Von: mk
Bozen – Der 12. Juli ist für die Grünen im Südtiroler Landtag ein Jubeltag. Das Europäische Parlament hat das Renaturierungsgesetz mit 336 zu 300 Stimmen angenommen. „Die erste und wichtigste Hürde eines steinigen Weges ist geschafft, Europas Bemühungen gegen das Artensterben haben nun definitiv begonnen. Das ist eine wirklich gute Nachricht!“, freuen sich die Grünen.
In den letzten Tagen gab es noch massiven Widerstand der Europäischen Volkspartei EVP, die das Gesetz endgültig zu Fall bringen wollte. „Gott sei Dank haben die warnenden Worte der Wissenschaft und der beherzte Einsatz vieler Bürgerinitiativen die Wende gebracht“, so die Grünen. Das Europäische Parlament nimmt die Biodiversitätskrise ernst und setzt neue Maßstäbe: Grüne, Sozialdemokraten und Liberale haben massiv für das Gesetz geworben.
Der Europäische Green Deal wird nun Realität. „Jetzt gilt es die notwendigen Maßnahmen für die Land- und Forstwirtschaft, für Flüsse und Moore, für Städte und das Meeresökosysteme zügig und mit Sachverstand umzusetzen“, so die Grünen.
„Was sich heute in Brüssel abspielte, war an Spannung nicht mehr zu überbieten“ sagt Hanspeter Staffler von den Grünen und fügt hinzu: „Es handelt sich um eine Jahrhundertentscheidung für die Gesundheit der Umwelt und für die Gesundheit der Menschen, wir sind alle sehr glücklich.“
Vor ein paar Tagen noch habe die SVP-Lega-Mehrheit den Beschlussantrag der Grünen für mehr Klimabäume mit fadenscheiniger Begründung abgelehnt. Jetzt schreibe das EU-Renaturierungsgesetz Klimabäume in Städten, Dörfern und Gewerbezonen vor. „Am Ende hat die Vernunft gesiegt!“, meinen die Grünen.
Harsche Kritik von Herbert Dorfmann
Ganz anders sieht der Südtiroler EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann die Abstimmung. “Auch wenn das Anliegen, die Biodiversität zu schützen und zu fördern, ein zentrales ist, ist das doch nicht der richtige Ansatz”, erklärt der SVP-Politiker. Er hat sich am Mittwoch im EU-Parlament gegen den Entwurf des EU-Renaturierungsgesetzes ausgesprochen. “Die vorgeschlagenen Regelungen sind praxisfern und in Teilen verantwortungslos”, so Dorfmann. “Und mit Verlaub: Wir haben in Südtirol bereits Landschaftsschutz-Richtlinien, die funktionieren, einen Zwischenruf aus Brüssel brauchen wir nicht.”
Mit einer knappen Mehrheit wurde die Parlamentsposition zum Kommissionsvorschlag angenommen, wobei wichtige Änderungsanträge der Europäischen Volkspartei angenommen worden sein: Nach dem Prinzip des Vertragsnaturschutz müssen eventuelle Einbußen, die sich aus dieser Verordnung ergeben können, entschädigt werden. „Das ist uns wichtig, diese Vorgehensweise geht in die richtige Richtung“, erklärt Herbert Dorfmann.
Herbert Dorfmann stört sich schon am Titel. “Es geht im Entwurf hauptsächlich um Landschaftsschutz”, so der Südtiroler EU-Parlamentarier. “Das ist aber ein Bereich, auf den wir in Südtirol seit Jahrzehnten ein besonderes Augenmerk legen – und das mit Erfolg”, erklärt Dorfmann.
Nicht umsonst habe man diesen Kompetenzbereich stets mit Zähnen und Klauen gegen staatliche Eingriffe verteidigt, um Südtirols Natur- und Kulturlandschaft mit eigenen, maßgeschneiderten Regeln zu bewahren. Zudem habe man kompetente Behörden aufgebaut und die Teilung der Zuständigkeiten zwischen Land und Gemeinden funktioniere. “Sich nun im Landschaftsschutz Brüssel unterzuordnen, wäre gegen unsere Auffassung von Autonomie”, so der EU-Parlamentarier. Er verweist in diesem Zusammenhang auf das Beispiel der Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Richtlinie, die anfangs nur auf geschützte Gebiete beschränkt bleiben sollte. “Heute müssen wir erkennen, wie sehr die FFH-Richtlinie unseren autonomen Spielraum etwa im Wolfsmanagement einengt”, so der Südtiroler EU-Abgeordnete.
Dorfmann äußert zudem inhaltliche Bedenken am EU-Renaturierungsgesetz, das ein absolutes Verschlechterungsverbot vorsehe. “Auf dem Papier klingt das natürlich gut, in der Praxis bedeutet es aber, dass sich selbst bei den kleinsten Eingriffen Brüsseler Behörden einmischen können”, so Dorfmann. Als Beispiel nennt er Änderungen der Nutzungsart, etwa von Wald zu Wiese. “Der Status quo würde eingefroren, wir könnten kaum noch auf lokale Notwendigkeiten reagieren”, so der EU-Abgeordnete.
Ziehe man den Fokus weiter auf, seien die Folgen des EU-Renaturierungsgesetzes in der vorliegenden Form sogar noch schwerwiegender. So sei darin vorgesehen, in Europa zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche außer Nutzung zu stellen. “Eine derart allgemeine Regel ergibt keinen Sinn, vielmehr muss man analysieren, wo es Biodiversitätsflächen braucht”, erklärt Dorfmann, der ein allgemeines Auflassen landwirtschaftlicher Flächen zudem für verantwortungslos hält – “gerade in Zeiten, in denen die Ernährungssicherheit immer zentraler wird”.
Auch wenn diese Parlamentsposition angenommen wurde, konnten durch die vielen Abänderungen viele kritische Punkte abgeschwächt werden. Als nächster Schritt geht dieser Bericht in die Trilogverhandlungen mit dem EU-Rat.
Unterberger spricht von “wichtigem Schritt”
Dorfmanns Parteikollegin im römischen Senat, Julia Unterberger, widerspricht dem EU-Parlamentarier. Im Europäischen Parlament sei ein sehr wichtiger Schritt gegen den Klimawandel gesetzt worden, erklärt die SVP-Senatorin in einer Aussendung. „Die Verabschiedung der Verordnung des Europäischen Parlaments über die Wiederherstellung der Natur ist ein wertvoller Akt zum Schutz der Umwelt, der Wissenschaft und der Zukunft”, so, die Vorsitzende der Autonomiegruppe.
Mit ihrer Verabschiedung sei der Versuch gescheitert, das europäische politische Gleichgewicht nach rechts zu verschieben. Die Unterstützung der Maßnahme durch mehrere EVP-Abgeordnete sei ein Rückschlag für diejenigen, die sich eine mögliche Allianz zwischen Sovranisten, Euroskeptikern und Vertretern der Europäischen Volkspartei, bei der Abstimmung über das Europäische Parlament im nächsten Jahr, vorstellen. Außerdem sei es auch eine Niederlage für die italienische Mitte-Rechts-Koalition, die sich für diese Operation eingesetzt hat.