Unzählige hungrige Menschen holten sich im GHF-Zentrum Lebensmittel

Tote bei Ansturm auf UN-Lager mit Hilfsgütern in Gaza

Mittwoch, 28. Mai 2025 | 21:28 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Bei einem tumultartigen Sturm auf ein großes Lagerhaus des UN-Welternährungsprogramms (WFP) im Gazastreifen hat es nach palästinensischen Angaben mehrere Tote gegeben. Zwei Menschen seien im dichten Gedränge tödlich erdrückt, zwei weitere durch Schüsse getötet worden, hieß es aus medizinischen Kreisen im Al-Aqsa-Krankenhaus in Deir al-Balah.

Das WFP bestätigte den Sturm auf ein Lagerhaus der Organisation im Zentrum des umkämpften Gazastreifens. “Horden hungriger Menschen” seien in das Lagerhaus eingedrungen, um an die “zur Verteilung bereitgestellten Lebensmittel zu gelangen”, hieß es in einer bei X veröffentlichten Mitteilung. Die UN-Organisation meldete zunächst zwei Tote und viele Verletzte beim Vorfall.

Augenzeugen berichteten, es sei vor allem am Haupttor des Lagerhauses zu großem Gedränge gekommen. Es gab zudem Berichte darüber, dass einige Menschen Teile der Metallwände einrissen, um sich Zugang zum Lager zu verschaffen. Auf Videos in den sozialen Medien war zu sehen, wie viele Menschen unter lautem Geschrei das Lagerhaus stürmen und plündern.

Menschen nach Blockade Israels in verzweifelter Lage

Angesichts einer monatelangen Blockade von Hilfsgütern durch Israel, die erst zuletzt etwas gelockert worden war, sind viele Menschen in dem Küstenstreifen in einer verzweifelten Lage. Es gab bereits in den vergangenen Tagen Berichte von Plünderungen und einem Sturm auf ein neues Verteilungszentrum dort.

Das WFP habe “immer wieder auf die alarmierende und sich verschlechternde Lage vor Ort und auf die Risiken hingewiesen, die mit der Einschränkung der humanitären Hilfe für die hungernden Menschen verbunden sind”, hieß es. “Gaza braucht eine sofortige Aufstockung der Hilfe. Nur so können wir den Menschen die Gewissheit geben, dass sie nicht verhungern werden.”

Stiftung eröffnete weiteres Verteilungszentrum

Die Gaza Humanitarian Foundation (GHF) hat nach eigenen Angaben ein weiteres Verteilungszentrum für humanitäre Hilfsgüter im Gazastreifen eröffnet. Dort sei ohne Zwischenfälle Lebensmittelhilfe aus acht Lastwagen verteilt worden, hieß es in der Mitteilung der Stiftung. An den zwei eröffneten Verteilungszentren seien bisher 14.550 Lebensmittelpakete verteilt worden. Jedes Paket könne 5,5 Menschen dreieinhalb Tage lang ernähren. Es handle sich um 840.262 Mahlzeiten.

Auch an der ersten Verteilungsstation in Rafah seien neue Lebensmittel angekommen und sollten dort verteilt werden. Es hatte Berichte über Verzögerungen nach Tumulten bei der Eröffnung des Zentrums am Dienstag gegeben. Die Stiftung dementierte Angaben des UNO-Menschenrechtsbüros, denen zufolge am Dienstag an dem Verteilungszentrum in Rafah durch Schüsse der israelischen Armee ein Mensch getötet und 47 verletzt worden sein sollen.

“Diese Aussage ist falsch”, hieß es in der Mitteilung. Es seien keine Schüsse auf palästinensische Menschenmengen in dem Zentrum abgegeben worden und es habe keine Todesopfer gegeben. Die israelische Armee hatte mitgeteilt, Soldaten hätten außerhalb des Zentrums Warnschüsse abgegeben.

Stiftung beklagt Behinderungen durch Hamas

Angesichts einer monatelangen Blockade von Hilfsgütern durch Israel, die zuletzt etwas gelockert worden war, hat sich die verzweifelte Lage vieler Menschen in dem umkämpften Küstenstreifen nochmals verschlimmert. In dem von rund zwei Millionen Palästinensern besiedelten Gebiet, das zu weiten Teilen zerstört ist, fehlt es an Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Medikamenten und nahezu allen Dingen des täglichen Bedarfs.

Die GHF soll nach dem Willen der israelischen Regierung künftig für die Verteilung der Hilfsgüter zuständig sein. Allerdings sei es wegen Behinderungen durch die islamistische Hamas zu mehreren Stunden Verzögerung bei der Auslieferung gekommen.

Hamas nennt neue Verteilungsmethode “totalen Misserfolg”

Das Hamas-Medienbüro teilte nach dem Vorfall mit, der von Israel initiierte Mechanismus zur Verteilung von Hilfsgütern sei ein “totaler Misserfolg”. Das von der Terrororganisation kontrollierte Innenministerium hatte die Einwohner des Gazastreifens zuvor dazu aufgerufen, den neuen Verteilmechanismus zu boykottieren.

Mit der von den USA unterstützten Verteilstrategie will die israelische Regierung nach eigenen Angaben verhindern, dass die Hamas Lieferungen für ihre eigenen Zwecke abzweigt und weiterverkauft, um damit dann Kämpfer und Waffen zu bezahlen. UNO-Vertreter sagen, Israel habe keine Beweise dafür vorgelegt.

Die vier GHF-Verteilungszentren im Süden und im Zentrum des Gazastreifens sollen von US-Sicherheitsfirmen betrieben werden. Israel will so Hilfsorganisationen der UNO und anderer internationaler Helfer umgehen.

Netanyahu spricht von “momentanem Kontrollverlust”

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sprach am Dienstagabend von einem “momentanen Kontrollverlust” bei der Verteilung der Hilfsgüter. “Wir haben es wieder unter Kontrolle gebracht”, sagte er bei einer Ansprache. Man werde weitere Zentren eröffnen.

“Die Idee ist grundsätzlich, der Hamas die Plünderungen humanitärer Hilfsgüter als ein Kriegsinstrument wegzunehmen und sie der Bevölkerung zu geben”, so Netanyahu. Ziel sei es, “eine sterile Zone im Süden Gazas zu haben, in der die gesamte Bevölkerung sich zu ihrem eigenen Schutz bewegen kann”.

Viele Palästinenser befürchten eine neue Welle der Flucht und Vertreibung aus dem Gazastreifen, ähnlich wie während des Kriegs im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 und während des Sechstagekriegs 1967. An Israels Vorgehen in dem Küstengebiet, wo täglich Dutzende Tote infolge israelischer Angriffe gemeldet werden, gibt es international massive Kritik.

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