Warum sie nicht zurückkehren

Wutbrief der Jungärzte löst Empörung aus

Dienstag, 17. Januar 2017 | 16:22 Uhr

Bozen – Südtirols Jungärzte und Medizinstudenten lassen kein gutes Haar am Südtiroler Gesundheitssystem. Das Niveau an den Krankenhäusern sei zu schlecht, es gebe kaum Karrierechancen und die Wissenschaft habe keinen Stellenwert.

Dies sei auch der Grund dafür, warum Südtiroler Medizinstudenten nach ihrem Studium eher im Ausland bleiben.

Der offene Brief, in dem sie ihre Kritik geäußert haben, ging ans Land und den Sanitätsdirektor.

Nach dem Bekanntwerden der Kritik zeigen sich die Südtiroler Spitalsärzte empört darüber. Sicher sei, dass es Probleme gebe, aber die Medizinstudenten würden alles über einen Kamm scheren. Es brauche allerdings Planungssicherheit für die jungen Kollegen.

BISHER 

158 Medizin-Studenten und Ärzte, die nicht nach Südtirol zurückgekehrt sind, haben einen geharnischten Brief an Landesrätin Martha Stocker und Generaldirektor Thomas Schael unterzeichnet. „Das Fass ist voll“, erklärt die Meranerin Elisa Reiterer, die drei Monate vor dem Abschluss des Medizinstudiums in Innsbruck steht. Sie hat dem Tagblatt Dolomiten ein Interview gegeben.

Die wichtigsten Gründe, die Ärzte davon abhalten, in Südtirol zu arbeiten, seien laut Reiterer die fehlende Anerkennung der Facharztausbildung, kaum Karrieremöglichkeiten und eine unerträgliche Bürokratie.

“Die Facharztausbildung der österreichischen Ärztekammer, die bis vor Kurzem in allen Südtiroler Krankenhäusern zum Teil möglich, wurde gestrichen, weil die heimischen Krankenhäuser nicht das nötige Niveau erreichen, um eine teilweise Ausbildung zu jedwedem Facharzt zu ermöglichen. Ein italienischer Facharzt kann im Land nicht gemacht werden, da kein Krankenhaus zu den 54 staatlichen Ausbildungsstätten gehört. Die nächstgelegene befindet sich in Verona”, so Reiterer.

Ihrer Ansicht nach seien die Probleme nicht von heute auf morgen entstanden, sondern der Kelch sei von Verantwortlichem zu Verantwortlichem weitergegeben worden.

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SH unterstützt Jungärzte

Die Südtiroler Hochschülerschaft (sh.asus) unterstützt die zentralen Forderungen der Jung-Medizinerinnen und -Mediziner.

Nicht zuletzt dank des Vorbereitungsangebotes der sh.asus für die Medizinaufnahmeprüfung in Österreich gebe es mittlerweile wieder ausreichend viele Maturanten, die einen Studienplatz in Humanmedizin bekommen. Allerdings steige auch gleichzeitig die Zahl jener, die nach dem Studium nicht nach Südtirol zurückkehren. Dieser “brain drain” wurde von der sh.asus bereits in den Bildungsmanifesten von 2013 und 2015 thematisiert und betrifft auch viele weitere akademische Bereiche.

Die sh.asus fordert deshalb die Anreize für eine Rückkehr zu erhöhen und die bürokratischen Hürden abzubauen. Zudem brauche es endlich eine umfassende Erhebung der aktuellen Situation der Südtiroler Studierenden, wie es beispielsweise mit der österreichischen “Studierenden-Sozialerhebung” gemacht wird. “Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse könnten helfen, um zielgerechte Anreize zu schaffen”, betont die sh.asus.

STF für automatische Anerkennung österreichischer Studientitel in Südtirol

Dass viele Jungakademiker nach ihrem Studium in Österreich nicht nach Südtirol zurückkehren, bedeutet für den medizinischen Bereich, dass Südtirol dadurch ein akuter Ärztemangel bevorsteht. Darauf weist die Süd-Tiroler Freiheit in einer Aussendung hin. Die Bewegung sieht in dieser Entwicklung eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.

Bezug nimmt die Süd-Tiroler Freiheit auch auf den offenen Brief der Jungärzte an Gesundheitslandesrätin Martha Stocker und an Sanitätsdirektor Thomas Schael. Dadurch gewinne ein Antrag der Süd-Tiroler Freiheit, der in dieser Woche im Süd-Tiroler Landtag behandelt wird, höchste Aktualität, ist die Bewegung überzeugt. Mit dem Antrag fordern die Landtagsabgeordneten Sven Knoll, Myriam Atz Tammerle und Bernhard Zimmerhofer die Sicherstellung der Facharztausbildung an den Südtiroler Spitälern sowie die automatische Anerkennung österreichischer Studientitel in Südtirol.

Die grenzüberschreitende Facharztausbildung an den Südtiroler Spitälern habe bisher den Grundstock dafür gebildet, dass Jungärzte nach ihrem Studium in Österreich wieder nach Südtirol zurückgekehrt seien, beschreibt Sven Knoll, der Erstunterzeichner des Antrages, die bisherige Situation. Die Akkreditierung der Facharzt- Ausbildungsabteilungen habe hiefür durchwegs die Tiroler Ärztekammer übernommen, wodurch auch eine Anerkennung der Ausbildung durch Österreich sichergestellt worden sei. Doch nun sei die Situation anders, denn: „Dass Italien diese Regelung nun nicht mehr akzeptiert und eine Akkreditierung durch eine italienische Universität fordert, führt zu großen Schwierigkeiten, da damit die Anerkennung Österreichs wegfällt und zu befürchten ist, dass Südtiroler Studenten ihre Facharztausbildung nicht mehr in Südtirol machen und in der Folge nicht mehr nach Südtirol zurückkehren. Ein akuter Ärztemangel wäre die Folge. Dieses Problem kann nur gelöst werden, indem Italien die bisherige Regelung einer Akkreditierung der Facharzt- Ausbildungsabteilungen durch die Tiroler Ärztekammer anerkennt, oder das Land Süd-Tirol ermächtigt, jene Spitalsabteilungen in Südtirol festzuschreiben, die mit der österreichischen und italienischen Facharztausbildung gleichwertig sind.“

Was die Anerkennung der Studientitel betrifft, würden laut Knoll die komplizierten und oft langwierigen Anerkennungsverfahren von anderen Studientiteln, die in Österreich erworben wurden, viele Studenten davor abschrecken, nach dem Abschluss ihres Studiums nach Südtirol zurückzukehren: „Gar einige Studiengänge werden in Italien überhaupt nicht anerkannt, so dass die Studenten nach ihrer Ausbildung in diesem Bereich keine Tätigkeit ausüben können. Da der allergrößte Teil der Studenten, die ihre Ausbildung in Österreich absolviert haben, nach ihrem Studium in Südtirol Arbeit suchen und nicht in Italien, wäre es von größter Wichtigkeit, dass alle an den österreichischen Universitäten erworbenen Studientitel – zumindest begrenzt auf das Gebiet der autonomen Provinz Bozen – sofortige und automatische Anerkennung finden.“

Myriam Atz Tammerle unterstreicht die Wichtigkeit der muttersprachlichen Ärzteausbildung an den österreichischen Universitäten. Dadurch, dass den Südtiroler Ärzten nach ihrem Studium in Österreich in Italien Hürden gelegt würden, die sie vor einer Rückkehr nach Südtirol abschrecken würden, sowie durch den offenbar politisch gewollten ungebremsten Zustrom von rein italienischsprachigen Ärzten nach Südtirol werde das Recht der Patienten, in ihrer deutschen Muttersprache mit den Ärzten zu kommunizieren, fahrlässig verletzt. Doch dies sei nur ein Beispiel für die Missachtung der Zweisprachigkeitspflicht, die immer größere Ausmaße annehme. Atz Tammerle verweist auf einen Verstoß gegen die Zweisprachigkeitspflicht im Bozner Landeskrankenhaus, den sie als „besonders gravierend“ einstuft: „Bereits vor Jahren wurde dort, anscheinend aus Spargründen, das Übersetzungsamt geschlossen. Arztbriefe – diese sind ursprünglich meistens in italienischer Sprache formuliert –  müssen nun vom Arzt und dürfen nur von ihm als Fachperson selber übersetzt werden. Der Patient muss jedoch eigens eine Übersetzung anfordern und wird dafür gleich ein zweites Mal zur Kasse gebeten! Damit wird ein klarer Fall von Diskriminierung geschaffen, und ich frage mich, wie man angesichts der fortschreitenden Italianisierung des Ärztewesens in Südtirol dieses Problem lösen will.“

Auch eine Reihe von weiteren österreichischen Studien- und Berufstiteln wartet in Italien auf eine Anerkennung. Daran erinnert Cristian Kollmann. Er hat selbst u.a. Sprachwissenschaft studiert, doch dessen Studiengang wurde in Italien nicht anerkannt. Kollmann erläutert: „Für die Anerkennung der Titel ist eine bilaterale Kommission zuständig, die aktuell die Priorität bei den neuen Lehramtsstudien setzt. Beispielsweise aus dem medizinischen Bereich prioritär behandelt werden die Bachelorstudien Biomedical engineering, Biomedizin und Biotechnologie, Pflegewissenschaft sowie die Masterstudien Biomedical engineering, Biomedizin und Biotechnologie, Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Medienwissenschaften, Medizinische Informatik, Molekulare Medizin, Pflegewissenschaft, Phytomedizin. Was die Anerkennung von Fachhochschulstudien betrifft, gibt es aktuell keine Verhandlungen. Andere Universitätsstudien, wie etwa das Bachelorstudium Pharmazie, sind dagegen bereits verhandelt worden, doch deren Ratifizierung steht noch aus.“

Pöder: “Oft genug auf Probleme hingewiesen – Landesregierung hat weggehört”

“Auf die Mängel im Sanitätswesen und die Perspektivlosigkeit für Jungärztinnen und -ärzte haben wir in Südtirol des Öfteren hingewiesen, die Landesregierung hat immer Probleme klein geredet oder gar bestritten”, kritisiert der Landtagsabgeordnete der BürgerUnion, Andreas Pöder, angesichts der Diskussion um den Ärztemangel in Südtirol.

“Der Verzicht auf die Zweisprachigkeit bei der Ärzteeinstellung um den Ärztemangel auszugleichen ist so etwas wie das letzte Angebot, um die Katastrophe abzuwenden. Aber der Verzicht auf die Zweisprachigkeit hat nicht nur eine autonomiepolitische Dimension sondern kommt in Südtirol in Wirklichkeit einem Verzicht der Südtiroler Landesregierung auf die Südtiroler Jungmediziner gleich”, so der Landtagsabgeordnete Andreas Pöder. “Denn damit unterstreicht die Landesregierung, dass man die Bemühungen um die Rückkehr der Südtiroler Mediziner oder Jungmediziner weitgehend einstellt und lieber anderswo auf Ärztesuche geht”, so der Abgeordnete.

“Die Perspektivlosigkeit für Südtiroler Jungärztinnen und Ärzte haben wir im Landtag des öfteren thematisiert, die Landesregierung hat zumeist erfolgreich weggehört.  Es bleibt bei der Feststellung, die auch von Medizinstudierenden bestätigt wird, dass das Südtiroler Sanitätssystem schwerfällig, familienfeindlich und ausbildungsmäßig auf niedrigerem Standard ist”, so Pöder.

“Wenn man mit Südtiroler Ärzten redet, die irgendwo im Ausland arbeiten und gerne nach Südtirol zurückkehren würden, dann hört man immer wieder dieselben Klagen: Das System ist schwerfällig und karrierefeindlich; viele, die an ausländischen Krankenhäusern fixe Stellen haben, werden in Südtirol mit Werkverträgen abgespeist; Ärztinnen, die Kinder haben wollen, werden abweisend behandelt und haben in Südtirol keine Unterstützung; die Ausbildung von Jungärzten ist nicht ausreichend organisiert und gefördert; man sieht in Südtirol zu wenig Perspektiven; es werden in Südtirol mittlerweile ausländische Ärzte mit niedrigerem Ausbildungsstandard und mit mangelhaften Sprachkenntnissen zu schlechteren Bedingungen (Werkverträgen etc.) angestellt, dadurch wird ein Kreislauf nach unten in Gang gesetzt”, heißt es abschließend.

 

Von: mk

Bezirk: Bozen