Von: ka
Miami/Kiew/Moskau – Ohne Kiew und die Europäer einzubinden, verhandelten Unterhändler der USA und Russlands im Auftrag von Donald Trump und Wladimir Putin tagelang, um eine Einigung über einen Frieden in der Ukraine zu erzielen. Der russische Vormarsch, die schweren Luftangriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine, die durch schwere Korruptionsfälle verursachte innenpolitische Krise in Kiew und der Druck aus Washington ebneten letztendlich den Weg für einen 28-Punkte-Friedensplan.

Laut dem Historiker Sergey Radchenko stellt dieser eine verschleierte Kapitulation der Ukraine dar. Darin ist von einer vollständigen Abtretung des Donbass die Rede und davon, dass die Ukraine nicht der NATO beitreten kann. „Washington tut für Putin, was Putin selbst nicht geschafft hat“, lautet Radchenkos vernichtendes Urteil über Trumps Friedensplan für die Ukraine.

Die Bilder und Videos, die aus der Ukraine in den Westen gelangen, sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Während in Ternopil Rettungskräfte mehr als zwei Dutzend Tote aus den Schuttmassen eines von einer russischen Rakete getroffenen Wohnhauses bergen, reißen die Hiobsbotschaften von der Front nicht ab. Stück für Stück gelingt es der russischen Armee, immer schneller vorzurücken und der Ukraine in verlustreichen Kämpfen Städte und Dörfer zu entreißen. Aufgrund der krassen Überlegenheit Russlands am Boden und in der Luft steht die Ukraine im vierten Kriegswinter mit dem Rücken zur Wand.

Währenddessen diskutieren die Vereinigten Staaten und Russland weit entfernt von der Front einen 28-Punkte-Plan, der den Krieg beenden könnte. Das Verhandlungspapier, das bisher nur sehr wenige zu Gesicht bekamen, entstand nach drei Tagen voller Treffen zwischen Steve Witkoff, dem Gesandten von Donald Trump, und Kirill Dmitriev, dem Berater des Kremls, in Miami, Florida.
Viele Punkte des Friedensplans, den Witkoff dem Chef des ukrainischen Sicherheitsrates, Rustem Umerov, übergeben hat, sind vertraulich, einige Eckpunkte sind jedoch bereits durchgesickert. Sie kommen Putins Forderungen sehr weit entgegen, denn laut dem Papier soll die Ukraine weite Gebiete – selbst einige, die Russland noch nicht erobert hat – abgeben, ihre Armee halbieren und „militärisch neutralisiert” werden.

Washington bezeichnet den Plan als „realistisch”, in Kiew nennt man ihn jedoch beim richtigen Namen: Kapitulation. Doch es geht nicht nur um den Plan selbst, sondern auch um den Zeitpunkt seiner Veröffentlichung, denn Wolodymyr Selenskyj steckt in großen Schwierigkeiten.
Während der russische Druck an der Front ständig zunimmt und die Schäden am Energienetz von Tag zu Tag schwerwiegender werden, wird die Regierung von einem Korruptionsskandal ungeheuren Ausmaßes erschüttert. Der Skandal um die Vergabe öffentlicher Aufträge könnte sich laut einem ukrainischen Abgeordneten gegenüber Fanpage.it auf den Verteidigungssektor ausweiten. Abgeordnete derselben Mehrheit bringen sogar einen Rücktritt Selenskyjs und die Bildung einer „neuen Regierung” ins Spiel.

Gerade jetzt, wo Washington auf ein Abkommen drängt, das kein Staatschef mit Vollmachten unterzeichnen würde, wirkt Selenskyj schwer angeschlagen. Im Gegenzug für seine Unterschrift würden die Vereinigten Staaten eine vage Sicherheitsgarantie versprechen. Ein NATO-Beitritt soll jedoch ausgeschlossen sein.

In einem telefonischen Interview mit Fanpage.it fällt Sergey Radchenko, der als einer der angesehensten Experten seines Fachgebiets gilt und an der Johns Hopkins University lehrt, ein vernichtendes Urteil über den 28-Punkte-Friedensplan. „Washington tut für Putin, was Putin selbst nicht geschafft hat“, so Radchenko.

Ein solcher ‚Frieden‘ hätte schwerwiegende Konsequenzen. Er würde als neues Jalta angesehen werden – als von Amerikanern und Russen aufgezwungener Frieden. Die Europäer hätten kein Mitspracherecht. Selenskyj kann den Plan aufgrund des US-Drucks aber kaum ablehnen, denn er hat keinen politischen Spielraum. Der Korruptionsskandal hat einen Teil seiner Glaubwürdigkeit im Inland und in Europa zerstört. Eine Ablehnung würde ihn jedoch nicht retten, sondern nur bloßstellen. Der ukrainische Präsident erlebt einen Albtraum: Er könnte einen Plan genehmigen müssen, der sein politisches Ende bedeutet”, meint Radchenko.

Laut dem Historiker hängt die Umsetzung des Plans allein von den USA ab. „Putin hat klare Ziele: Abtretung von Territorien, eine verkleinerte Armee, Neutralität und eine ‚befreundete‘ Regierung in Kiew. Die Frage ist, ob Washington Kiew zum Nachgeben zwingen wird. Die Ukraine hat Zehntausende Männer verloren, um diese Gebiete zu verteidigen. Den Verlust zu akzeptieren, ist politisch fast unmöglich – es sei denn, die Vereinigten Staaten setzen ihn durch. Es wäre jedoch ein prekärer Frieden. Er würde vollständig vom Willen der Amerikaner abhängen. Bislang haben die USA dem russischen Druck standgehalten, doch es ist offensichtlich, dass das Team von Präsident Trump zumindest Optionen prüft, die für Moskau sehr vorteilhaft sind. Wenn die Vereinigten Staaten beschließen, Putins Arbeit zu erledigen, dann ist der Weg zu dieser Friedens-Kapitulation offen”, so Sergey Radchenko.

Der Historiker und Dozent an der Johns Hopkins University schließt nicht aus, dass der Präsident seine Unterschrift unter das Papier setzen könnte. „Wenn er spürt, dass er kurz davorsteht, die Macht zu verlieren, könnte er eine dramatische Geste wagen. Er könnte sagen: ‚Ja, ich habe in Sachen Korruption versagt, aber ich bringe euch das Ende des Krieges.‘ Das ist ein mögliches Szenario“, erklärt Radchenko.

Am Ende des Interviews schweigt Radchenko einige Sekunden lang, bevor er das Wort erneut ergreift. „Trump tut das, was Putin schon lange von ihm wollte. Moskau hat seine Ziele am Boden noch nicht erreicht. Nun versucht es, sie über Washington zu erreichen. Selenskyj ist zu schwach, um Nein zu sagen, und Europa ist zu schwach, um dies zu verhindern und die Hilfe der USA zu ersetzen“, betont der Historiker.

Wenn der Plan umgesetzt wird, muss Kiew kapitulieren, wie Sergey Radchenko erklärt. Dann würde der Krieg enden. Aber er endet schlecht. Er endet mit einem zerstörten Land. Putin würde einen Sieg verkünden, den er auf dem Schlachtfeld bisher nicht errungen hat. Um den unpopulären Krieg zu beenden und mit Russland ins Geschäft zu kommen, müsste Washington die Last eines Abkommens auf sich nehmen, das der langjährigen westlichen Doktrin widerspricht. Doch wäre der Krieg damit wirklich vorbei? Ein solcher Frieden könnte kaum Stabilität bringen. Er wäre nur ein schwacher Frieden auf Zeit.

Der ukrainische Präsident steht unter Zugzwang, denn egal, wie er sich entscheidet, ist es für sein Land ein Fiasko. Lehnt er das Angebot ab, ziehen sich die USA zurück und lassen der Tragödie ihren Lauf. Stimmt er hingegen zu, erreicht Putin die Zerstückelung der wehrlosen Ukraine. In Kiew blickt man einer düsteren Zukunft entgegen.




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