Von: mk
Bozen – Am Nachmittag hat sich der Südtiroler Landtag mit mehreren Themen befasst. Auch Gewalt gegen FRauen war Thema.
Beschlussantrag Nr. 347/20: Sonderlehrbefähigungskurse in Südtirol – hin zu einer föderalistischen Autonomie des Unterrichtswesens in Italien (eingebracht vom Abg. Nicolini am 05.11.2020). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, einen Arbeitstisch mit der Freien Universität Bozen einzurichten, um auch für die Lehrkräfte der italienischen Schulen Sonderlehrbefähigungskurse (Ausbildungslehrgänge zur Erlangung der Lehrbefähigung gemäß Artikel 12-bis DPR 89/1983 – Beschluss der Landesregierung 89/2019) anzubieten und um den neuen, mit Beschluss der Landesregierung Nr. 206/2020 eingeführten Lehrbefähigenden Ausbildungslehrgang für die Sekundarstufe dahingehend zu ergänzen, dass auch Lehramtsanwärterinnen und -anwärter italienischer Muttersprache daran teilnehmen können.
Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) sah die Notwendigkeit, auf für die italienische Schule Sonderbefähigungskurse einzuführen. Es gebe mehrere Möglichkeiten zu einer Lehrbefähigung. Beim ordentlichen Wettbewerb bekämen nur die Gewinner eine Stelle, die anderen Geeigneten kämen auf eine Rangliste und müssten noch weitere Prüfungen bestehen. Das bringe mit sich, dass viele, die einen Wettbewerb bestanden, aber nicht gewonnen hätten, als Supplenten arbeiten müssen und von Kandidaten aus ganz Italien bei jeder Stellenbesetzung überholt werden. Die deutsche und die ladinische Schule hätten das Problem mit den Sonderlehrbefähigungskursen übergangen, die italienische Schule nicht, obwohl das Legislativdekret Nr. 18/2018 das zugelassen hätte. Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) wies darauf hin, dass dies ein noch offenes Thema sein. Ziel sei eine Gleichbehandlung der drei Sprachgruppen. Er sei aber nicht einverstanden, wenn man die italienische Schule in Südtirol vom staatlichen System abkoppeln wolle. Derzeit gebe es aber keine Gleichheit in der Personalausstattung der drei Schulen. Die italienische Schule hinke hinterher und sei nicht imstande, gewisse Chancen zu nutzen.
Viele Lehrkräfte der italienischen Schule seien in dieser prekären Situation, bemerkte Riccardo Dello Sbarba (Grüne). Der richtige Weg wäre, dieselben Befähigungsschritte, die für die beiden anderen Schulen möglich seien, auch hier zu ermöglichen. Für die deutsche und ladinische Schule zeige sich der Staat kulanter, weil diese für den Schularbeitsmarkt keine Konkurrenz seien. Man müsste in Rom mehr Überzeugungsarbeit leisten. Alex Ploner (Team K) unterstützte den Antrag. Man habe derzeit in der Lehrausbildung drei verschiedene Wege für die drei Sprachgruppen. Es gehe heute aber um die Ausbildung jener Lehrkräfte, die die Südtiroler Kinder in den nächsten 30 Jahren unterrichten würden. Es brauche ein mehrsprachiges Modell, von der Schule bis zur Lehrerausbildung. Ein Problem sei auch, dass Italien nicht die Lehramtsausbildung wie in Österreich kenne.
Nicolini habe die Sachlage gut erklärt, stellte LR Giuliano Vettorato fest. Die Sonderlehrbefähigungskurse seien eingeführt worden, um das Problem der Supplenten zu lösen. Sie seien durchaus eine Innovation. Aber wenn man sie für die italienische Schule einführen würde, könnte wieder ganz Italien mitmachen. Man habe die Uni Bozen zur Frage kontaktiert, die brauche aber mehr Zeit für die Organisation solcher Kurse. Die Provinz Trient habe diesen Weg eingeschlagen, das Verfahren sei aber angefochten worden. Seiner Ansicht nach, würde man mit diesen Kursen nicht das Problem lösen. Man habe den Bedarf für 2021-24 erhoben und nun einen Sonderwettbewerb für 56 und einen ordentlichen Wettbewerb für 72 Stellen vorgesehen. Laut Landesgesetz von 2006 könne man nach einem Sonderwettbewerb das Verfahren auch in Südtirol abschließen, was den langjährigen Südtiroler Supplenten zugute käme. Der im Antrag vorgeschlagene Weg sei nicht gangbar, er würde zu viel längeren Ranglisten führen. Er sei aber bereit, zusammen mit dem Einbringer nach besseren Lösungen zu suchen. Diego Nicolini replizierte, dass mit der derzeitigen Regelung die Supplenten sowohl in Südtirol wie auch italienweit Nachteile hätten. Sein Vorschlag wäre auf jene beschränkt, die bereits drei Jahre in Südtirol tätig seien. Diese könnten dann nach bestandenem Wettbewerb in ganz Italien arbeiten. Der Antrag wurde mit zwölf Ja, 16 Nein und drei Enthaltungen abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 348/20: Prävention gegen Gewalt in der Gesellschaft: Fangen wir bei den Jüngsten an (eingebracht von den Abg. Foppa, Dello Sbarba und Staffler am 06.11.2020). Der Landtag möge die Landesregierung beauftragen, 1. in allen Schulstufen altersgerechte Angebote wie Workshops zum Thema „gewaltfreie Beziehungen“ zu etablieren, die sich gleichermaßen an Jungen und Mädchen richten sollen; 2. eine feste Finanzierung für solcherlei Projekte vorzusehen, wobei Gelder für bestehende Projekte der Gewaltprävention keinesfalls gekürzt werden dürfen; 3. in den Weiterbildungsprogrammen für Lehrpersonen und Kindergärtnerinnen die Thematik der Gewalt an Mädchen und Frauen vertieft und permanent zu behandeln und dies auch als Angebot der schulinternen Fortbildung zu forcieren. Brigitte Foppa (Grüne) verwies am heutigen Tag gegen Gewalt an Frauen auf die Anhörung von Monika Hauser im IV. Gesetzgebungsausschuss. Laut deren Einschätzung sei eine Frau in Südtirol gefährdeter als im Rest Italiens. Gewalt an Frauen hänge von kulturell bedingten Stereotypen ab. Viele seien noch der Meinung, Frauen würden sexuelle Gewalt provozieren, etwa durch ihre Kleidung, manche hielten Prügel in der Familie für in Ordnung. Es könne nicht sein, dass eine Frau auf öffentlichen Plätzen Angst haben müsse, und es sei noch schlimmer, dass die eigene Wohnung für Frauen oft der gefährlichste Ort sei. Es gehe in diesem Antrag nicht nur um die Mädchen. Vor allem Männer bräuchten Hilfe, wenn ihre Aggressionen in Gewalt ausarteten. Aber sie würden diese Hilfe nicht suchen. Bereits in der Schule sollte gelehrt werden, wie man seinen Alltag gewaltfrei gestalten könne.
Heute seien wieder zwei Frauenmorde in Italien gemeldet worden, berichtete Riccardo Dello Sbarba (Grüne). Heute werde das Macho-Leitbild auch von der populistischen Politik propagiert. Man müsse sich bewusst werden, dass dies der falsche Weg sei. Männer seien es nicht gewohnt, sich helfen zu lassen. Sie müssten lernen, sich helfen zu lassen. Viele würden mit Gewalt antworten, weil sie sich sprachlich nicht artikulieren könnten.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) unterstützte den beschließenden Teil des Antrags, besonders Punkt drei. Er könne aber nicht den Argumenten Dello Sbarbas folgen, der einer bestimmten politischen Seite die Verantwortung zuschiebe; in seiner Bewegung sei eine Frau an der Spitze. Das wahre Problem sei, dass sich alle zu allem berechtigt fühlten, wenn es keinen glaubwürdigen Rechtsstaat gebe. Wer Gewalt verübe, müsse bestraft werden. Es sei an den Männern, diese Gewaltspirale zu brechen, meinte Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten). 2020 seien bisher in Italien bereits 88 Frauen ermordet worden, 2019 seien es 82 gewesen. Alles sei zu unterstützen, um Ungleichbehandlung und Übergriffe zu verhindern.
Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) unterstützte das Anliegen des Antrags. Gewalt sei ein gesellschaftliches Problem, Gewalt gegen Frauen finde in allen Schichten statt, aber in gewissen Schichten gebe es eine erhöhte Gewaltbereitschaft. In Südtirol seien es bildungsferne Schichten und vor allem Einwanderer aus bestimmten Kulturen. Vor 30 Jahren habe es die Gefahr auf gewissen öffentlichen Plätzen noch nicht gegeben. Gewalt gegen Frauen dürfe in der Gesellschaft keinen Platz haben, meinte auch Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit), aber man müsse differenzieren. Es sei nicht so, dass nur Männer Gewalt ausübten, wenn man auch die psychische Gewalt mit einschließe. Wenn eine Frau einen Mann ohrfeige, werde das von außen anders wahrgenommen. Gewalt habe in Südtirol auch mit Migration zu tun. Gewalt sei in ihrer Gesamtheit abzulehnen, und das könne man auch ganz offen mit Kindern besprechen. Maria Elisabeth Rieder (Team K) stimmte zu, dass Gewalt insgesamt abzulehnen sei, aber Gewalt an Frauen sei insbesondere ein Männerthema. Bei den letzten internationalen Tagen zum Thema hätten sich fast nur Frauen zu Wort gemeldet, aber dies sei wirklich ein Männerthema. Bei einer Anhörung habe man gehört, dass Gewalt bereits im Kreißsaal beginne. Man müsse auch in Rechnung stellen, dass Opfer und Zeugen oft nicht reden würden. Jede Initiative, um Gewalt vorzubeugen, sei unterstützenswert.
Er habe das Thema früher nicht als Südtiroler Problem gesehen, berichtete Hanspeter Staffler (Grüne), aber die Anhörung von Monika Hauser habe ihn gelehrt, dass Südtirol im Vergleich mit dem italienischen Durchschnitt nicht gut dastehe. Vielen sei auch nicht bewusst, dass die meiste Gewalt in der eigenen Wohnung geschehe. Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) unterstützte den Antrag. Es sei ein kulturelles Problem und müsse bereits in der Schule angegangen werden. Südtirol stehe nicht gut da, und man dürfe sich nicht auf andere Kulturen hinausreden, wenn man selber von einer patriarchalischen Kultur geprägt sei.
Gewalt sei eine Realität in dieser Gesellschaft und müsse mit allen Mitteln bekämpft werden, erklärte Alex Ploner (Team K). Es sei richtig, dass sich Mädchen wie Jungen mit dem Problem auseinandersetzten. Laut einer Studie des deutschen Familienministeriums seien drei Fünftel der Kinder mindestens einmal geschlagen worden. Die verbale Gewalt komme in dem Antrag zu kurz, man müsse auch auf die Sprache schauen. Ploner plädierte für eine zentrale Finanzierung entsprechender Workshops, damit das Thema nicht auf verschiedenen Ebenen versande.
Der Antrag passe gut zum heutigen Internationalen Tag, meinte Josef Unterholzner (Enzian), aber man sollte gegen jede Gewalt sein. Es sei schwer, dieses Prinzip überall umzusetzen, etwa wenn man Gewalt in der Nachbarfamilie bemerke. Jede Gewalt sei zu verurteilen und zu ahnden. Arno Kompatscher (SVP) erkannte in vielen Wortmeldungen eine Tendenz zur Relativierung. Gewalt sei sicher ein Gesamtthema, aber es gebe ein spezifisches Problem von Gewalt durch Männer gegen Frauen. Der Verweis auf Immigration und andere Kulturen könne das spezifische Südtiroler Problem nicht lösen. Gewalt an Frauen sei das ganze Jahr zu thematisieren, man müsse auch die Rechtsgrundlagen für eine Intervention schaffen. LR Deeg arbeite derzeit an einer Implementierung der Konvention von Istanbul.
Maria Hochgruber Kuenzer (SVP) bezeichnete Gewalt als Ausdruck der Schwäche. Gewalt beginne früh, und da müsse man ansetzen. Man könne täglich zur Lösung beitragen, wenn man bei gewissen Witzen nicht mitlache, gewisse Werbungen beanstande usw. In der Coronakrise habe man auch erkannt, dass enge Wohnungen ein Problem seien. Jasmin Ladurner (SVP) erinnerte an die Anhörung im IV. Gesetzgebungsausschuss, bei der man erschreckende Zahlen vernommen habe. Sie und andere Kolleginnen ihrer Fraktion hätten ein Dokument dazu unterschrieben, das morgen im Plenum diskutiert werde. Auch ein gewisser Sprachgebrauch, der besonders in den sozialen Medien zu finden sei, sei eine Form von Gewalt.
Magdalena Amhof (SVP) erinnerte an die Aussage von Monika Hauser, laut der die Gefahr für Frauen in Südtirol viermal höher sei als im italienischen Durchschnitt. Man könne das Problem also nicht abschieben. Die meiste Gewalt finde in der eigenen Wohnung statt. Es sei ein gesellschaftlicher Auftrag für Frauen wie Männer, nicht wegzuschauen und einzugreifen. Präventionsarbeit sei unglaublich wichtig, je früher, desto besser. Es gebe bereits viele Projekte für alle Schulstufen, die meisten kostenlos. Schule und Kindergärten würden ihren Auftrag in diesem Bereich sehr gut erfüllen. Auch bei der Weiterbildung der Lehrpersonen gebe es Angebote.
Ulli Mair (Freiheitliche) stimmte den drei beschließenden Punkten zu, allerdings komme die Bubenförderung zu kurz. Für Mädchen gebe es viele Angebote zum Thema, bei Buben gebe es Nachholbedarf. Wenn die Gewalt an Frauen Männerthema sei, dann brauche man Männer als Verbündete. Mair forderte eine zusätzliche Schiene für Buben im Antrag. Der Umgang mit diesem Thema sage viel über eine Gesellschaft aus, meinte Waltraud Deeg (SVP). Sie dankte allen Organisationen, die sich in diesem Bereich einsetzten. Das Gewaltpotenzial steige, das könne man auch in den sozialen Medien ablesen. In der Schule könne man gut lernen, wie man der Gewalt begegnet. Ein Tag im Jahr zu diesem Thema sei zu wenig.
Dem stimmte Helmut Tauber (SVP) zu. Es sei eine Aufgabe für das ganze Jahr und die gesamte Gesellschaft. Die Pandemie habe zur Verschärfung der Situation beigetragen. Ein zusätzliches Problem sei die Scham der Betroffenen, die nicht nach außen gingen. Südtirol habe vieles getan, um die Opfer zu unterstützen. Gewalt sei in der Schule ein Querfeldthema, und dies werde von der Südtiroler Schule auch so gehandhabt. LR Philipp Achammer störte der vermittelte Eindruck, als wollten sich die Männer zum Thema nicht äußern. Heute habe man gesehen, dass das Gegenteil der Fall sei. In Deutschland habe man die Offenhaltung der Schulen auch mit der Zunahme häuslicher Gewalt begründet. Die Schule sei heute jene Institution, die am meisten Gewaltprävention mache. Neue Initiativen könnte man eher für die Erwachsenenbildung fordern. In den Schulen gebe es z.B. Programme, um den Kindern zu helfen, ihre Emotionen zu artikulieren, oder Programme zur Prävention von Suizid, der Gewalt gegen sich selbst sei. Auch in der Weiterbildung für Lehrer sei Gewaltprävention im Angebot. Er würde sich dagegen mehr Initiativen im gesamtgesellschaftlichen Kontext erwarten, nicht in der Schule.
LR Giuliano Vettorato sprach sich gegen jede Form von Gewalt aus. In der italienischen Schule gebe es eine Reihe von Initiativen, auch in Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz. Die Postpolizei kläre über Cyberbullying auf. Die Schulen würden in diesem Bereich eng mit Familien und Jugendgericht zusammenarbeiten. Brigitte Foppa dankte vor allem den männlichen Kollegen für die Beteiligung an der Debatte. Über den Verlauf der Debatte zeigte sie sich jedoch enttäuscht. Man sehe in den anderen die Ursache für die Gewalt, wie im Schulhof. In diesem Antrag gehe es um Männergewalt. Natürlich könne man auch andere Einrichtungen in die Pflicht nehmen, aber die Schule sei der richtige Ort, um alle in einer Altersgruppe zu erreichen. Das Thema könne auch nicht geschlechtsneutral behandelt werden. Viele Frauen würden getötet, weil sie Frauen seien. Es werde noch nicht genug getan, die Fallzahlen würden nicht abnehmen. Punkt 1 des Antrags wurde mit 14 Ja und 17 Nein abgelehnt, Punkt 2 mit 14 Ja, 17 Nein und einer Enthaltung, Punkt 3 mit 15 Ja, 17 Nein und einer Enthaltung.