Von: mk
Bozen/Trient – Die Debatte über zwei Initiativen zum sogenannten “ius soli” wurde am Nachmittag im Regionalrat wieder aufgenommen: Beschlussantrag Nr. 55, eingebracht von den Regionalratsabgeordneten Kaswalder, Borga und Fasanelli, mit dem die Regionalregierung verpflichtet werden soll, der Regierung und dem Parlament den negativen Standpunkt der Region Trentino-Südtirol zum Inhalt des Gesetzentwurfes, Akt des Senats Nr. 2092, der derzeit im italienischen Parlament zur Behandlung ansteht, darzulegen, und Begehrensantrag Nr. 11, eingebracht von den Regionalratsabgeordneten Dello Sbarba, Heiss, Foppa, Manica, Ferrari, Civico, Borgonovo Re, Dorigatti, Bizzo, Tommasini und Maestri, mit dem das italienische Parlament aufgefordert wird, innerhalb dieser Legislaturperiode ein Gesetz zu verabschieden, welches das ius soli temperato und das ius culturae für den Erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft anerkennt.
Maurizio Fugatti (Lega Nord) unterstützte den Antrag von Kaswalder und lehnte jenen Dello Sbarbas ab. Laut letzterem habe das ius soli mit der Migrationswelle nichts zu tun, und das sei nicht korrekt, jedenfalls nicht mehr heute. Die Staatsbürgerschaft für die Kinder sei ein Anreiz. Ein Minderjähriger, der hier geboren sei, werde nicht wegen der Staatsbürgerschaft diskriminiert, er habe Zugang zu allen Leistungen, und mit 18 könne er Staatsbürger werden. Die Sozialdemokratie habe in ganz Europa Zuspruch verloren, da ihre Positionen, unter anderem zur Einwanderung, bei der Arbeiterschaft nicht mehr ankämen.
Aus seiner Heimat, dem Primiero, seien viele ausgewandert, bemerkte Marino Simoni (PT). Das ius soli sei bereits von den Römern eingeräumt worden. Wir alle seien Bürger dieser Welt, und in dieser Welt müsse jeder das Recht auf Aufnahme und Vertretung haben. Er werde für den Antrag von Dello Sbarba stimmen, es gehe hier um Ideale der Zivilisation, von denen man sich nicht lossagen könne.
Die Frage gehörte eigentlich auf europäischer Ebene gelöst und nicht einzeln in jedem Staat, meinte Dieter Steger (SVP). Beim vorliegenden Gesetzentwurf sei aber noch vieles zu klären, etwa im Falle von Straffälligkeit. Er plädierte dafür, den Antrag zurückzuziehen, denn in dieser Fassung biete er nur Stoff für den Wahlkampf.
Filippo Degasperi (5 Sterne Bewegung) wollte sich nicht grundsätzlich gegen das ius soli aussprechen, aber das sei eigentlich ein Thema für die EU. Das Problem stelle sich derzeit gar nicht, wenn man die hohen Einbürgerungszahlen betrachte. Der Zugang zur Staatsbürgerschaft sei niederschwellig, die Kontrollen eher zu lasch. Niemand werde in ein Ghetto gesteckt, weil er die Staatsbürgerschaft nicht habe, er habe dasselbe Recht auf Bildung, Gesundheitsversorgung usw. Praktische Probleme wie etwa die Teilnahme an Klassenreisen ins Ausland könne man gezielt lösen. Eher würden die Rechte dieser Kinder durch die Vorgaben ihres eigenen Kulturkreises eingeschränkt. Die italienische Gesellschaft habe das Recht, sich als solche wiederzuerkennen.
Rodolfo Borga bemerkte, dass die heutige Debatte am gegenständlichen Gesetzentwurf vorbei gehe. Italien habe in zehn Jahren eine Million Ausländer eingebürgert, mehr als jedes andere EU-Land. Manche davon könnten nicht Italienisch, auch diesbezüglich sei Italien großzügiger als andere Staaten. Die wahren Benachteiligten seien jene Mitbürger, die bestimmte Sozialleistungen in Anspruch nehmen könnten, weil der Großteil an Einwanderer gehe.
Donata Borgonovo Re (PD) plädierte dafür, die Frage aus rechtlicher statt politischer Sicht zu bewerten. Das derzeit bestehende ius sanguinis wurde vor dem Hintergrund der italienischen Auswanderung erlassen, um die Italiener im Ausland an die Heimat zu binden. Jetzt aber sei Italien Einwanderungsland. Die USA seien von Einwanderung geprägt, und dort herrsche das ius soli.
Brigitte Foppa (Grüne) betonte, dass das ius soli nichts mit den Flüchtlingen zu tun habe. Wer das Gegenteil behaupte, sei nicht ehrlich. Es gehe um die hier geborenen Kinder, diese fühlten sich als Italiener. Man könne auch nicht von illegalen Einwanderern reden, illegal würden sie erst ab dem Zeitpunkt, an dem ihnen der Asylantrag abgelehnt wird. Die UN-Menschenrechtserklärung erkenne allen gleiche Rechte zu, es sei nicht akzeptabel, dass die Hautfarbe den Unterschied ausmache.
Alessandro Urzì verwahrte sich gegen Belehrungen in Menschlichkeit aus der linken Reichshälfte. Gerade weil die Gesellschaft sich gewandelt habe, müsse man vorsichtig sein. Die italienische Staatsbürgerschaft sei eine Ehre, die man sich verdienen müsse. Italien sei kein Auswanderungsland gewesen, das sei es immer noch. Das ius soli habe sehr wohl mit der Einwanderung zu tun. Auch Elena Artioli (Team Autonomie – BürgerUnion) protestierte gegen die Belehrungen Foppas, die anderen vorschreiben wolle, was sie zu denken und zu sagen hätten.
Im Krankenhaus würden ausländische Wöchnerinnen genauso behandelt wie einheimische, ausländische Kinder wie einheimische, bemerkte Claudio Cia (Lega Nord-Forza Italia). Er sehe nicht die Diskriminierung, von der heute dauernd die Rede sei. Der Regionalrat werde keinen Einfluss darauf haben, ob der Gesetzentwurf in Rom weiterkomme, daher werde er sich zu beiden Anträgen der Stimme enthalten. Die Auswanderung aus Italien sollte uns mehr Sorgen machen. Der Beschlussantrag von Kaswalder und Kollegen wurde mit 31 Ja, 16 Nein und sechs Enthaltungen angenommen. Der Begehrensantrag von Dello Sbarba und Kollegen wurde mit 16 Ja, 25 Nein und acht Enthaltungen abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 57, eingebracht von den Regionalratsabgeordneten Foppa, Heiss und Dello Sbarba, mit dem die Regionalregierung verpflichtet werden soll, mehrsprachige Informationstafel zu erstellen und an zentralen Stellen entlang der Strecke der alten Fleimstalbahn anzubringen, um an den Bau dieser Eisenbahnstrecke zu erinnern und der zahlreichen Kriegsgefangenen, die durch ihre Arbeit diesen Bau ermöglicht haben, zu gedenken. Die Regionalregierung solle verpflichtet werden, mehrsprachige Informationstafeln zu verwirklichen und an den wichtigsten Punkten der Bahnstrecke aufzustellen, damit die Geschichte des Baus der alten Fleimstalbahn in angemessener Weise erläutert und das Gedenken an die Tausenden von Kriegsgefangenen, die durch ihre Arbeit diesen Bau ermöglichten, gewürdigt werde.
“Am Bau waren 6000 Arbeiter, davon 3900 Zivilisten, 600 Militärpersonen und 1500 Kriegsgefangene, vor allem Serben, Russen und Montenegriner, beteiligt”, bemerkte Brigitte Foppa (Grüne). “Viele dieser Gefangenen starben durch Krankheit und Entbehrung. Auch viele Frauen, vor allem im letzten Teil der Strecke, leisteten ihren Beitrag. Heute ist die alte Bahntrasse des Fleimstals mit ihren Tunnels, Viadukten und Brücken ein beliebter Rad- und Wanderweg, aber nur wenige kennen die Geschichte und das traurige Schicksal tausender Menschen, die gezwungen wurden, in fieberhaftem Tempo und in unmenschlicher Weise an diesem Bau zu arbeiten. Der historischen Korrektheit halber und aus Respekt vor so vielen Menschen, die in diesem Fall wider Willen ihr Leben dafür gaben, halten wir es für unsere Pflicht, offiziell ein sichtbares Zeichen der Anerkennung zu setzen, damit die historische Wahrheit über diese Zeit in der kollektiven Erinnerung weiterleben kann.”
Pietro De Godenz (UPT) unterstützte den Antrag. Die Bahn sei zu ihrer Zeit eine wichtige Infrastruktur gewesen, und sie sei erbaut worden mit dem Leiden vieler, Kriegsgefangener wie Einheimischer.
Alessandro Urzì (Gemischte Fraktion) unterstützte den Antrag ebenfalls und bemerkte, dass auch die österreichisch-ungarische Monarchie zu solch unmenschlicher Gewalt fähig war. Wie man es beim Faschismus tue, wie jüngst am Gerichtsplatz, so sollte auch hier an staatliche Gewalt erinnert werden. Wie ein Großteil von Oberitalien habe auch unsere Region unter der Herrschaft der Monarchie gelitten, daran sollte endlich erinnert werden.
Walter Blaas (Freiheitliche) hätte den Antrag gerne unterstützt, nach der Stellungnahme Urzìs aber nicht mehr. Dieser vergleiche Österreich-Ungarn mit der faschistischen Diktatur. Ausgangspunkt für die Tragödie sei schließlich die Kriegserklärung Italiens gegen den ehemaligen Bündnispartner gewesen. Er plädierte für mehrsprachige Tafeln, noch wichtiger aber sei der Inhalt. Blaas erklärte schließlich doch seine Unterstützung.
Oswald Schiefer (SVP) wies darauf hin, dass die Region ihre Mittel für historische Anlässe bereits für das Gedenkjahr zum I. Weltkrieg gebunden habe. Das Anliegen bleibe aber aufrecht. Schiefer schlug daher vor, dass die betroffenen Bezirke (Unterland, Fleimstal, Fassa) bei der Region um entsprechende Mittel ansuchen.
Bernhard Zimmerhofer (Süd-Tiroler Freiheit) unterstützte den Antrag, warnte aber vor Instrumentalisierung. Bei einem Projekt mit Friaul etwa sei der österreichische Teil ausgeblendet worden. Ass. Josef Noggler bedauerte, dass keine direkten Beiträge für solche Investitionen vorgesehen seien. Bezirksgemeinschaften oder Gemeinden könnten allerdings darum ansuchen. Brigitte Foppa legte eine neue Fassung des Antrags vor, der den Antrag durch die genannten Bezirksgemeinschaften berücksichtigt. Alessandro Urzì schlug vor, auch hier den Satz “Niemand hat das Recht zu gehorchen” anzubringen.
Walter Blaas erklärte seine Unterstützung für die neue Fassung, betonte aber, dass man auf einen korrekten Text der Tafeln achten müsse.
Ass. Josef Noggler erklärte seine Zustimmung zur neuen Fassung. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Begehrensantrag Nr. 10, eingebracht von den Regionalratsabgeordneten Civico, Maestri, Ferrari, Manica, Borgonovo Re, Bizzo, Dorigatti, Tommasini, Passamani, Lozzer, Foppa, Dello Sbarba, Heiss, Giovanazzi, Simoni, Borga und Fasanelli, mit dem die italienische Regierung und das römische Parlament ersucht werden, den Export von Waffen in Länder, die in Konflikte verwickelt sind, vor allem in Länder des Mittleren Ostens und Nordafrikas, zu stoppen, die Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit auszubauen, um Konfliktsituationen vorzubeugen oder bestehende Konflikte zu beseitigen und die im Rahmen der friedlichen Diplomatie gemachten Erfahrungen zur gewaltfreien Lösung von Konflikten und für einen friedlichen Einsatz von Zivilpersonen in Krisenherden zu unterstützen.
“Seit dem Jahr 2011 befindet sich der Jemen im Bürgerkrieg”, bemerkte Mattia Civico (PD), “die Anti-Regierungsproteste während des so genannten „Arabischen Frühlings“ haben ein bereits instabiles Land noch weiter gespalten. Im Konflikt agieren verschiedene Widersacher, wobei sich die Fronten immer wieder verschieben: die Huthis, eine Bewegung zaiditischer Schiiten, hatten zusammen mit der Islah-Bewegung im Jahr 2012 die Regierung Salihs zu Fall gebracht, welcher das Land seit 1978 regiert hatte. Genau diese Gruppierung soll sich nun angeblich mit der Unterstützung des Iran mit Salih im Kampf gegen die Regierung Hadi verbündet haben. Die Präsenz von Al-Kaida nahen Gruppierungen sorgt für eine weitere Destabilisierung des gesamten Gebietes. Die von Saudi-Arabien angeführte militärische Intervention im Jemen, um die der jemenitische Präsident Hadi gebeten hatte und bei der es auch zum international verbotenen Einsatz von Streubomben gekommen ist, hat zu einer für die Bevölkerung im gesamten Land verheerenden humanitären Lage geführt. Die jemenitische Zivilbevölkerung, die ohnehin mit schwierigen Lebensbedingungen zu kämpfen hat, ist das Opfer der aktuellen militärischen Eskalation. Laut vorsichtigen Schätzungen der Vereinten Nationen beläuft sich die Zahl der Opfer auf 6.000 Menschen, die Hälfte davon Zivilisten, während 4/5 der Jemeniten auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen sind. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung leidet unter Hunger und mindesten 320.000 Kinder unter fünf Jahren leiden an Mangelernährung, 2,4 Millionen Menschen sind vertrieben worden.” Auch Italien, der zehntgrößte Waffenexporteur der Welt, exportiere Waffen nach Saudi-Arabien, erklärte Civico. “Das Ergebnis dieser Politik sind Abertausende von Migranten, die an unseren Küsten Schutz suchen.”
Das europäische Recht sehe für Kriegswaffenexporte gewisse Voraussetzungen vor, bemerkte Dieter Steger (SVP), Lieferungen in Ländern mit bewaffneten Konflikten seien bereits verboten. Bernhard Zimmerhofer (STF) verurteilte alle Waffenexporte. Er erinnerte daran, dass ein ähnlicher Antrag aus seiner Feder im Regionalrat abgelehnt wurde.
Claudio Cia (LN-FI) unterstützte den Antrag, fragte sich aber, ob er Wirkung zeigen werde. Er erinnerte auch daran, dass der PD in Rom für Waffenlieferungen nach Gabun und Mosambik gestimmt habe.
Für Rodolfo Borga (ACT) hängt das Thema eng mit jenem der Migration zusammen. Saudi-Arabien sei ein rückständiger Staat, der zudem gegen den Frieden in Nahost arbeite und den Terrorismus unterstütze. Trotzdem sei es der engste Verbündete des Westens in jener Region. Italien habe Schlimmeres getan als Waffen zu liefern, es habe den Angriff auf Syrien und den Sturz Gadhafis unterstützt. Er habe den Antrag mitunterzeichnet, könne aber nicht für ihn stimmen, weil er mit Teilen der Forderungen nicht einverstanden sei.
Auch hier gebe es mit der Iveco ein Unternehmen, das Waffen exportiere, stellte Riccardo Dello Sbarba (Grüne) fest. Die italienischen Waffenexporte seien von 1,2 Mrd. im Jahr 2007 auf 14,6 Mrd. gestiegen. Die Kriegsschauplätze hätten sich in der Zeit vermehrt und seien auch näher an Europa herangerückt. Es sei ein Teufelskreis, wenn Italien Waffen an Länder liefere, die sie dann an Terroristen weiterreichten.
Mattia Civico erklärte, sein Antrag sei auch eine Antwort an jene, die für eine Unterstützung der Migranten in ihren Herkunftsländern plädierten. Der Stopp des Waffenexports wäre ein erster Schritt, ebenso brauche es aber Zusammenarbeit und Diplomatie. Saudi-Arabien sei der eklatanteste Fall, hier greife das EU-Verbot anscheinend nicht. Das EU-Parlament habe den Fall Italiens eigens angesprochen. Der Antrag werde vielleicht wenig bewirken, aber in solchen Fällen habe man die Pflicht, seine Meinung zu sagen.
Alessandro Urzì fragte die Abgeordneten, ob sie wirklich für einen Antrag gegen die Iveco stimmen wollte, die immerhin auch vom Land unterstützt wird. Man treffe damit einen der größten Industriebetriebe von Bozen, daher bereite ihm der Antrag Bauchweh, wenngleich er dessen Prinzipien teile. Mattia Civico wies diesbezüglich auf Punkt 2 seines Antrags hin, der eine Umwidmung jener Betriebe fordere, die heute Waffen herstellen. Er habe also auch die Arbeitsplätze im Blick.
Bernhard Zimmerhofer erinnerte die Grünen daran, dass sie seinen Antrag für eine waffenfreie Zone Südtirol nicht unterstützt hätten. Claudio Cia erinnerte daran, dass dieselben Parteien, die heute diesen Antrag unterstützen, in Rom an der Regierung seien, und diese Regierung habe zahlreiche Waffenexporte in Krisengebiete genehmigt. Dieselben Parteien hätten in Rom auch ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien abgelehnt.
Der Antrag wurde mit 40 Ja und sieben Enthaltungen genehmigt (Punkt zwei mit 37 Ja, einem Nein und sechs Enthaltungen). Damit war die Sitzung beendet.