Von: apa
Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) hat am späten Dienstagnachmittag den slowakischen Premierminister Robert Fico zu einem Arbeitsgespräch empfangen. Es war das erste bilaterale Gespräch der beiden Regierungschefs, teilte das Bundeskanzleramt der APA im Anschluss mit. Im Mittelpunkt der Debatte standen neben bilateralen Themen insbesondere die Vorbereitungen auf den bevorstehenden Europäischen Rat am Donnerstag. Fico drohte mit einem Veto gegen neue Russland-Sanktionen.
Er sei bereit, das 18. EU-Sanktionspaket gegen Russland zu blockieren, sollte es keine Änderung beim EU-Vorschlag für einen vollständigen Stopp der russischen Gasimporte geben, sagte der slowakische Premier am Dienstagabend in einem Onlinevideo, das auf Facebook veröffentlicht wurde. Diese “ideologische” Entscheidung der EU-Kommission für einen Gasimportstopp im Jahr 2028 “schadet ganz Europa, schadet der Wettbewerbsfähigkeit erheblich”, erklärte Fico. Er “sehe keinen Grund, warum die slowakischen Haushalte wegen der Ukraine mehr zahlen sollten und ich sehe keinen Grund, warum die slowakische Industrie wegen der Ukraine gefährdet sein sollte.”
“EU als Friedensprojekt”
Die Slowakei will nach Angaben Ficos beim EU-Gipfel am Donnerstag außerdem eine Erklärung einbringen. Diese spreche davon, dass die EU ein Friedensprojekt sei. “Und wir sollten uns mehr auf friedliche Lösungen konzentrieren, auf Diplomatie statt auf Lösungen mit militärischem Charakter.”
Diskutiert wurden laut Bundeskanzleramt abgesehen von der Lage in der Ukraine im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg, die Situation im Nahen Osten nach den jüngsten Eskalationen, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas sowie Fragen der Migrationspolitik. Beide Regierungschefs bekräftigten außerdem ihre gemeinsame Haltung zur EU-Erweiterung: Österreich und die Slowakei zählen zu den stärksten Unterstützern einer EU-Perspektive für die Staaten des Westbalkans. Die Slowakei ist zudem Teil der von Österreich initiierten Plattform “Friends of the Western Balkans”, die sich für rasche Fortschritte im Beitrittsprozess der Westbalkanstaaten einsetzt.
“Die enge Zusammenarbeit mit der Slowakei ist ein Eckpfeiler unserer regionalen Stabilität und unseres europäischen Engagements. Gerade in geopolitisch herausfordernden Zeiten brauchen wir verlässliche Nachbarn und Partner – ich bin Premierminister Fico dankbar, dass auch er auf die enge Partnerschaft unserer Länder setzt”, erklärte Stocker nach Angaben seines Büros. Eine für Dienstag geplante Pressekonferenz war zuvor abgesagt worden.
Besuch in Bratislava besprochen
Auch Fico hob auf Facebook die gute Zusammenarbeit der beiden Länder hervor – etwa als Österreich der Slowakei beim Kampf gegen die Maul- und Klauenseuche unterstützte und die Slowakei ihrerseits nach der Eskalation zwischen Israel und dem Iran bei der Ausreise von österreichischen Staatsbürgern aus Nahost half. “Österreich und die Slowakei haben keine offenen Fragen und sind gute Nachbarn”, sagte der slowakische Premier. Es gehe um praktische Fragen wie die Verbesserung der Verkehrsverbindungen, Hilfe im Katastrophenfall und die Kooperation von Rettungsdiensten. Fico erklärte, dass die beiden Regierungschefs einen baldigen Besuch von Bundeskanzler Stocker in Bratislava besprochen hätten.
Laut dem slowakischen Ministerpräsidenten sind die Beziehungen zwischen der Slowakei und Österreich eine Erfolgsgeschichte der Zusammenarbeit, die bereits über drei Jahrzehnte andauert. “Die Slowakei schätzt die freundschaftlichen Beziehungen zu Österreich. Wir haben ein großes Interesse daran, die Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden Projekten weiterzuentwickeln, etwa im Bereich der Verkehrs- und Energieinfrastruktur oder bei der Kooperation von Rettungsdiensten”, sagte Fico laut Aussendung.
Beide Länder eng miteinander verbunden
Österreich und die Slowakei sind als Nachbarländer eng miteinander verbunden – sowohl kulturell, geschichtlich als auch wirtschaftlich. Fast 40.000 Menschen pendeln aus der Slowakei nach Österreich. Österreich gehört nach den Niederlanden mit rund sieben Milliarden Euro zu den größten Investoren der Slowakei. Ministerpräsident Fico selbst war zuletzt im August 2017 in Österreich. Er traf bei einem Gipfel im Austerlitz-Format mit seinen Amtskollegen aus Österreich und Tschechien in Salzburg zusammen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron war damals dabei.
Zuletzt hatte Fico für Aufsehen gesorgt, weil er als einziger EU-Regierungschef am 9. Mai an der Siegesparade in Moskau teilnahm. Angesichts des NATO-Ziels für Verteidigungsausgaben von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sprach Fico über eine “Neutralität” seines Landes. Zum Fünf-Prozent-Ziel meinte Fico, es sei “absolut absurd, so viel für Verteidigung auszugeben”. Die Slowakei hat im Budget dafür zwei Prozent des BIP vorgesehen.
Der Linkspopulist war bereits von 2006 bis 2010 sowie von 2012 bis 2018 Ministerpräsident der Slowakei. Der Parteigründer der Smer – Slowakische Sozialdemokratie ist seit über 25 Jahren in der Politik des EU- und NATO-Landes aktiv. Nach der Parlamentswahl im Herbst 2023 feierte er sein Comeback und ging eine Koalition mit Nationalisten und der sozialdemokratischen Partei Hlas ein. Ficos Regierung stellte die staatliche Militärhilfe an das Nachbarland Ukraine ein und führte umstrittene Reformen in Justiz sowie im Medien- und Kulturbereich ein. Im Mai 2024 wurde Fico bei einem Schussattentat lebensgefährlich verletzt.
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