jähriger, der sich im Netz in eine Frau namens „Irene“ verliebt hatte, herausfand, dass es sich bei „Irene“ in Wirklichkeit um einen 64-jährigen Mann handelte, der sich seinen Gefühlen gegenüber einen üblen „Scherz“ erlaubt hatte, nahm er sich am 23. September des vergangenen Jahres das Leben. Nachdem Reporter der italienischen TV-Sendung „Le Iene“ ihn interviewt hatten, beging etwas mehr als ein Jahr nach seinem Opfer auch der 64-jährige „Täter“ Selbstmord.

Der Fall wird nun die Gerichte beschäftigen. Die Angehörigen des 64-Jährigen, der in Verbindung mit dem Suizid des jungen Mannes wegen Annahme einer falschen Identität zu einer Geldstrafe von 825 Euro verurteilt worden war, denken darüber nach, nach dem Selbstmord des 64-Jährigen die Verantwortlichen der Sendung „Le Iene“ wegen Anstiftung zum Selbstmord anzuzeigen. In jedem Fall nahm die Staatsanwaltschaft von Forlì zu beiden Suiziden Ermittlungen auf.

YouTube/Daniele

Die Tragödie begann im Jahr 2020, als sich der 24-jährige Daniele, der von seinen Freunden als stiller und introvertierter, aber ansonsten als normaler junger Mann beschrieben wird, im Netz in „Irene“ verliebte. Im Laufe der nächsten Wochen und Monate tauschten der junge Mann und „Irene“, die sich gegenüber Daniele als Studentin aus Pesaro ausgab, über Chats und WhatsApp untereinander nicht weniger als 8.000 Nachrichten aus.

Da er aber nie ihre Stimme hören durfte, überkamen Daniele immer mehr Zweifel. Als er entdeckte, dass die Fotos von „Irene“ eigentlich von einem römischen Model stammten, wurden diese Zweifel zur Gewissheit. Von Daniele zur Rede gestellt, beendete „Irene“ abrupt die „Beziehung“ und verschwand auf Nimmerwiedersehen in den Weiten des Internets.

Der tief verletzte junge Mann fühlte sich betrogen und hintergangen und sah offenbar keinen anderen Ausweg mehr, als einen Abschiedsbrief zu schreiben und sich das Leben zu nehmen. „Mein Sohn hatte nie mit mir über diese Beziehung gesprochen, wir wussten nichts. Vor Monaten erzählte mir mein jüngster Sohn von einer Affäre mit einer gewissen „Irene“. Den Rest erfuhr ich erst, als die Carabinieri eine Woche nach seinem Tod mir sein Smartphone zurückgaben“, so der Vater von Daniele. Die Ermittlungen der Carabinieri, die die ellenlangen Chatverläufe untersuchten, in denen auch von Heirat und Kindern die Rede war, ergaben, dass sich hinter dem Profil von „Irene“ ein 64-jähriger Mann aus dem nahen Forlimpopoli, Roberto Zaccaria, verbarg.

Die Familie von Daniele zeigte Roberto Zaccaria an. Die Staatsanwaltschaft von Forlì, die mit dem Fall des Todes des jungen Mannes betraut worden war, befand den 64-Jährigen der Annahme einer falschen Identität für schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 825 Euro. Sie beantragte aber zugleich, den möglichen Straftatbestand des Todes als Folge eines anderen Verbrechens zu archivieren.

Der Vater, der über diese überaus milde Strafe tief enttäuscht war, erhob durch seine Anwälte nicht nur Einspruch gegen die Archivierung, sondern informierte über den tragischen Tod seines Sohnes auch die Journalisten der italienischen TV-Sendung „Le Iene“. Er erzählte ihnen die unglaubliche Geschichte eines 64-jährigen Mannes aus dem benachbarten Forlimpopoli, der sich ein Jahr lang als „Irene“ – eine angeblich 20-jährige junge Frau, die behauptet hatte, in Daniele verliebt zu sein – ausgegeben hatte.

Una tragedia nella tragedia

Una tragedia nella tragedia. #leiene

Posted by Le Iene on Tuesday, November 8, 2022

Die Reporter von „Le Iene“ nahmen sich sofort des tragischen Falls an und suchten Roberto Zaccaria in seinem Heimatstädtchen Forlimpopoli auf. Von den Reportern auf der Straße verfolgt und interviewt, versuchte der 64-Jährige sein Verhalten zu rechtfertigen. „Es war ein Scherz. Ich wollte nicht, dass es so endet. Wenn er Probleme mit seinem Kopf hatte, ist das nicht meine Schuld“, so Roberto Zaccaria gegenüber den Reportern.

Instagram/Matteo Viviani

Nach der Ausstrahlung der Sendung am 1. November wurde für den 64-Jährigen die Luft aber immer dünner. Obwohl im Video der Sendung sein Gesicht unkenntlich gemacht worden war, wussten in der kleinen Stadt bald viele, wer „Irene“ war. Über den Mann ergoss sich ein wahrer Shitstorm. Roberto Zaccaria, der sich vor dem „medialen Pranger“ gestellt sah, überlegte seinem Anwalt zufolge, gegen die Verantwortlichen der TV-Sendung rechtlich vorzugehen.

Dazu kam es aber nicht mehr. Am Sonntagabend nahm sich Roberto Zaccaria – vermutlich mit einer Überdosis von Arzneimitteln – selbst das Leben. Seine Angehörigen, die die Meinung vertreten, dass der 64-Jährige Opfer einer regelrechten „medialen Hetzjagd“ geworden sei, denken darüber nach, Anzeige zu erstatten. Zu den beiden miteinander verbundenen Suiziden und zur Überprüfung eventueller Verantwortlichkeiten Dritter leitete die Staatsanwaltschaft von Forlì Ermittlungen ein.

Das Bekanntwerden der Tragödie um die beiden Suizide löste in der italienischen Öffentlichkeit eine lebhafte Debatte um das Netzphänomen und die Gefahren des Catfishings – dieser Begriff wird zumeist für Liebesbeziehungen mit Fake-Accounts im Netz verwendet – aus. Im selben Zusammenhang entstand auch eine heiße Diskussion darüber, wie weit „Investigativjournalismus“, wie er von den Reportern von „Le Iene“ praktiziert wird, gehen darf.

Von: ka