Von: ka
Bozen – Das letzte Interview von Jannik Sinner, in dem er sagte: „Ich bin stolz, Italiener zu sein“, ist für den Südtiroler Schützenbund ein Grund, sich in einem offenen Brief zu äußern. Anlass hierfür ist die jüngst öffentlich gewordene Diskussion über die symbolische Bedeutung von Sprache, Kultur und Identität in Südtirol sowie die damit verbundenen Erwartungen an Personen des öffentlichen Lebens.
Mit diesem Schreiben möchte der Südtiroler Schützenbund zu einer sachlichen und respektvollen Auseinandersetzung beitragen. Er versteht sich als Vertreter und Bewahrer der historischen und kulturellen Identität der deutschen und ladinischen Volksgruppe in Südtirol.

In diesem Sinne richtet sich das Schreiben auch an die breite Öffentlichkeit:
Liaber Jannik,
es musste wohl so kommen – früher oder später, dachten viele von uns – als deine jüngsten Aussagen in den italienischen Medien zitiert und gefeiert wurden. Du hast erklärt, du seist froh, ein Italiener zu sein – und ebenso froh, nicht in Österreich geboren worden zu sein.
Zunächst eines vorweg: Eine persönliche Äußerung wie diese steht selbstverständlich jedem Menschen zu und verdient Respekt. In einer freien Gesellschaft darf jeder seine Identität selbst definieren. Dennoch, lieber Jannik, möchten wir deine Worte einordnen um auf ihre besondere Bedeutung für uns alle hinzuweisen. Du weißt, dass Aussagen wie diese – gerade aus dem Mund einer so bekannten Persönlichkeit – weit über den Sport hinaus wirken. Sie werden nicht nur von Nationalisten in Italien mit Genugtuung aufgenommen und zugleich von manchen hierzulande mit Sorge betrachtet. Denn sie berühren Fragen, die für uns von zentraler Bedeutung sind: unsere Sprache, unsere Geschichte, unsere Identität.
Sollte eines Tages eine Mehrheit der Südtirolerinnen und Südtiroler ihre Eigenständigkeit vergessen und sich auch ausschließlich als Italiener verstehen, wäre das Werk jener, die unsere Besonderheit einst beseitigen wollten – von Tolomei bis Mussolini – wohl vollendet. Wachsamkeit ist daher keine Prinzipienreiterei, sondern Ausdruck von Verantwortung gegenüber unserem Land und seiner gewachsenen kulturellen Vielfalt.
Deine sportlichen Erfolge begeistern uns. Doch ebenso bleiben auch deine Worte im Gedächtnis – und sie entfalten Wirkung. Denn sie werden rasch verallgemeinert und auf alle Menschen in unserem schönen Südtirol übertragen. Dein Bekenntnis zur italienischen Nation fällt zudem in eine Zeit, in der Südtirol des großen österreichischen Staatsmannes Bruno Kreisky gedenkt – jenes Mannes, dem unser Land so viel zu verdanken hat.
Gerade dieses, von dir „abgelehnte“ Österreich ist in schwierigen Jahrzehnten unermüdlich für die Rechte der Südtiroler Bevölkerung eingetreten – politisch, diplomatisch und kulturell. Ohne eben diesen Einsatz wäre unsere heutige Autonomie, unser Wohlstand und vielleicht auch dein origineller, vertrauter Puschtra Dialekt kaum erhalten geblieben. Österreich war für viele Generationen Südtiroler die einzige Stimme der Solidarität, des Rückhalts, der Unterstützung.
Darum schmerzt es, wenn prominente Persönlichkeiten unseres Landes durch unbedachte Worte den Eindruck erwecken, diese historische Verbindung und die mühsam errungene Eigenständigkeit seien bedeutungslos geworden. Denn Identität und kulturelle Vielfalt dürfen niemals hinter nationaler Symbolik verschwinden. Andernfalls könnten politische Kräfte in Rom eines Tages versucht sein, diese Autonomie, die wir so dringend benötigen, um die wir täglich ringen, in Frage zu stellen.
Wir sind uns durchaus bewusst, wie groß der öffentliche Druck auf dich ist, wie oft du dieselben Fragen gestellt bekommst. Unser Wunsch an dich ist daher ein einfacher: Wenn du künftig nach deinem nationalen Empfinden gefragt wirst, bedenke bitte die Tragweite deiner Worte. Sprich – wenn du möchtest – über deine Zugehörigkeit zu Italien, aber tue dies mit Respekt gegenüber all jenen, die sich als Südtiroler, Ladiner oder Angehörige einer anderen Minderheit verstehen. Gerade du, der so viel in der Welt herumkommt, weißt, dass Offenheit und Vielfalt keine Schwäche, sondern Stärke bedeuten. Auch die italienische Verfassung schützt die kulturelle Eigenständigkeit von Minderheiten – ein Grundsatz, den wir alle gemeinsam leben und bewahren sollten.
Wir danken dir für dein Verständnis und vor allem für die Freude, die du uns mit deinem außergewöhnlichen Talent schenkst. Du bist ein großartiger Sportler, ein Vorbild für viele junge Menschen und wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg auf deinem Weg.
Mit Respekt und aufrichtiger Wertschätzung,
Mjr. Christoph Schmid Landeskommandant





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