Rege Diskussion im hohen Haus

Landtag befasst sich mit Löhnen: Anträge abgelehnt und vertagt

Mittwoch, 13. März 2019 | 17:30 Uhr

Bozen – Im Südtiroler Landtag ging es heute auch um Löhne im privaten und öffentlichen Sektor. Zwei Anträge der Grünen zu Lohnerhöhungen wurden behandelt. Einer wurde vertagt, der andere von der Mehrheit abgelehnt.

Beschlussantrag Nr. 18/18: Verträge auf lokaler Ebene und Mindeststundenlohn im Privatsektor (eingebracht von den Abg. Dello Sbarba, Foppa und Staffler am 27.12.2018). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten: Ein Dringlichkeitstreffen mit den Unternehmerverbänden der verschiedenen Bereiche und den Gewerkschaftsvertretern einzuberufen, um Verhandlungen im Hinblick auf den Abschluss eines Rahmenabkommens auf Landesebene aufzunehmen, in dem ein „Südtiroler Mindeststundenlohn“ festgelegt werden soll, das es allen vollzeitbeschäftigten, lohnabhängigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglichen soll, mit Würde bis zum Monatsende auszukommen; Die Aufnahme von dezentralen Zusatzverhandlungen auf Gebiets-, Branchen-, und/oder Betriebsebene im Privatsektor – wenn nötig auch durch ihre Unterstützung und/oder in Eigenregie – voranzutreiben; Unterstützende Maßnahmen im Hinblick auf den Abschluss von Zusatzverträgen auf Gebiets-, Branchen-, und/oder Betriebsebene im Privatsektor zu ergreifen, indem die Förderkriterien überarbeitet werden und/oder die IRAP-Steuersätze angepasst und somit verstärkt Unternehmen oder Berufsgruppen belohnt werden, die Zusatzverträge auf lokaler und betrieblicher Ebene abschließen, welche die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen des Personals verbessern; Jene Unternehmen, die sich nicht an den mit dem Rahmenabkommen gemäß dem ersten Punkt festgelegten „Südtiroler Mindeststundenlohn“ halten, von allen finanziellen und steuerlichen Vergünstigungen auszuschließen.

Laut Astat-Studie seien die Entlohnungen in der Südtiroler Privatwirtschaft zwischen 2011 und 2016 gesunken, vor allem bei befristeten und Teilzeitverträgen, erklärte Riccardo Dello Sbarba (Grüne). Andererseits seien die Gewinne der Unternehmen gestiegen. Die Schere klaffe also weiter auseinander. Die Politik könne hier durchaus etwas unternehmen: Das Land könnte die Unternehmen zu Landeszusatzverträgen ermutigen, mit einem für Südtirol angemessenen Mindestlohn, und zu betrieblichen Zusatzverträgen. Es könnte seine Wirtschaftsförderung daran koppeln, sowohl über die Beiträge als auch über die Steuererleichterungen.

Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore) fand den Vorschlag haarsträubend. Dieser sehe praktisch vor, dass die Unternehmen zu Lohnerhöhungen erpresst würden. Das sei ein “sowjetischer” Vorschlag. Man sollte sich stattdessen mit den Ursachen der hohen Südtiroler Lebenshaltungskosten befassen.

Brigitte Foppa (Grüne) bezeichnete das Thema als Legislaturziel ihrer Fraktion. In den Wahlprogrammen von SVP und Lega habe man das vermisst. Den Arbeitnehmern werde immer mehr abverlangt, und in Krisenzeiten steige die Belastung noch mehr. Dennoch würden die Löhne für ein Auskommen nicht reichen.

Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) stimmte dem Anliegen grundsätzlich zu. Besonders jungen Arbeitnehmer täten sich schwer. Man sollte aber auch die Unternehmerseite sehen. Viele Unternehmer fragten sich, ob ihre Tätigkeit sich noch auszahle, bei all den Abgaben und Steuern. Man sollte eher an eine Senkung der Lohnnebenkosten denken. Man könnte auch den Irpef-Freibetrag erhöhen, etwa auf 36.000 Euro. Mit einer Bestrafung könne sie jedenfalls nichts anfangen.

Maria Elisabeth Rieder (Team Köllensperger) sah ein Missverhältnis zwischen Lebenshaltungskosten und Löhnen. Die Arbeitnehmer hätten während der Krise Opfer gebracht, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Jetzt, wo es der Wirtschaft wieder gut gehe, sollten endlich die Arbeitnehmer dran sein. Dafür seien die genannten Zusatzverträge unabdingbar. In Kleinbetrieben seien Betriebsabkommen schwer möglich, daher brauche es die Landeszusatzabkommen. Rieder erinnerte LH Kompatscher an sein Versprechen, das Thema Lohnerhöhungen anzugehen.

Sven Knoll (STF) kritisierte, dass hier Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegeneinander ausgespielt würden. Das Problem seien die Lohnnebenkosten. Man könne nicht beschließen, dass die Arbeitnehmer mehr verdienen und die Betriebe dafür aufkommen müssen. Um die Lohnnebenkosten senken zu können, bräuchte das Land die entsprechenden Zuständigkeiten.

Sandro Repetto (PD) sah den Antrag als Ansporn für die Landesregierung. Als Sohn eines Industriellenpräsidenten sehe er auch die Probleme der Arbeitgeber. Das Land könne einiges tun, etwa über die Auftragsvergabe, wenn es z.B. die Einschreibung in die Bauarbeiterkasse verlange.

Die Lohnsituation in Südtirol sei zu niedrig, urteilte Helmuth Renzler (SVP). Die Kollektivverträge seien Sache der Sozialpartner. Es sei daher bedenklich, wenn man per Gesetz einen Mindestlohn einführen wolle. Von der Irap-Senkung profitierten nur größere Betriebe mit über 50 Mitarbeitern, und nur diese könnten dann die Vorteile an die Mitarbeiter weiterreichen. Wichtig wäre ein Rahmenabkommen in allen Bereichen, in denen es keine Zusatzverträge gebe. Hier könne das Land einen Druck ausüben, damit Verhandlungen aufgenommen werden, aber es dürfe sich nicht in die Inhalte einmischen.

Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) zweifelte ebenfalls an der Zuständigkeit des Landes. Die Kollektivverträge seien Sache der Sozialpartner, und für spürbare Steuererleichterungen bräuchte das Land die Steuerhoheit.
Arbeitnehmer und Arbeitgeber seien aufeinander angewiesen, erklärte Josef Unterholzner (Team Köllensperger), man sollte sie nicht gegeneinanderstellen. Das größte Problem seien die hohen Nebenkosten. Viele Südtiroler Unternehmen würden an den Grenzen der Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Man sollte versuchen, die Sache so zu lösen, dass es beiden Seiten gut gehe. Seine Fraktion werden Teilen des Antrags zustimmen, sich bei anderen enthalten.

Gerhard Lanz (SVP) erinnerte daran, dass über 90 Prozent der Südtiroler Betriebe weniger als zehn Mitarbeiter hätten. Kein Unternehmer habe Interesse, seine Mitarbeiter schlecht zu behandeln. Die Betriebe hätten hohe Belastungen zu verkraften, darunter auch die Pflichtkurse. Die Tarifverhandlungen seien Sache der Sozialpartner, man könne sie nur von außen unterstützen und günstige Rahmenbedingungen schaffen.

Es gehe hier nicht um das Ob, sondern um das wie, meinte LR Philipp Achammer. Das Lohnniveau im Privatsektor sei derzeit nicht zufriedenstellend. Vor zehn Jahren habe man noch die Jugendarbeitslosigkeit bedauert, heute müsse man über Fachkräfte jammern. Achammer stellte in Abrede, dass in der letzten Legislatur zu wenig für die Geringverdiener getan wurde – Studien würden das widerlegen. Man dürfe auch nicht nur die Lebenshaltungskosten sehen, man müsse auch auf den Lebensstandard schauen, und der sei sehr hoch. Es gebe in Südtirol durchaus auch prekäre Arbeitssituationen mit geringen Löhnen, und da sei durchaus noch zu tun. Es sei Sache der Tarifpartner, ob sie Zusatzverträge haben wollten, das Land könne nur Rahmenbedingungen schaffen. Achammer stellte auch klar, dass die Lohnnebenkosten nicht nur sinnlose Ausgaben seien – da stecke die soziale Absicherung drin. Das Land könne Anreize schaffen, das stehe mehrmals in der Regierungsvereinbarung. Man wolle Steuererleichterungen auch daran knüpfen, dass sie positive Auswirkungen auf die Arbeitnehmer haben. In Kürze werde die Landesarbeitskommission eingesetzt, kündigte Achammer an. Punkt vier des Antrags schloss er kategorisch aus und schlug eine Neuformulierung vor.

Riccardo Dello Sbarba freute sich, dass das Thema allgemein ernst genommen wird. Die Landesregierung habe sehr wohl Arbeitsplätze geschaffen, aber nicht gerade attraktive – viele Jugendliche würden sich lieber im Ausland umsehen. Die Betriebe hätten sehr wohl Zusatzkosten, aber diese würden zum Großteil in den Landeshaushalt fließen. Sein Antrag ziele auf positive Rahmenbedingungen ab, die Verhandlungen der Sozialpartner erleichtern könnten. Schließlich gehe es auch um eine Umverteilung, denn die Gewinne seien mehr gestiegen als die Löhne. Dello Sbarba zeigte sich mit einer Neuformulierung einverstanden und bat um Vertagung.

 

Beschlussantrag Nr. 19/19: Aufnahme der Kollektivvertragsverhandlungen für das Landespersonal (eingebracht von den Abg. Staffler, Foppa und Dello Sbarba am 8.1.2019). Die Landesregierung möge beauftragt werden, 1. die Kollektivvertragsverhandlungen auf bereichsübergreifender Ebene und auf Bereichsebene umgehend über die Einrichtung einer ständigen Plattform aufzunehmen; 2. auf bereichsübergreifender Ebene innerhalb 2019 den wirtschaftlichen Teil zu verhandeln und die Grundentlohnung für alle Funktionsebenen um mindestens zehn Prozent anzuheben; zehn Prozent als Richtwert deshalb, weil dies dem Kaufkraftverlust entspricht, der im Zeitraum 2009-2016 noch nicht über Lohnsteigerungen ausgeglichen wurde (Quelle: Amt für Arbeitsmarktbeobachtung, Arbeitsmarkt-News 11/2018); 3. zukünftig auf bereichsübergreifender Ebene den wirtschaftlichen Teil verbindlich alle zwei Jahre zu verhandeln (2021, 2023, 2025); 4. auf Bereichsebene für das Landespersonal die Modernisierung der Arbeitszeitregelung, die Aktualisierung der Berufsbilder und die Neuordnung des Zulagensystems anzugehen; 5. das System der „Fringe Benefits“ wie SaniPro, Laborfonds, Mensa und Essengutscheine weiterzuentwickeln.

Anders als beim Privatsektor könne sich das Land bei den öffentlich Bediensteten sehr wohl direkt einmischen, erklärte Hanspeter Staffler (Grüne), es gehe hier um zehntausende Familien. Der bereichsübergreifende Vertrag für den öffentlichen Bereich habe mit der rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung nicht Schritt gehalten. Während die Lebenshaltungskosten um 20 Prozent gestiegen seien als im gesamtstaatlichen Durchschnitt, seien die Gehälter um sechs Prozent gestiegen. 150 Mio. Euro wären eine seriöse Summe, die das Land für die Tarifverhandlungen bereitstellen könnte. Die Mitarbeiter seien nicht nur gut ausgebildet, sie seien die Säule unserer Autonomie. Die Gehaltssteigerung sollte mindestens zehn Prozent auf allen Funktionsebenen betragen.

Jeder würde den Mitarbeitern eine Lohnerhöhung gönnen, meinte Alessandro Urzì (AAnc), aber wie beim vorherigen Antrag würden wieder die Privaten zur Kasse gebeten. Man sollte sich stattdessen fragen, warum die Lebenskosten in Südtirol so hoch seien. Zu den Ursachen gehörten auch politische Entscheidungen, etwa in der Handelspolitik. Wenn das öffentliche Gesundheitswesen funktionieren würde, bräuchten sich die Bürger nicht an Privatärzte wenden. Die Wohnungspreise wären auch niedriger, wenn man den Markt öffnen würde. Aber in Südtirol setze man nur darauf, den Unternehmen mehr Geld abzuknöpfen.

Brigitte Foppa (Grüne) erinnerte an einige Bereiche im öffentlichen Sektor, die benachteiligt seien, etwa die Kindergärtnerinnen, die Schuldiener, das Sanitätspersonal oder die Lehrer. Die Gehälter hätten einen wesentlichen Anteil an der Motivation.

Maria Elisabeth Rieder (TK) sei dringenden Handlungsbedarf ebenfalls in Schule und Sanität. Eine spürbare Lohnerhöhung für die öffentlichen Bediensteten sei jetzt wirklich angebracht. Ein Vorschlag der Gewerkschaften sei bereits vor den Wahlen an die Landesregierung gemacht worden, aber bisher ohne Antwort geblieben. Bei den bisherigen Treffen habe das Land noch keinen Vorschlag auf den Tisch gelegt, außer dass es die Mehrstunden abbauen wolle – also weniger Netto auf dem Lohnstreifen.

Sven Knoll (STF) sah hier die Arbeitnehmer des privaten und des öffentlichen Sektors gegeneinander ausgespielt. Eine schlanke, effiziente Verwaltung sei Aufgabe der öffentlichen Hand. Das Land habe nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor zu schaffen – das wäre wieder eine Konkurrenz zur Privatwirtschaft. Mit einer Aufstockung von zehn Prozent löse man nicht alle Probleme, es brauche eine Gesamtlösung für den öffentlichen wie den Privatsektor, und dazu brauche es die Steuerautonomie.

Südtirol habe derzeit einen überhitzten Arbeitsmarkt, bemerkte Helmuth Renzler (SVP), viele würden beim Land kündigen, weil sie in der Privatwirtschaft mehr verdienten. Wenn man den öffentlichen Dienst weiter attraktiv gestalten wolle, müsse man rasch Kollektivverhandlungen abschließen und günstige Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter schaffen.

Gerhard Lanz (SVP) sah das Thema ähnlich wie in der Privatwirtschaft: Es bestehe Interesse, dass die Mitarbeiter gerecht entlohnt würden. Man sollte auch die verschiedenen nichtfinanziellen Zusatzleistungen in Rechnung stellen, die oft gar nicht mehr wahrgenommen würden, und auch weitere in die Verhandlungen bringen. Lanz warnte vor einem Krieg mit der Privatwirtschaft, wer das bessere System habe.
Als vormals öffentlich Bediensteter wisse er, dass es zehn Jahre keine Lohnerhöhungen mehr gegeben habe, erklärte Peter Faistnauer (TK). Das führe dazu, dass viele Nebenjobs hätten. In den Gemeinden gebe es eine regelrechte Flucht in den Privatsektor.

LH Arno Kompatscher kündigte an, dass man dem Antrag nicht zustimmen werde. Man sei bereits in Verhandlung, und mit den Gewerkschaften habe man auch schon über Bereichsabkommen geredet. Mit dem anstehenden Haushaltsgesetz werde die Agentur für die Kollektivvertragsverhandlungen wieder eingerichtet, die Verhandlungen würden jedenfalls bald aufgenommen. Es gebe in der Öffentlichkeit oft das falsche Bild vom Landesbeamten am Schreibtisch, aber nur 3.000 Mitarbeiter seien in der eigentlichen Verwaltung tätig. Es stimme auch nicht, dass es zehn Jahre keine Erhöhungen gegeben habe, die Dienstaltersvorrückungen seien ja geblieben. Es seien auch Fringe Benefits wie Gesundheitsversicherung  und Zusatzrente eingeführt worden. Wenn man eine Erhöhung von zehn Prozent fordere, müsse man auch sagen, was man streichen wolle. Der nächste Haushalt werde um 70 Millionen kleiner. Bestimmte Leistungen seien anders als anderswo in Südtirol nicht gestrichen worden, etwa die Kinderbetreuung. Sollte man diese streichen? Oder die Investition in Infrastrukturen? Einfach zehn Prozent mehr Lohn für alle wäre zu teuer, man wolle sich auf die Bereiche konzentrieren, wo mehr Nachholbedarf sei. Auf jeden Fall müsse man sich bemühen, als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, aber allein mit Geld sei das nicht zu schaffen.

Es gehe sicher auch um die Rahmenbedingungen, aber Löhne und Gehälter gehörten zu diesen, replizierte Hanspeter Staffler. Es sei jetzt die Zeit, wieder in die Menschen zu investieren. Man habe einen massiven Kaufkraftverlust aufzuholen. Er wolle nicht Öffentlich gegen Privat ausspielen. Die öffentliche Verwaltung sei eine Speerspitze, die andere nachziehe, sei die Säule des Landes, und man müsse alles tun, um die Mitarbeiter zu halten.

Der Antrag wurde in mehreren Teilabstimmungen mehrheitlich abgelehnt.

Von: luk

Bezirk: Bozen