Plenarsitzung

Landtag: Debatte zum Klimabericht

Dienstag, 05. Oktober 2021 | 18:30 Uhr

Bozen – Auf Antrag von Grünen, Süd-Tiroler Freiheit, Team K, Perspektiven für Südtirol, Enzian, Freiheitlichen, Demokratischer Partei und 5 Sterne Bewegung wurde eine Aktuelle Debatte zum jüngsten Bericht des Weltklimarats abgehalten.

“Gerade in diesem Sommer mit verheerenden Extremsituationen auch in Europa wird der Ernst der Lage wohl allen bewusst”, schreibt Brigitte Foppa (Grüne) in ihre Begründung zum Antrag. “Die Erderwärmung kann nicht mehr auf wirtschaftliche oder ökologische Teilbereiche eingegrenzt werden. Es geht um das Überleben des Planeten und der Menschen, die ihn bevölkern. Die Klimakatastrophe wird im Bericht als umfassende Krise gezeichnet. Diese Sicht erfordert auch ganzheitliche Herangehensweisen, um ihre Auswirkungen zu bekämpfen. Auch Südtirol muss hierzu seinen Beitrag leisten. Wohnen, Ernährung, Mobilität bilden das Dreieck, in dem Klimaschutz gestaltet wird, oder eben auch nicht. In diesen strategischen Bereichen erwarten sich die kommenden Generationen klare Vorgaben für die Veränderung. Sonst bleibt Enkeltauglichkeit zwar ein schönes, aber auch hohles Wort. Der derzeitige Klimaplan stammt aus dem Jahr 2011. Der CO2-Fußabdruck von Südtirol ist kaum besser als die umliegenden Regionen. Durchschnittlich emittiert jede in Südtirol lebende Person knapp 7,4 Tonnen CO2 im Jahr. Bis 2050 sollen diese auf 1,5 t gesenkt werden – ein Ziel, das Anstrengungen erfordert.” Die einzige sichtbare Maßnahme seien die LED-Lampen zur öffentlichen Beleuchtung, aber in den letzten zehn Jahren habe der Verkehr um 25 Prozent zugenommen, die Gästeübernachtungen um 5 Millionen. Der Flughafen stehe immer noch, unsere Zimmer würden im Sommer mehr gekühlt und im Winter mehr geheizt. Südtirol sei Teil dieser Welt und müsse mit Verantwortung tragen. Wenn man etwas tun wolle, müsse sich unser Alltag verändern. Dafür brauche es auch strategische Vorgaben.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) berichtete von Wandermarkierungen am Rande eines Gletschers im Stubaital, die wegen des Gletscherschwunds immer weiter nach unten gesetzt werden mussten. Der Verkehr sei Fluch und Segen zugleich, er verbinde die Menschen, habe aber auch Folgen. Knoll erinnerte an seien vom Landtag einstimmig angenommenen Vorschlag für eine Bahn über den Reschen, der aber immer noch nicht angegangen worden sei. Wichtig wäre auch eine Anhebung der Brennermaut, die schon längst versprochen worden sei, wie auch die Unterbindung der Ausweichrouten. Er habe auch ein Ticket für die ganze Europaregion gefordert, das werde jetzt nur für die Studenten umgesetzt. Es gebe eine Reihe von Bahnprojekten, die man angehen könnten. Man verliere stattdessen viel Zeit, um die Dinge zu zerreden.

Südtiroler Landtag

Riccardo Dello Sbarba (Grüne) stellte einen Vergleich zwischen dem Landesklimaplan von 2011 und jenem von 2021 an. In letzterem fehle eine Übersicht über das, was bisher erreicht wurde. Wenn man die Daten schließlich an anderer Stelle finde, zeige sich, dass kein Ziel von 2011 erreicht worden sei. Der Konsum an elektrischer Energie pro Kopf sei gestiegen statt gesunken. Man habe im neuen Plan einfach die Ziele des alten auf 2030 verschoben. Viele Projekte seien kläglich gescheitert, 2020 wollte man in den Städten nur noch öffentliche Verkehrsmittel mit Null-Emission haben, das werde nun auf 2030 verschoben. Entgegen den Zielen habe es um 40 Prozent weniger Gebäudesanierungen gegeben. Der Bettenstopp sei 2018 aufgehoben worden. Entgegen der Empfehlung der Eurac seien die vom Sturm Vaia gefällten Bäume wieder durch Nadelbäume ersetzt worden. Dem neuen Klimaplan könne man nur glauben, wenn die Fortschritte gemessen würden, und dazu brauche es eine unabhängige Stelle.

Laut nationalem Klimaplan müsste Südtirol rund 300 Megawatt Fotovoltaikanlagen bauen, bemerkte Hanspeter Staffler (Grüne), der Südtiroler Plan sehe nur 150 vor. Bei der Vorstellung des Plans habe der Landesrat gesagt, Landwirtschaft und A22 seien noch nicht eingerechnet. Das sei nicht im Sinne der Transparenz. Es gebe Regeln für die Pläne, die einzuhalten seien. Der IPCC verlange 3,5 Tonnen Treibhausgas pro Einwohner, die 4,4 vom Landesplan seien nicht vorgesehen. Die Grünen hätten eine Reihe von Vorschlägen gemacht, so den Klimacheck oder die Maßnahmen zur klimaneutralen Landesverwaltung – alles abgelehnt. Und nun verspreche die SVP konkrete Maßnahmen. Hier gehe es nicht um parteipolitische Geschichten, sondern um unsere Zukunft. Der Verkehr habe zugenommen, der Tourismus auch, der Flughafen stehe immer noch, und es würden mehr Straßen gebaut. Alle im Landtag seien bereit, mitzuarbeiten, aber dafür brauche es Transparenz. Ein schwedisches Mädchen, nicht die Thunberg, würde sagen: Diese Landesregierung schaffe sich die Klimawelt, die ihr gefällt.

Helmut Tauber (SVP) verwies auch die rasant zunehmenden Klimakatastrophen, die ein rasches Handeln notwendig machten. Die Vorgaben der UN befänden sich bereits im Regierungsprogramm dieser Landesregierung. Gerade für die Alpenregion könne der Klimawandel unangenehme Folgen haben, das erlebe man immer mehr: der Rückgang der Gletscher, die Zunahme der Starkregen. Die Alpen seien klarerweise auch Mitverursacher, das sage er auch als Touristiker. Der Tourismus werde derzeit verstärkt angeprangert, aber alle würden ihren Teil zum Klimawandel beitragen. Auch Handwerk und Industrie verursachten Verkehr, ebenso die Landwirtschaft, auch der Einzelne in seiner Freizeit. Technisch gebe es einige Fortschritte, um die CO2-Bilanz zu senken. Südtirol habe in Sachen erneuerbare Energiequellen viel getan, nun gehe es um einen effizienteren Verbrauch. Auch im Tourismus würden viele Dinge bereits angedacht, um den Besucherstrom zu lenken, klimafreundliche Infrastrukturen zu schaffen usw. Zu regeln seien auch Entwicklungen wie Airbnb oder wildes Campen. Unterm Strich sei Südtirol aber sehr gut unterwegs.

Der heurige Nobelpreis für Physik gehe an drei Wissenschaftler, die sich um die Klimaberechnung verdient gemacht hätten, bemerkte Franz Ploner (Team K). Er erinnerte an die Vorgaben des IPCC-Berichts, der genaue Ziele nenne. Es brauche schnelles und entschlossenes Handeln, Entscheidungen, die auch Schmerzen bereiten. Man müsse Ernst machen bei der Energieerzeugung, bei den Wirtschaftskreisläufen, bei der Mobilität und im Tourismus. Eine Verlängerung dessen, was man bisher getan habe, gehe nicht mehr. Man müsse vieles, vor allem aber sein eigenes Verhalten ändern. Jeden Freitag werde man von vielen jungen Menschen daran erinnert. Man müsse weg vom “immer mehr”. Die Bürgerinnen und Bürger würden in dieser Hinsicht mit großer Erwartung auf den Landtag schauen.

Gerhard Lanz (SVP) bedauerte, dass seine Fraktion bei diesem Antrag nicht mitgenommen wurde. Die Umsetzung mancher Forderungen sei nicht einfach, so sei etwa der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel sei im ländlichen Raum nicht immer machbar.  Es sei ein Netzwerk an Maßnahmen umzusetzen. Jede Maßnahme werde eine Auswirkung haben und werde sich in der Gesellschaft widerspiegeln. Man werde in Zukunft vielleicht auch weniger machen müssen. Aber der Verzicht allein genüge nicht, es werde auch neue Technologien brauchen. Die Maßnahmen müssten auch sozial ausgewogen sein. Deswegen müsse man daran arbeiten, dass die Menschen die Maßnahmen auch mittragen. Südtirol starte in diesem Bereich aus einer komfortablen Situation, was bestimmte Maßnahmen erleichtere. Die Maßnahmen seien laufend danach zu bewerten, ob man damit dem Ziel näherkomme. Lanz schlug einen gemeinsamen Tisch vor, um laufend das Thema zu besprechen.

Magdalena Amhof (SVP) fand die Debatte sehr wertvoll, bisher habe man sich im Landtag zu wenig mit dem Thema auseinandergesetzt. Die Auswirkungen der Klimakrise würden heute von kaum jemandem geleugnet. Es sei schwierig, einen Schritt zurückzumachen, aber diesen würden wohl alle machen müssen. Sie habe die Sorge, dass viele Maßnahmen nicht alle Menschen gleich im Blick hätten. Nicht jeder könne sich einen Tesla leisten, würden viele einwenden, und denselben Einwand gebe es auch zu gesunden Lebensmitteln. Auch für die Frauen müsse man Antworten finden, die von den Krisen stärker betroffen würden. Für die die Bewältigung der Klimakrise seien die Frauen stärker einzubinden. Dieser Aspekt sei genauso wichtig.

Paul Köllensperger (Team K) verwies auf die mehreren Szenarien im IPCC-Bericht. Die Problemfälle seien vor allem China, Indien und Indonesien, die staatlichen Verbote wirkten nicht und seien Zeichen einer Ideenarmut. Der Klimaschutz könne aber auch zu einer großen Chance werden, mit Forschung und neuen Technologien. Es sei klar, dass auch Südtirol seinen Beitrag leisten müsse, aber das müsse man mit Hausverstand angehen. Besser als Verbote seien Anreize. Den großen Volkswirtschaften könne man nichts verbieten. Der Mensch reagiere auf unmittelbare Gefahren, aber man könne ihn schwer überzeugen, dass er heute kein Fleisch mehr essen solle, weil sonst in zehn Jahren die Welt untergehe. Technologie und wirtschaftliche Anreize seien hilfreicher. FDP und Grüne seien bei den Jungen die meistgewählten Parteien, die einen setzten beim Klimaschutz auf Fortschritt, die anderen auf Verzicht. Er selbst bevorzuge das FDP-Programm, es sei eher umsetzbar. Wenn man die Innovationskraft der Wirtschaft fördere, erreiche man mehr als mit Einschränkungen.

Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) wies darauf hin, dass es sich nicht um eine ideologische Diskussion handele, da die Klimaneutralität auf internationaler Ebene durchgesetzt werde, und widersprach dem Optimismus von Lanz, indem er darauf hinwies, dass diese Neutralität einen völligen Paradigmenwechsel und eine Änderung des Lebensstils erfordere, einschließlich des Produktionssystems, des Autobesitzes, der Art der Arbeit und der Freizeitgestaltung. Das erste Ziel der Politik werde es sein, soziale Spaltungen zu vermeiden. Die 5-Sterne-Bewegung fördere das Konzept einer integralen Wirtschaft, die sich nicht auf begrenzte Interventionen beschränke, sondern über ein paradigmatisches Modell nachdenke. Wachstumsmodelle müssten für künftige Generationen nachhaltig sein, indem alte Schemata aufgegeben werden; es ist nicht mehr denkbar, nur in Begriffen des Wachstums zu denken. Die Herausforderung werde darin bestehen, alle Maßnahmen in Einklang zu bringen, die nicht frei gewählt, sondern aufgezwungen werden. Der derzeitige Lebensstil sei mit einem hohen Energieverbrauch verbunden, so dass es notwendig sei, darauf einzuwirken, da er Auswirkungen auf die schwächsten Bevölkerungsgruppen habe: Der Übergang müsse daher begleitet werden, damit er nicht traumatisch sei. Nicolini äußerte die Hoffnung, dass der Klimaplan überdacht wird, nicht zuletzt, weil er in seiner jetzigen Form leer sei und Gefahr laufe, wie der Plan von 2011 zu enden.

Franz Locher (SVP) wies auf die vielen Fortschritte in den letzten Jahren hin. Und doch müsse man sich fragen, was man noch mehr tun könne, vor allem bei den kleinen Wirtschaftskreisläufen. Bei Heizung mit dem nachhaltigen Rohstoff Holz sei viel getan worden, aber man könnte das noch weiter ausbauen. Man rede immer über die Spritzmittel in der Landwirtschaft, aber das Kaufverhalten der Kunden sei auf das Auge ausgerichtet. Die Gletscher seien massiv zurückgegangen; Südtirol könne schon auch einen Teil Schuld daran haben, aber die Hauptursache seien große Länder wie China, Indien u.a. Das Südtiroler Handwerk sei sehr nachhaltig und verwende heimisches Holz. Dem Hotspot-Tourismus könnte man mit mehr Synergien, mit mehr Angeboten im kleinen Umkreis entgegenwirken.

IPCC bedeute “zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimawandel”, bemerkte Helmuth Renzler (SVP). Es habe über hundert Jahre gedauert, bis man von der industriellen Revolution zur postindustriellen gekommen sei. Es sei in den letzten Jahren vieles gegen den Klimawandel getan worden, aber einiges habe auch soziale Auswirkungen. Renzler kritisierte den römischen Stopp für das Smartworking. Wichtig sei bei allen Maßnahmen der Nachhaltigkeit der soziale Konsens, sie dürften nicht zu Nachteilen für die Schwächsten führen. Aus den notwendigen Umwandlungen dürfe kein Geschäft für einzelne Gruppen werden. Alle müssten einen Vorteil haben, und davon sei man noch weit weg. Man führe heute eine Diskussion, die sich noch auf theoretischer Ebene abspiele. Renzler appellierte an die verantwortlichen Politiker, alle Aspekte zu berücksichtigen. Etwas, das man schnell umsetzen könnte, wäre der Ausbau der elektrischen Energie aus Wasserkraft.

Die Arbeiten werden morgen um 10 Uhr wieder aufgenommen.

Von: ka

Bezirk: Bozen