Public Viewing und Freudentaumel begünstigen Infektion – VIDEO

„Variante azzurra”: Explodierende Corona-Zahlen nach Siegesfeiern

Montag, 19. Juli 2021 | 08:11 Uhr

Rom – Wie von nicht wenigen italienischen Virologen und Epidemiologen befürchtet, hat das Public Viewing und die ausgelassenen Siegesfeiern nach gewonnenen Spielen zu gleich mehreren Corona-Ausbrüchen geführt.

Zum größten Corona-Cluster des nach der Trikotfarbe der italienischen Fußballnationalmannschaft „Variante azzurra“(Azurblaue Variante, Anmerkung der Redaktion) getauften Phänomens kam es nach der Begegnung Italien gegen Spanien in einem Pub im römischen Stadtviertel Monteverde. Ersten Erkenntnissen zufolge steckten sich beim Public Viewing und den Feiern nach dem Einzug der Azzurri in das EM-Finale Dutzende von zumeist jungen Tifosi mit dem Coronavirus an. Viele von ihnen trugen das Virus zu Freunden und Verwandten weiter. Da der EM-Sieg der Azzurri und der damit verbundene Freudentaumel erst eine Woche alt sind, herrscht in Italien nun die Furcht, dass dem Land viele neue Ausbrüche bevorstehen.

Facebook/FIGC Federazione Italiana Giuoco Calcio

Die Mutter eines 18-Jährigen, der am 6. Juli gemeinsam mit Dutzenden anderer Tifosi die EM-Begegnung Italien gegen Spanien im „The Clifton“, einem Pub im römischen Stadtviertel Monteverde, verfolgt hat, erhebt schwere Vorwürfe. „Es war eine Zeitbombe. Ich frage mich, wie die Inhaber so oberflächlich sein konnten“, so die Mutter gegenüber dem „Corriere della Sera“.

Inzwischen stieg die Anzahl der bestätigten Corona-Fälle, die sich auf das Public Viewing in diesem Pub zurückführen lassen, auf nicht weniger als 97. 88 der Neuinfektionen betreffen Personen, deren Alter weniger als 25 Jahre beträgt. Zu allem Unglück kommt hinzu, dass 17 von ihnen das Virus zu Freunden und Verwandten weitertrugen.

Facebook/FIGC Federazione Italiana Giuoco Calcio

Die Inhaber des Pubs erklärten zwar, dass alle Corona-Bestimmungen eingehalten worden seien, aber gleich mehrere Anrainer bestätigten die Anschuldigungen der Mutter, dass viel mehr Tifosi als der höchstzulässigen Gästezahl des Lokals Einlass gewährt worden sei. „Bereits am 2. Juli nach dem Viertelfinale gegen Belgien hatte es Ansteckungen gegeben. Trotzdem haben sich die Inhaber des Pubs so verhalten, als ob nichts passiert wäre. Sie hätten verstehen müssen, dass man nicht so viele Menschen hereinlassen sollte, aber stattdessen ist es ihnen egal gewesen“, so die Mutter des jungen Tifoso. Den Schilderungen ihres Sohnes zufolge sei das Lokal voller stehender, zusammengedrängter Fans gewesen, von denen kaum welche Mundnasenschutzmasken getragen hätten. „Jedes Mal, wenn Italien ein Tor geschossen hat, hat das ganze Gebäude gebebt“, so ein Nachbar.

ANSA/RICCARDO ANTIMIANI

Während Nutzer in den sozialen Netzwerken die „Geldgier und Verantwortungslosigkeit“ der Inhaber des Lokals anprangern, nehmen andere die jungen Tifosi nicht aus der Verantwortung. „Es tut mir leid, das zu sagen, aber es ist nicht nur die Schuld der Besitzer, sondern auch aller Leute, die ins Lokal gegangen sind. In Zeiten wie diesen müssen alle vorsichtiger sein“, so ein Kommentator.

Leider handelt es sich beim Pub im Stadtviertel Monteverde nicht um den einzigen Corona-Ausbruch in Rom. 21 Fälle können auf ein Lokal in Ostia und neun Fälle auf ein Sommercamp eines Sportclubs zurückgeführt werden. Zudem wurden aus ganz Italien weitere Corona-Hotspots gemeldet. Auf der Insel Pantelleria führte eine private Party junger Leute zu 26 Corona-Positiven. Dies könnte dazu beitragen, dass die ganze Insel zu einer „roten Zone“ erklärt werden muss. Ähnlich wie auf Pantelleria kam es auch in Venetien nach zwei Partys zu insgesamt 24 Neuinfektionen. In Caserta in Kampanien hingegen musste nach dem Auftreten von 44 Corona-Fällen das Sommerlager einer Pfarrgemeinde auf Weisung des Bürgermeisters geschlossen werden.

ANSA/SIMONE VENEZIA

Angesichts der ausgelassenen Feier nach dem EM-Sieg der italienischen Fußballnationalmannschaft und der in ganz Europa zu beobachtenden Erhöhung der Corona-Zahlen befürchten nicht wenige Experten eine massive Erhöhung der Anzahl der neu entdeckten Corona-Cluster. Da der Finalsieg der Azzurri erst eine Woche alt ist und die bisher aufgetretenen Ausbrüche allesamt auf frühere Spiele und Siegesfeiern zurückgehen, rechnen mehrere angesehene Virologen und Epidemiologen ab dem Ende dieser Woche mit dem Auftreten neuer Ausbrüche.

In diesem Zusammenhang weisen die Fachexperten auch darauf hin, dass die geringe Impfrate unter den Minderjährigen und jungen Leuten die Ansteckung mit der hochinfektiösen Delta-Variante des Coronavirus stark begünstigt. Politischen Beobachtern zufolge könnte die Angst vor der „Variante azzurra“ zusammen mit dem allgemeinen Anstieg der Neuinfektionen in der römischen Regierung jene Stimmen stärken, die nach französischem Modell mit einer am Besitz des „Grünen Passes“ gebundenen Bewegungsfreiheit die Impfkampagne neu befeuern wollen.

Von: ka