Bundeskanzler Stocker vertritt Österreich beim EU-Gipfel

EU-Gipfel fordert erheblich mehr Gelder für Aufrüstung

Donnerstag, 26. Juni 2025 | 16:11 Uhr

Von: apa

Die EU-Staats- und Regierungschefs sind am Donnerstag zu einem Gipfel in Brüssel zusammengekommen. Im am Nachmittag verabschiedeten Teil der Gipfelerklärung wird erneut gefordert, dass die EU-Länder ihre Ausgaben für Aufrüstung “erheblich” erhöhen. Dabei wird auch die beim NATO-Gipfel vom Mittwoch eingegangene Verpflichtung für die NATO-Mitglieder betont, der eine Steigerung der Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent der Wirtschaftsleistung beschlossen hatte.

Der Rat ersucht die Mitgliedstaaten, die Umsetzung der einschlägigen Verpflichtungen selbst zu koordinieren. Generell müsse für die Verteidigung und Sicherheit Europas “gemeinsam besser investiert” werden. Es wird betont, dass “eine stärkere und fähigere Europäische Union im Bereich der Sicherheit und Verteidigung einen positiven Beitrag zur globalen und transatlantischen Sicherheit leisten wird und die NATO ergänzt”. Gefordert wird auch eine rasche Einigung auf die vorgeschlagene Förderung von Investitionen für Verteidigung im EU-Haushalt.

EU-Gipfel für rasch aktivierte nationale Ausweichklauseln

Der EU-Gipfel begrüßt auch die Annahme der SAFE-Verordnung (“Sicherheitsmaßnahmen für Europa”) und die bevorstehende Aktivierung der nationalen Ausweichklauseln im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die Ausweichklausel erlaubt die Herausrechnung der für Aufrüstung gemachten Schulden aus den Maastricht-Kriterien. Österreich hat bisher nicht um eine Nutzung der Klausel angesucht, könnte dies aber jederzeit nachholen. Das angekündigte Defizitverfahren könnte damit aber nicht vermieden werden. Die EU-Kommission hatte Österreich Anfang Juni empfohlen, die Ausgaben für Verteidigung zu erhöhen. Die Kommission sieht in ihren im Frühling präsentierten Plänen zur Aufrüstung bis zu 800 Milliarden Euro an Investitionen vor.

Mehrere Regierungschefs wie etwa der belgische Premier Bart De Wever oder der niederländische Ministerpräsident Dick Schoof zeigten sich erfreut über das Ergebnis des NATO-Gipfels vom Mittwoch, der eine Steigerung der Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent der Wirtschaftsleistung beschlossen hat. De Wever betonte allerdings, es sei klar, dass es zwischen den USA und Europa Meinungsverschiedenheiten zur Ukraine gebe und dass die Europäer eine deutlich pro-ukrainischere Position hätten.

Merz für schnelles Handelsabkommen mit den USA

Hauptthemen sind neben der Aufrüstung die weitere Unterstützung der Ukraine sowie die Positionierung der EU im Nahost-Konflikt. Entscheidungen zum 18. Sanktionspaket gegen Russland sowie zu einer möglichen Aussetzung des EU-Israel-Abkommens wird es keine geben. Österreich wird von Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) vertreten.

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sagte zum Auftakt, er unterstütze EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dabei, die Wettbewerbsfähigkeit Europas voranzubringen und schnell ein Handelsabkommen mit den USA zu erreichen. Für den deutschen Kanzler ist es der erste EU-Gipfel. “Europa steht vor entscheidenden Wochen und Monaten”, sagte Merz. Wenn bis zum 9. Juli keine Einigung erzielt wird, greifen nach derzeitigem Stand neue hohe US-Zölle auf fast alle Exporte aus der EU in die Vereinigten Staaten – und die EU würde ihrerseits mit Zöllen auf Einfuhren aus den USA antworten.

Auch der luxemburgische Premierminister Luc Frieden sagte, er hoffe, dass die Diskussionen mit den USA über ein Handelsabkommen gut vorankommen. Die positive Stimmung beim NATO-Gipfel in Den Haag werde sich hoffentlich auch positiv auf den Handel niederschlagen. Die EU brauche diesbezüglich keine neue Strategie, er unterstütze die EU-Kommission, sagte Frieden. “Die Frist 9. Juli kommt schnell”, so Frieden.

Kritik an Israels Vorgehen in Gaza

Der zuletzt beim EU-Außenministerrat am Montag diskutierte EU-Prüfbericht zur Einhaltung des Artikels 2 des EU-Israel-Assoziationsabkommens sieht Israels Vorgehen in Gaza sehr kritisch. Einige EU-Länder fordern schon länger eine Aussetzung des Abkommens, Österreich und Deutschland sind dagegen. “Wichtiger als Verträge auf Eis zu legen, ist der Dialog”, sagte Frieden. Israel müsse verstehen, was zurzeit in Gaza passiere, sei “menschlich nicht vertretbar”. Der irische Premier Micheál Martin sagte, Europa müsse klar artikulieren, dass Israels Vorgehen in Gaza aus humanitärer Sicht unverständlich sei. “Der Krieg muss enden.”

Der slowenische Premier Robert Golob sagte, es gebe einen “klaren Bruch” des Artikels 2 des EU-Israel-Assoziationsabkommens. Leider würden einige, wichtige EU-Mitgliedstaaten stärker ihre eigenen Interessen verfolgen als die Menschenrechte der Palästinenser. “Die EU als Ganzes kann nicht mehr Rechtsstaatlichkeit predigen aufgrund ihrer unzureichenden Reaktion auf die Gräueltaten in Gaza”, so Golob. Sollte es nicht beim Gipfel oder innerhalb der nächsten zwei Wochen eine greifbare Antwort geben, werden Slowenien und andere EU-Staaten selbst handeln, “und wir sind dazu bereit”. Es gehe um “richtigen Druck” auf die israelische Regierung.

Stocker telefonierte mit Netanyahu

Bundeskanzler Stocker sagte: “Ich habe gestern mit Premierminister Benjamin Netanyahu dazu telefoniert. Es ist so, dass wir durch eine Sistierung des Abkommens keine Verbesserung der Situation in Gaza erwarten. Ich glaube, dass die Gesprächskanäle offen gehalten werden müssen”, sagte Stocker dazu. “Natürlich geht es darum, dass die Zivilbevölkerung nicht den Preis für den Terror der Hamas bezahlen darf. Netanyahu hat mir auch zugesichert, alle Bemühungen in diese Richtung zu verstärken und zu intensivieren, damit diese humanitäre Hilfe auch geleistet werden kann.”

Selenskyj nur per Video dabei

Einige Mitgliedstaaten drängen darauf, die Unterstützung für die Ukraine zu verstärken und ihren Weg in die EU voranzutreiben. Ungarn ist hier der größte Blockierer. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sagte: “Wenn wir die Ukraine in die EU integrieren, integrieren wir den Krieg.” Dies würde eine unmittelbare Gefahr für die EU darstellen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird nicht persönlich nach Brüssel kommen, sondern per Video zugeschaltet.

Ungarn und die Slowakei wollten im Vorfeld des Gipfels auch das 18. Sanktionspaket gegen Russland blockieren. Die Entscheidung darüber dürfte aber erst beim Treffen der EU-Botschafter nach dem Gipfel fallen. Österreich unterstützt das 18. Sanktionspaket gegen Russland, bei dem insbesondere der vorgeschlagene Ölpreisdeckel bei manchen Staaten auf Widerstand stößt. Angesichts der am Mittwoch beim Gipfel in Den Haag gegebenen Selbstverpflichtung der NATO-Mitglieder, spätestens ab 2035 jährlich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung und Sicherheit zu investieren, wird auch der EU-Gipfel betonen, dass “die Ausgaben für die Verteidigung und Sicherheit Europas weiterhin deutlich erhöht werden müssen, und dass gemeinsam besser investiert werden muss”.

Orban ruft zu “Rebellion” gegen EU-Migrationsregeln auf

Stocker wollte sich vor dem offiziellen Start des Gipfels wieder in einer Gruppe von EU-Ländern mit Deutschland und Italien zum Thema Migration austauschen. Orban rief bei seiner Ankunft im Ratsgebäude die EU-Staaten zur “Rebellion” gegen die EU-Migrationsregeln auf. “Wenn wir hundert Mal darüber diskutieren, die Regulierungen für Migration zu ändern, und nichts passiert”, so Orban, müsse man selbst dafür sorgen, keine Migranten hereinzulassen. Ungarn koste dies eine Million Euro täglich, doch wäre dies eine sinnvolle Investition, verwies der ungarische Regierungschefs auf EU-Strafzahlungen zu denen sein Land verurteilt wurde. De Wever betonte, striktere Migrationsregeln wären “eine Notwendigkeit”.

Stocker nannte insbesondere die Drittstaatenfrage, den Schutz der EU-Außengrenzen, aber auch die Auslegung der Menschenrechtskonvention bei der Rückführung von verurteilten Straftätern als Themen, in denen Dinge in Bewegung gekommen seien. “Ich nehme für Österreich in Anspruch, dass wir dazu auch viele Initiativen gesetzt haben. Nicht alle waren unumstritten. Aber es geht in die richtige Richtung, und wir machen auch Fortschritte.”

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