Von: mk
Bozen – Am Nachmittag ist im Südtiroler Landtag die Generaldebatte zu den drei Gesetzentwürfen zum Haushalt (LGE Nr. 65/20, Nr. 66/20 u. Nr. 67/20: ) wieder aufgenommen worden.
Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) erinnerte an die Weihnachtsstimmung vor einem Jahr, als die Menschen die Weihnachtsmärkte und die Geschäfte besuchten. Damals habe noch niemand geahnt, was kommen würde: Zuerst seien die Schulen geschlossen worden, dann die gesamte Wirtschaft. Es habe Engpässe und Nöte gegeben. Im Sommer habe man dann gehofft, dass es einigermaßen wieder gehen würde. Nun rede man wieder vom Lockdown. Eltern und Kinder, die sich nicht treffen könnten, Senioren, die allein in den Heimen eingesperrt seien. Im Unterschied zum Frühjahr würden die Einschränkungen nicht mehr so akzeptiert. Die Menschen fragten nach der Verhältnismäßigkeit, denn ein Lockdown könnte ihnen die Existenz kosten. Sie verlangten keine totale Lockerung, aber sie wollten arbeiten. Viele hätten auch Angst, sie könnten ihre alten Eltern nicht mehr sehen.
Heuer gehe es nicht mehr nur darum, finanzielle Lücken zu füllen, sondern zwischenmenschliche. Es gebe einen Riss in der Gesellschaft, zwischen Befürwortern und Kritikern, wie damals zwischen Optanten und Dableibern. In den Medien werde nur mehr über Corona berichtet, manche hätten inzwischen Angst, andere zu begegnen. Viele würden in eine Depression rutschen, manchmal mit schlimmem Ausgang. Die Politik müsse sich auch fragen, ob ihre Maßnahmen zu Suiziden führten, etwa unter verzweifelten Unternehmern. Alle seien fleißig zu den Tests gegangen, in der Hoffnung auf Lockerungen. Man dürfe es ihnen nicht verübeln, wenn sie jetzt enttäuscht seien. Die Pandemie werde schneller vorbei sein als ihre Folgen. Der Kündigungsschutz werde irgendwann auslaufen. Viele würden dann in den sozialen Netzwerken ihre Meinung sagen, auch boshaft, und man werde der Politik die Schuld geben. Man werde fragen, ob das alles so sein musste, ob es verhältnismäßig war. Es gehe jetzt darum, den Menschen Hoffnung und Zuversicht zu geben, darum, was man tun könne, damit es nicht noch schlimmer wird.
Ein außergewöhnliches, schwieriges, aber auch spannendes Jahr gehe zu Ende, meinte Magdalena Amhof (SVP). Noch nie habe man so schnell entscheiden müssen. Die Infektionszahlen seien noch hoch, und auch, wenn der Druck auf die Krankenhäuser nachgelassen habe, könne man noch nicht von Entspannung reden. Die Landesregierung habe im Frühjahr das Heft rasch in die Hand genommen. Auch wenn dadurch der demokratische Prozess teilweise ausgesetzt wurde, sei es notwendig gewesen. Der Zusammenhalt sei in dieser Zeit groß gewesen, gleichzeitig sei aber auch die Unzufriedenheit gewachsen, Sorgen und Ängste seien entstanden. Es seien Soforthilfen beschlossen worden, um die Folgen der Pandemie abzufedern und den Zusammenhalt zu ermöglichen. Die Schulen hätten in kürzester Zeit auf den Onlineunterricht umgestellt, viele hätten damit umgehen können, andere weniger. Bei den Schülern habe es nicht anders ausgesehen. Plötzlich sei Bildung nicht mehr allen gleich zugänglich gewesen, und das dürfe nicht sein. Schule und Bildung müssten immer prioritär sein, und das spiegle der Haushalt auch wider. Die Lehrpersonen stünden unter großem Druck, ihnen würden von der Gesellschaft viele Ziele und Probleme aufgeladen. Amhof verwies diesbezüglich auf einen Antrag von ihr und den Schullandesräten. Für die Zukunft wünsche sie sich digitale Medien für den Unterricht, aber dazu müssten auch alle gleich ausgerüstet werden. Viele würden heuer Weihnachten allein feiern müssen. Seniorenheime seien nicht mehr zugänglich, weil man die Senioren nach wie vor schützen müsse. Viele Heime würden aus Vorsicht abriegeln. Laut einer neuen Hamburger Studie würden die Maßnahmen von den Senioren akzeptiert. Für die Mitarbeiter in den Heimen brauche es eine finanzielle Anerkennung, sie hätten es sich verdient.
Viele hätten in dieser Krise ihre Arbeit verloren. Es brauche neben Umschulungen auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Frauen schafften eine Rückkehr in die Arbeitswelt nur, wenn Beruf und Familien vereinbart würden. Die Soforthilfen seien richtig, könnten aber nicht die Dauerlösung sein: Die Menschen wollten arbeiten. Man dürfe auch die psychische Belastung der Kinder nicht unterschätzen. Die Armut nehme zu, daher müsse man den bedürftigen Familien unter die Arme greifen. Die Krise habe die Ungleichheit noch verschärft. Häusliche Gewalt habe im Lockdown zugenommen – es gelte, die Hilfsangebote bekannt zu machen und entstigmatisieren.
Der Sanitätsbetrieb habe nach der ersten Welle aufgerüstet, nicht nur beim Schutzmaterial. Wichtige Vorbeugemaßnahmen seien eingeleitet worden, nicht zuletzt die Testreihe, die nun fortgesetzt werde. Das habe die Krankenhäuser entlastet. Solange es den Impfstoff nicht gebe, müsse man testen. Es sei vernünftig, wenn der Impfstoff zuerst jenen zur Verfügung stehe, die durch ihren Beruf ausgesetzt seien. Vielleicht hätten nun auch die Impfgegner verstanden, dass man mit Impfen Leben retten könne.
Es sei der größte Haushalt in der Geschichte des Landes, aber er werde nicht reichen, um alle Wünsche zu erfüllen. Amhof appellierte schließlich an alle, sich verantwortungsvoll zu verhalten.
In der Haushaltsrede des Landeshauptmanns sei viel von Vertrauen gesprochen worden, bemerkte Peter Faistnauer (Team K). Vertrauen sei wichtig, blindes Vertrauen könne gefährlich sein. Eine andere Meinung mit Misstrauen gleichzusetzen, wäre ein fataler Fehler. Zum Vertrauen gehöre auch eine demokratische Diskussionskultur. Kritisches Denken dürfe nicht mit Coronaleugnen verwechselt werden. Während des Lockdowns habe die Natur aufgeatmet, man dürfe hier nicht zu alten Strategien zurückkehren. LH Kompatscher habe Freiheit und Toleranz als unverzichtbare Grundwerte bezeichnet. Zur Freiheit gehöre aber auch, dass man den Leuten Dinge sagen könne, die sie nicht hören wollten, zitierte Faistnauer George Orwell. Die Opposition habe die Aufgabe, Dinge ans Licht zu bringen. Faistnauer verwies in diesem Zusammenhang auf die Bildung der Gemeindeausschüsse und der Bezirksausschüsse; da würden oft Ämter kreiert, die es nur aufgrund politischer Rechenspiele brauche.
Landtag und Landesregierung stünden vor großen Herausforderungen. Ökologisierung und Lokalisierung seien dabei Prioritäten. Die Ökologisierung sei derzeit in der EU Mainstream, durch sie könnten Wirtschaft und Umwelt Hand in Hand gehen. Die Umstellung könne nicht von heute auf morgen gehen, aber die Krise habe gezeigt, dass vieles rasch umsetzbar sei. In Bayern z.B. sei es der Handel, der zu Laufställen dränge. Südtirol habe das Potenzial zum Vorreiter. Der Green Deal würde es ermöglichen, Emissionen zu senken und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Die Landwirtschaft sei Teil des Problems, aber auch der Lösung: pilzresistente Sorten, bessere Anbaumethoden u.a.
Eng mit der Landwirtschaft verknüpft sei der Tourismus. Geringere Einkünfte würden einhergehen mit geringeren Kosten für die Sanierung der Schäden des Massentourismus. Faistnauer kritisierte die Möglichkeit, die gesamte Kubatur auf Hofstellen für den Tourismus zur Verfügung zu stellen. Die EU habe ihre Klimaziele neu aufgestellt, und auch Südtirol sollte nachziehen. Jahrzehntelang sei es versäumt worden, die richtige Richtung einzuschlagen, aber das Potenzial wäre da. Er könne sich in die Lehrer, die jetzt vor dem Landtag demonstrierten, gut hineinfühlen. Ihre Gehälter seien keine Wertschätzung ihrer Arbeit, Versprechungen seien nicht eingelöst worden. Man müsse auch für mehr Sicherheit beim Schülertransport bieten; die Busunternhemen seien dazu bereit, aber es fehle die Unterstützung der Landesregierung.
Gute Politik erkenne man daran, wie sie mit einer Krise umgehe, meinte Ulli Mair (Freiheitliche). Diese Krise habe gezeigt, wie schwer es sei, eine klare Linie einzunehmen und beizubehalten. In der Landesregierung bestehe nicht die nötige Einigkeit, manche versuchten sich auf Kosten anderer zu profilieren. Zu einer Fehlerkultur gehöre es, dass jeder sich an die eigene Brust fasse. Die Opposition habe sich durchaus kooperativ gezeigt und sich nicht auf Nebenschauplätze gestürzt. Italien habe jeden zweiten Tag neue Regeln aufgestellt, die in Europa eine Randerscheinung seien und deren Verhältnismäßigkeit fraglich sei. Manche Südtiroler Maßnahmen seien populistisch gewesen, das sage sie, obwohl sie für einen eigenständigen Weg sei. Mit dem Südtiroler Weg habe man im Mai Verfassungswirklichkeit geschaffen, er habe auch autonomiepolitisch einiges gebracht. Kleine Etappensiege seien besser als ein dauerndes Einknicken vor Rom.
In dieser schwierigen Zeit sei vieles entstanden, soziale Projekte, Nachbarschaftshilfen. Sie sei aber auch darauf stolz, dass sich der Großteil der Südtiroler an die Regeln halte. Jenen, die sich nicht an die Regeln hielten, sollte man keinen breiten Raum mehr geben. Für Regelverstöße sei die Polizei zuständig. Die Südtiroler hätten in der Krise auch flexibel gehandelt. Das spare dem Land viele finanzielle Mittel. Das Land sollte die Grunddienste gewährleisten und dafür vielleicht auf einige Großprojekte verzichten. Die Südtiroler hätten sich mehr Netto vom Brutto verdient, nicht nur Einmalzahlungen. Den solidarischen Patriotismus werde man erst erreichen, wenn man den Weg der Unabhängigkeit deutlicher beschreite. Ein Landeshaushalt, der nicht auch die Gehälter der arbeitenden Bevölkerung hebe, verdiene keine Zustimmung. Wenn das nicht gelinge, müsse man sich als Politiker fragen, ob man mutig genug gewesen sei. Solidarischer Patriotismus bedeute eine Zäsur und einen neuen Gemeinschaftssinn.
Auch wenn sich Italien für die rote Zone entscheide, sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Gemeindegrenzen offenblieben. Man dürfe den Menschen nicht vorschreiben, was sie unter Weihnachten zu verstehen hätten. Auf jeden Fall sollten sie ihre engsten Familienmitglieder treffen können, auch wenn diese in einer anderen Gemeinde lebten. Vor allem die Senioren sollten die Chance haben, ihre Liebsten zu sehen. Heuer habe sie zweimal den Sanitätsdienst in Anspruch nehmen müssen und dabei Kompetenz und Menschlichkeit erlebt, aber auch Lücken in der anschließenden Begleitung. Es scheine, als sei man nur mehr mit Corona beschäftigt. Es seien ihr auch organisatorische Mängel aufgefallen. Mair rief dazu auf, die Senioren nicht zu vergessen, und verwies auf ihren Antrag, einen Ort der Begegnung zu schaffen. Auch auf die Situation im Landeskinderheim sei zu achten. Sie sei erschüttert gewesen, als sie die Geschichten hinter diesen kleinen Wesen gehört habe. Mair stellte schließlich ein kollegiales Verhalten im Landtag fest, trotz unterschiedlicher Ansichten. Man habe selten so gut zusammengearbeitet.